Die amerikanische Politik erlebte am Dienstag einen denkwürdigen Moment: Ein republikanischer Senator tritt ans Rednerpult und bezeichnet den Präsidenten seiner eigenen Partei als «Bedrohung für die Demokratie». Eindringlich appellierte Jeff Flake am Dienstag an seine Kollegen: «Wenn uns die nächste Generation fragt: ‹Warum habt ihr nichts unternommen? Warum habt ihr nicht den Mund aufgemacht?› – Was werden wir sagen?»
Solche Fragen tauchen in der Regel in Zusammenhang mit totalitären Systemen auf. Jeff Flake aus Arizona zielte damit auf den Anführer der freien Welt. Den Namen Donald Trump erwähnte er nicht, dennoch ist sein Auftritt das bislang wohl eindrucksvollste Indiz für das Ausmass, in dem sich die stolze Grand Old Party (GOP) ihrem einst ungeliebten Präsidenten unterworfen hat.
Denn Flakes Appell stiess weitgehend auf taube Ohren. Nur zwei Republikaner stellten sich auf seine Seite: John McCain, der ebenfalls aus Arizona stammt, und Bob Corker aus Tennessee. Dieser liegt seit Wochen über Kreuz mit Trump, den er im Wahlkampf noch unterstützt hatte. Am Dienstagmorgen lieferten sich die beiden eine wüste Auseinandersetzung auf Twitter.
Andere Republikaner unterstützen Jeff Flake bestenfalls hinter vorgehaltener Hand. Offene Kritik oder gar ein Aufstand gegen Trump ist nicht in Sicht. Denn die drei «Rebellen» haben eines gemeinsam: Ihre politische Zukunft liegt hinter ihnen. Der alte Haudegen McCain leidet an einem Hirntumor, Corker wird sich im Herbst 2018 nicht für eine weitere Amtszeit bewerben.
Gleiches kündigte Flake am Dienstag an. Kritiker bezichtigen ihn der Kapitulation. Er schwenke die weisse Flagge. Dabei beugt er sich nur der Realität. Im Gegensatz zu Bob Corker hat er Trump stets abgelehnt, was ihn aus Sicht der Parteibasis zum «Verräter» macht. Eine Herausforderin hat sich in Arizona bereits in Stellung gebracht, sie liegt in den Umfragen deutlich vor Jeff Flake.
Die Wählerschaft steht nach wie vor hinter dem Präsidenten, der geschworen hat, den «Sumpf» in Washington trockenzulegen. Die Republikaner im Kongress sind sich dessen bewusst, umso mehr, als sie seit Trumps Amtsantritt keine einzige gewichtige Vorlage verabschieden konnten. Mehrere Versuche, das Obamacare-Gesetz aufzuheben, sind jämmerlich gescheitert.
Nun ruhen ihre Hoffnungen auf der grossen Steuerreform. Donald Trump begab sich am Dienstag eigens ins Kapitol zum Lunch mit den Senatoren seiner Partei. Manche sähen den Präsidenten immer noch als «Mittel zum Zweck», um eine konservative Agenda durchzusetzen, schreibt die «New York Times». In Wirklichkeit hat Trump sie längst in eine Art Geiselhaft genommen.
Seit sich der New Yorker zum Missfallen des Establishments als Quereinsteiger um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner beworben, sie errungen und am Ende die Wahl gewonnen hat, ist die GOP kaum wiederzuerkennen. Ein Jeff Flake galt immer als verlässlicher Konservativer. Nun ist er im Rekordtempo in Ungnade gefallen.
Trump möge auf nationaler Ebene unpopulär sein, dennoch habe er «die republikanische Partei faktisch gekidnappt und nach seinem Ebenbild umgewandelt», meint die «Washington Post». Im Wirtschaftsjargon könnte man von einem Unfriendly Takeover sprechen, einer unfreundlichen Übernahme. Die Republikaner sind heute faktisch die Partei von Donald Trump.
Die Begeisterung darüber hält sich in Grenzen, doch kaum jemand wagt den Widerspruch. Vielmehr geht die Angst um, dass es ihnen ergeht wie Bob Corker oder Jeff Flake. Diese Angst trägt einen Namen: Steve Bannon. Der ehemalige Chefstratege von Donald Trump hat sich zum Ziel gesetzt, die Partei von allen zu säubern, die nicht auf der gleichen Linie sind.
Erst kürzlich erklärte Bannon auf Fox News dem republikanischen Establishment, das Trumps Agenda nicht unterstütze, den Krieg. Es habe «das amerikanische Volk seit Jahren betrogen». Der Breitbart-Chef kündigte an, alle Senatoren der Republikaner, die bei den Kongresswahlen in einem Jahr zur Wiederwahl antreten, in den Vorwahlen herauszufordern. Einzig der ultrakonservative Texaner Ted Cruz darf mit Schonung rechnen.
Dabei kann Bannon gemäss «Politico» auf die finanzielle Unterstützung des öffentlichkeitsscheuen Milliardärs Robert Mercer und anderer frustrierter Geldgeber zählen. Bei Corker und Flake hat die Drohung gewirkt, sie haben das Handtuch geworfen. Im Visier ist aber auch Orrin Hatch aus Utah, der als strammer Konservativer gilt. Nach dem Lunch mit Trump vom Dienstag bemühte er sich um gute Stimmung: «Er hat mich wirklich beeindruckt», sagte er laut «Politico» über den Präsidenten.
Für ein solches Verhalten gibt es einen vulgären Ausdruck, der hier nicht genannt werden soll. Dabei kann man Hatch verstehen, denn was Steve Bannons Drohung bewirken kann, liess sich kürzlich im Bundesstaat Alabama verfolgen, wo im Dezember ein Nachfolger für den zum Justizminister beförderten Senator Jeff Sessions gewählt werden muss.
In der Vorwahl der Republikaner setzte sich nicht der offizielle Parteikandidat durch, sondern der frühere Richter Roy Moore. Er ist ein evangelikaler Fundamentalist, für den die Bezeichnung rechtsextrem nur leicht übertrieben ist. Moore hasst Homosexuelle und behauptet, in einigen US-Gemeinden sei die Scharia eingeführt worden. Beweise dafür kann er nicht liefern.
Trumps Rolle in diesem Spiel ist nicht immer eindeutig. In Alabama unterstützte er Moores Gegner. Die Turbulenzen in seiner Partei aber scheinen ihn kaum zu stören, er soll sie laut «Politico» regelrecht geniessen. Wer gegen ihn sei, den bekämpfe er, egal ob Republikaner oder Demokrat, sagte einer seiner Berater. Für das Versagen im Kongress macht er alle verantwortlich, ausser sich selbst.
Trump sehe sich «als Mitglied der Trump-Partei», sagte eine ihm nahestehende Person. Die Republikaner bemühen sich immer mehr, ihr «beizutreten». Die Demokraten hoffen, davon profitieren zu können, doch ihnen fehlen überzeugende Köpfe und Inhalte. Es ist deshalb zu befürchten, dass man sich noch an Jeff Flakes mahnende Worte erinnern wird.