Jetzt ist es endlich passiert. Seit Monaten fieberte Washington auf den Moment hin, in dem die Untersuchungen zur Russland-Affäre beendet sein würden. Immer wieder gab es Gerüchte und Falschmeldungen, wann es soweit sein würde. Nun hat FBI-Sonderermittler Robert Mueller seinen erwarteten Abschlussbericht tatsächlich übergeben.
Am Freitagnachmittag um 17 Uhr ging der Report im Justizministerium ein – zu einem Moment, in dem die US-Hauptstadt längst auf dem Weg ins Wochenende war und der Präsident schon im Feriendomizil Mar-a-Lago weilte, kamen die Eilmeldungen: Der geheimnisumwitterte Mueller-Bericht ist da. Die Russland-Untersuchung wird abgewickelt.
Damit steuert eine der grossen Schlachten um die Trump-Präsidentschaft auf ihr möglicherweise letztes Gefecht zu. In den vergangenen 20 Monaten verging kaum ein Tag, an dem die Medien nicht irgendeine Nachricht über die abgeschottet arbeitenden Ermittler um Mueller verbreiteten. Ebenso verging kaum ein Tag, an dem Donald Trump nicht die vermeintliche «Hexenjagd» öffentlich zu diskreditieren versuchte.
Jetzt steht das Urteil Muellers fest. Was droht dem Präsidenten?
Es wird noch etwas dauern, bis sich dazu ein genaues Bild ergibt. Muellers Report ging nämlich nicht an die Öffentlichkeit oder den Kongress, sondern nur an den von Trump ernannten Justizminister William Barr. Der bastelt aus diesem Bericht eine Kurzversion, ganz nach seinem Ermessen. Am Wochenende könnte er ausgewählten Kongressabgeordneten die wichtigsten Punkte des Berichts nennen – diese sollen dann auch öffentlich werden.
Um die Frage, was wann in welchem Ausmass veröffentlicht wird, wird eine politische Schlacht zwischen Demokraten und Republikanern, Parlament und Weissem Haus losbrechen. Der Druck auf Barr, so viel wie möglich des Reports zu veröffentlichen, ist riesig.
Die zwei Leitfragen der Untersuchung lauteten: Haben sich Trump und sein Wahlkampfteam illegalerweise mit den russischen Kräften abgesprochen, die die US-Präsidentschaftswahl 2016 angriffen? Und hat Trump die Aufklärung der Affäre und damit die Justiz behindert?
Knapp zwei Jahre forschte der frühere FBI-Chef Mueller zu den Komplexen. Schnell wurde klar, dass im Umfeld des Präsidenten viel gelogen wurde, insbesondere über die gut hundert Kontakte nach Russland. Und dass man die Hilfe des Kreml zumindest gern annehmen wollte. Das fehlende Puzzlestück lautet: Was hat Mueller gegen Trump selbst in der Hand?
Noch ist völlig unklar, ob Mueller Trump in seinen Ermittlungen eine Straftat nachweisen konnte oder nicht. Selbst vernommen wurde Trump nach monatelangem Hin und Her nicht. Seine Anwälte wollten das unbedingt verhindern, aus Sorge, Trump könne sich um Kopf und Kragen reden. Das Weisse Haus konnte Muellers Fragen schriftlich beantworten.
Eine gute Nachricht für Trump gibt es schon: Mueller hat offenbar keine weiteren Anklagen empfohlen. Beobachter hatten es für möglich gehalten, dass es noch Sohn Donald Jr. oder Schwiegersohn Jared Kushner erwischen könnte.
Im Groben sind zwei Szenarien denkbar:
Mueller gelangt zu dem Schluss, dass auch der Präsident Straftaten im Zusammenhang mit der Russland-Affäre begangen hat, dass er etwa entgegen seiner Aussagen von konspirativen Treffen in seinem Team wusste oder die Justiz behindert hat.
Allerdings ist es herrschende Rechtsauffassung im Justizministerium, dass ein amtierender Präsident gar nicht angeklagt werden kann. Hat Trump einen Rechtsbruch begangen, führt das Verfahren der Kongress, im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens. Die Demokraten würden enormen Auftrieb spüren. Dann hängt Trumps Schicksal an der Frage, ob ihm die Republikaner weiter treu zur Seite stehen.
Mueller hat keine Beweise dafür gefunden hat, dass Trump gegen Recht und Gesetz verstossen hat. Der Präsident könnte dann seine schiefe Behauptung aufrechterhalten, dass die Untersuchung eine Zeit- und Ressourcenverschwendung gewesen sei. In Sachen Russland könnte Trump dann vorerst aus dem Schneider sein. Für die Demokraten und ihre Ziele, die Affären des Präsidenten zu untersuchen, wäre das ein empfindlicher Rückschlag.
Die Szenarien verschieben also die politische Dynamik in Washington in entgegengesetzte Richtungen. Deshalb werden die juristischen von politischen Aspekten überlagert: Neben die politische Schlacht um Offenlegung tritt eine über Interpretation der Ergebnisse. Beide werden das Endspiel in Trumps Russland-Affäre prägen.
Nebenstränge in der Affäre laufen indes weiter: Trump-Berater Roger Stone steht noch immer vor Gericht wegen seiner möglichen Rolle als Verbindungsmann zwischen Trump und WikiLeaks, der Enthüllungsplattform, die die von Russen gestohlenen Clinton-E-Mails veröffentlichte.
Daneben laufen gegen den Präsidenten und sein Umfeld noch weitere Untersuchungen, etwa der Staatsanwaltschaften im Bundesstaat New York. Hier wird gegen Trump selbst, seine Firma und sein Komitee zur Amtseinführung ermittelt, etwa wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und Steuerhinterziehung. Die Demokraten im Repräsentantenhaus sind entschlossen, Trumps Familie und Finanzen genau unter die Lupe zu nehmen.
Die grösste Gewissheit am Tag eins nach dem Ende der Russland-Sonderermittlungen lautet also: Die Untersuchung der Welt des Donald Trump, sie geht an allen Fronten weiter.