Im NASA-Hauptquartier dürften an diesem Sonntagvormittag wohl die Korken geknallt haben: Die Raumsonde Osiris-Rex hatte eine Kapsel mit Bodenproben vom Asteroiden Bennu abgeworfen, die um 8.52 Uhr (Ortszeit) wohlbehalten in der Wüste von Utah landete. Damit hat die US-Raumfahrtbehörde es ebenfalls geschafft, Material von einem solchen Himmelskörper zur Erde zu bringen. Zuvor hatten dies die japanischen Sonden Hayabusa und Hayabusa 2 geschafft, allerdings mit wesentlich weniger Bodenprobenmaterial.
Ab Dienstag wird der Asteroid untersucht. Dieser Schritt ist jedoch nur das krönende Juwel einer Mission, die wie am Schnürchen verlief:
Die erste Bodenprobe von einem Himmelskörper im Weltraum wurde erstmals 1969 bei der ersten Mondlandung im Rahmen der Apollo-11-Mission entnommen. Bei dieser und den folgenden fünf Mondlandungen sammelten die Astronauten 382 Kilogramm Gestein und Staub. Erst 2004 gelang es der NASA-Raumsonde Genesis, die ersten Proben von jenseits der Mondumlaufbahn zu sammeln – es handelte sich um geladene Teilchen des Sonnenwinds. 2006 entnahm die NASA-Mission Stardust als erste Kometenproben; sie sammelte Staubpartikel aus dem Halo des Kometen Wild 2.
Die ersten Asteroidenproben stammten wie oben erwähnt von japanischen Raumsonden: Hayabusa brachte 2010 tausende Partikel des Asteroiden Itokawa zur Erde zurück; ihre Nachfolge-Sonde Hayabusa 2 entnahm dem Asteroiden Ryugu 5,4 Gramm Material, das 2020 auf der Erde ankam. Asteroidenstaub ist älter und besser erhalten als jedes Material auf der Erde, deshalb bietet er den Wissenschaftlern einen Einblick in die Anfänge des Sonnensystems.
Der Asteroid Bennu ist ein erdnaher Asteroid des Apollo-Typs – diese können die Erdbahn kreuzen, was je nach Bahnebene ein Einschlagrisiko bedeutet. Dieses ist allerdings ziemlich gering; die Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag bis 2300 liegt nach derzeitigen Berechnungen bei 1:1750 (0,057 %). Der am 11. September 1999 entdeckte Brocken, der im Schnitt mit 27,75 Kilometern pro Sekunde (das sind 99'900 km/h) durchs All rast, hat eine Masse von 62 Millionen Tonnen und einen mittleren Durchmesser von rund 492 Metern.
Zunächst trug der Asteroid die Bezeichnung «1999 RQ36», bevor er 2013 nach einem von der NASA ausgeschriebenen Schüler-Wettbewerb den offiziellen Namen «Bennu» erhielt, die englische Schreibweise für den altägyptischen Totengott Benu.
Mehrere Gründe sprachen für seine Wahl als Zielobjekt der Osiris-Rex-Mission: Er ist erdnah und kommt unserem Planeten alle sechs Jahre am nächsten. Die Mission sollte deshalb weitere Daten für die Berechnung des Einschlagrisikos liefern. Bennu umkreist die Sonne zudem fast in der gleichen Ebene wie die Erde, was die Aufgabe erleichterte, die Raumsonde von der Erd-Ebene in die Ebene des Asteroiden zu bringen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass er eine ideale Grösse besitzt; während kleinere Asteroiden oft sehr schnell rotieren, dreht Bennu sich einmal alle 4,3 Stunden um die eigene Achse. Das erleichtert das schwierige Manöver der Raumsonde, die auf dem Asteroiden aufsetzen muss, um Proben zu sammeln.
Hinzu kommt, dass Bennu sehr alt ist – so alt, dass einige Mineralfragmente in seinem Inneren älter sein könnten als das Sonnensystem. Diese Zeitkapsel in Form eines Asteroiden ist überdies im Vakuum des Weltraums konserviert worden. Die Wissenschaftler hoffen, dass die Analyse der Proben von Bennu ihr Verständnis der Rolle erweitern werden, die Asteroiden bei der Entstehung des Lebens auf der Erde gespielt haben könnten. Die Beobachtung des Asteroiden hat bereits ergeben, dass er vermutlich reich an organischen Molekülen ist, die aus Ketten von Kohlenstoff bestehen. Ausserdem könnte er Wasser enthalten – eine weitere Zutat, die für die Entstehung von Leben unabdingbar ist.
Osiris-Rex (das Akronym steht für «Origins Spectral Interpretation Resource Identification Security – Regolith Explorer») ist nach New Horizons und Juno die dritte Raumsonde des New-Frontiers-Programms. Die Entscheidung für diese Mission fiel 2011 nach einem Auswahlverfahren, in dem sich Osiris-Rex gegen einen Venus-Lander und ein Projekt zur Gewinnung von Bodenproben aus dem Südpol-Aitken-Becken des Mondes (MoonRise) durchgesetzt hatte.
Die Raumsonde, das Probe-Entnahmesystem und die Kapsel zur Rückführung der Probe wurden vom amerikanischen Technologiekonzern Lockheed Martin in der Nähe von Denver entwickelt und gebaut. Im Oktober 2015 waren die Teile fertiggestellt und wurden danach ausgiebig getestet. Die Sonde ist quaderförmig und misst 3,10 Meter in der Breite sowie 2,72 Meter in der Höhe. Ihre Masse inklusive Treibstoff betrug beim Start 2,11 Tonnen, wobei auf die Sonde selbst 880 Kilogramm entfielen.
Zwei schwenkbare Ausleger an den beiden Seiten der Sonde sind mit Solarzellen bestückt, die insgesamt eine Fläche von 8,5 Quadratmetern aufweisen und je nach Entfernung zur Sonne zwischen 1226 und 3000 Watt erzeugen. Mehrere Antennen, darunter eine Parabolantenne mit einem Durchmesser von 2,1 Metern, sorgen für die Kommunikation mit der Erde.
Zu den Zielen der Mission gehörte zuallererst die Rückführung und Analyse von Proben des ursprünglichen kohlenstoffhaltigen Asteroidenregoliths (Regolith ist eine verfestigte Mischung von Lockermaterial, etwa zermahlenes und zerbrochenes Gestein und erstarrte Gesteinsschmelze), das eventuell organische Moleküle als Vorstufen des Lebens enthält. Hinzu kam die Kartierung der globalen Eigenschaften eines primitiven kohlenstoffhaltigen Asteroiden – vornehmlich dessen Chemie und Mineralogie. Untersucht werden sollte zudem der Jarkowski-Effekt, der den Einfluss der uneinheitlichen Oberflächenerwärmung von Asteroiden auf deren Bahnverlauf erklärt. Und schliesslich sollte Osiris-Rex Textur, Morphologie, Geochemie und spektrale Eigenschaften des Regoliths an der Entnahmestelle dokumentieren.
Um die wissenschaftlichen Ziele der Mission zu erreichen, ist Osiris-Rex mit sechs wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet:
Das Startfenster zu Bennu öffnete sich am 3. September 2016 und dauerte 39 Tage, ein relativ langes Startfenster für eine Raumsonde. Der Launch fand dann am 8. September um 19.05 Uhr EDT (Eastern Daylight Time; 9.9.2016 um 0.05 Uhr MEZ) von der Cape Canaveral Space Force Station in Florida statt. Trägerrakete war eine Atlas V 411, die für mittlere bis schwere Nutzlasten geeignet ist. Etwa 55 Minuten nach dem Start trennte sich die Sonde von der mit Flüssigsauerstoff und Flüssigwasserstoff betriebenen zweiten Raketenstufe und flog frei.
Ein Jahr nach dem Start, am 22. September 2017, näherte sich die Sonde der Erde wieder auf 17'000 Kilometer. Dies geschah im Rahmen eines Swing-by-Manövers, das Osiris-Rex weiter beschleunigte. Dabei bewegte sich die Sonde durch das Gravitationsfeld der Erde und wurde dadurch abgelenkt. Während sie in Bezug auf die Erde in der Summe nicht schneller wird, verhält sich das in Bezug auf die Sonne anders: Die Geschwindigkeit des Planeten auf seinem Orbit um die Sonne wirkt beschleunigend (oder bremsend).
Nach einer Reise von rund zwei Milliarden Kilometern erreichte Osiris-Rex im Dezember 2018 den Asteroiden. Zum Vergleich: Die mittlere Distanz zwischen Erde und Sonne (1 Astronomische Einheit, AE) beträgt rund 150 Millionen Kilometer; jene zwischen Erde und Mond rund 384'000 Kilometer. Die Sonde begann die Annäherungsphase bereits im August, als sie noch knapp zwei Millionen Kilometer von Bennu entfernt war; am 3. Dezember betrug die Distanz noch knapp 20 Kilometer – immer noch zu weit entfernt für den Orbit um den Asteroiden.
Nun lieferte Osiris-Rex bei mehreren Überflügen in rund sieben Kilometer Entfernung erstmals deutliche Bilder von Bennu, der zuvor in irdischen Teleskopen und Radarmessungen nur als verpixelter Klecks erschienen war.
Ende Dezember näherte sich Osiris Rex dem Asteroiden auf 1,4 bis 1,9 Kilometer und schwenkte in eine Umlaufbahn um Bennu ein. Es handelte sich um das bisher kleinste Objekt, das jemals von einer Sonde umkreist wurde. Nun begann die Phase der näheren Erkundung des Asteroiden, die länger als ein Jahr dauerte.
Zu diesem Zweck umrundete Osiris-Rex Bennu auf einem Zickzack-Kurs, der die Sonde mal näher zum Asteroiden brachte, mal weiter von ihm entfernte. Die ersten Nahaufnahmen brachten Überraschungen für die Wissenschaftler mit sich, die einige ihrer Annahmen über Bennu revidieren mussten.
So zeigte sich, dass die Oberfläche nicht wie erwartet glatt und sandig war, sondern von Felsbrocken übersät. Bennu schleuderte zudem Gesteinspartikel ins All. Dies bedeutete, dass die Navigation zur Oberfläche Bennus schwieriger sein würde als zuvor angenommen. Das Missionsteam nutzte daher die Zeit, um die Oberfläche des Asteroiden detailliert zu kartieren und nach einem flachen Gebiet zwischen den Felsbrocken zu suchen, das sich für die Probenentnahme am besten eignete.
Nach eingehender Untersuchung und Kartierung der Oberfläche von Bennu identifizierte das Missionsteam mehr als 50 mögliche Landepunkte, die dann in einem weiteren Verfahren zunächst auf 16 und schliesslich auf 4 reduziert wurden. Diese vier Kandidaten wurden nun einen Monat lang genauer untersucht, bis sich im Dezember 2019 der Ort «Nightingale» («Nachtigall») als Favorit herauskristallisierte. Er erfüllte sowohl die Anforderungen an die Sicherheit als auch an die Verfügbarkeit von geeigneten Proben. Allerdings war das Gebiet rund zehnmal kleiner, als in der ursprünglichen Planung vorgesehen war.
Die Sonde musste deshalb so programmiert werden, dass sie beim Manöver der Probenentnahme – also der autonomen Navigation zu einem kleinen Punkt auf der Oberfläche des Asteroiden – Hindernissen ausweichen konnte; etwa einem Felsbrocken von der Grösse eines Hauses, den die Wissenschaftler «Mount Doom» nannten.
Nach tagelangen Vorbereitungen begann am 20. Oktober um 13.50 Uhr EDT das Manöver: Die Sonde überquerte Bennu und stieg etwa 805 Meter Richtung Oberfläche ab, während sie zugleich den 3,35 Meter langen Arm mit dem Instrument zur Probenentnahme ausfuhr. Nach einem etwa vierstündigen Abstieg erreichte Osiris-Rex die Oberfläche an einer acht Meter breiten Stelle. Sie landete jedoch nicht, sondern führte lediglich einen etwa fünf Sekunden dauernden Touch-down durch, bei dem der Probenentnahmearm den Boden berührte.
Bei diesem Touch-down trat das Bodenprobenentnahmesystem TAGSAM in Aktion: Ein Stoss aus Stickstoffgas wirbelte Staub und Gestein auf, das vom Probenkopf aufgefangen wurde. Dieser drang dabei etwa 50 Zentimeter tief in die Oberfläche des Asteroiden ein.
Darauf zündete die Sonde ihre Triebwerke und entfernte sich wieder von der Oberfläche. Mithilfe von Kamerabildern und Trägheitsversuchen mit der beladenen Sonde schätzte das Missionsteam die tatsächlich gesammelte Menge an Probenmaterial ein. Wäre sie zu klein gewesen, hätte der Versuch wiederholt werden können.
Nach einem letzten Überflug der Entnahmestelle am 7. April 2021, bei dem diese mit einer hochauflösenden Kamera fotografiert wurde, trat Osiris-Rex am 10. Mai die Rückreise zur Erde an. Diese erreichte sie am 24. September 2023.
Um 6.42 Uhr EDT (13.43 Uhr MEZ) trennte sie die Probenkapsel in einer Höhe von 102'000 Kilometern – etwa ein Drittel der Entfernung zwischen Erde und Mond – ab, die darauf um 10.42 Uhr EDT mit einer Geschwindigkeit von 44'500 Kilometern pro Stunde in etwa 133 Kilometern Höhe vor der Küste Kaliforniens unter einem Winkel von 8,2 Grad in die Erdatmosphäre eintrat. In nur zehn Minuten bremste die von einem Hitzeschild geschützte Kapsel mithilfe von zwei Fallschirmen – einem Pilotschirm und einem Hauptschirm – auf 18 Kilometer pro Stunde ab und landete auf der Utah Test and Training Range des US-Verteidigungsministeriums in der Grossen Salzwüste – im vorgesehenen Landegebiet, einer Ellipse von 80 Kilometern Länge und 20 Kilometern Breite.
Per Hubschrauber wurde die Kapsel in ein erstes steriles Labor in der Nähe der Landestelle gebracht, wo sie einer «Stickstoff-Säuberung» unterzogen wurde, um Verunreinigungen zu verhindern. Noch am 25. September wurde sie in ihrem ungeöffneten Behälter per Luftfracht zum Johnson Space Center der NASA in Houston transportiert. Dort soll die Probe mit 60 verschiedenen Untersuchungsmethoden von rund 200 Wissenschaftlern untersucht werden, die unter anderem ein Inventar der Gesteins- und Staubproben erstellen werden. Im Laufe der Zeit werden dann Wissenschaftler in aller Welt Teile der Probe erhalten, um sie weiter zu analysieren.
Während die Probenkapsel Kurs auf Utah nahm, zündete die Raumsonde Osiris-Rex 20 Minuten nach der Trennung ihre Haupttriebwerke und machte sich bereits auf den Weg zu ihrem neuen Ziel: dem Asteroiden Apophis. Entsprechend erhielt sie einen neuen Namen – sie heisst nun «Osiris-Apex» (OSIRIS-APophis EXplorer). Die Anschlussmission soll diesen erdnahen Asteroiden 18 Monate lang erforschen, nachdem ihn die Sonde im Jahr 2029 erreicht haben wird.
Der Asteroid mit einem Durchmesser von rund 350 Metern wurde 2004 entdeckt und ursprünglich unter der Bezeichnung «2004 MN4» geführt, bevor er nach dem altägyptischen Gott der Finsternis benannt wurde. Nach astronomischen Berechnungen wird Apophis der Erde im April 2029 sehr nahekommen – der Vorbeiflug wird in lediglich knapp 32'000 Kilometern Entfernung stattfinden. Dies ist weniger als ein Zehntel der mittleren Distanz zwischen Mond und Erde.
Die Begegnung bietet Gelegenheit, Apophis aus der Nähe zu untersuchen. Osiris-Apex soll kurz nach der maximalen Annäherung des Asteroiden an die Erde in eine Umlaufbahn um Apophis eintreten und die Auswirkung des nahen Vorbeiflugs auf Umlaufbahn, Drehgeschwindigkeit und Oberfläche des Asteroiden untersuchen. Dies ist wichtig, da der nahe Vorbeiflug die Bahn des Asteroiden verändern wird und kleine Unsicherheiten bei der Bestimmung der Position im April 2029 bis zur nächsten Annäherung im Jahr 2036 schnell anwachsen können.