Sie ist grün, die Hoffnung auf ein bisschen Normalität. Das gilt derzeit ganz besonders für die 11 Millionen Einwohner Wuhans. Denn ohne Grün bewegt sich hier niemand. Auch jetzt nicht, rund drei Wochen, nachdem die chinesische Metropole erstmals überhaupt wieder Leute in die Stadt liess und damit einen ersten Schritt zur Lockerung einleitete.
Wer auf die Strasse will in Wuhan, der braucht einen «grünen» QR-Code auf seiner App. Den gibt's, wenn man 14 Tage lang gesund war. Über den QR-Code werden sämtliche Gesundheitsdaten abgespeichert. Vor Läden, in Hotels, zu Hause – überall gibt es Kontrollchecks, wo einem die Temperatur gemessen wird. Die Gesundheits-Infos wiederum landen auf dem persönlichen, grünen Code. Ist alles in Ordnung, hat man ein bisschen Freiheit.
Mit dem grünen QR-Code kann man etwa einen Supermarkt betreten oder eine Shoppingmall, beides ist seit Anfang des Monats wieder geöffnet.
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Der Code wird am Eingang gescannt, ist er grün, kann man den Laden betreten. Ist er gelb, kann man nicht hinein. Es bedeutet, dass die Person eine zu hohe Temperatur hat und zu Hause bleiben muss. Das Temperatur-Limit liegt in Wuhan bei 37,2 Grad Celsius. 37,3 Grad? Gelb, zu Hause bleiben! Ein roter QR-Code bedeutet, dass die Person krank ist, dann kann man es eh vergessen, sein Haus verlassen zu dürfen.
Grüner Code hin oder her – vor dem Laden wird trotzdem noch einmal Fieber gemessen, wie Frau Luo, eine Einwohnerin Wuhans, dem Tagesspiegel in einem über die App WeChat geführten Interview erzählte.
«Ohne den richtigen Code kann man sich eigentlich gar nicht bewegen – weder in Wuhan noch in Peking», sagt ZDF-Korrespondent Ulf Röller. Er war einer der ersten deutschen Journalisten, die nach Aufhebung des Einreiseverbots die Stadt besuchte. Das war am 8. April. Zwei Wochen hat er insgesamt in Wuhan verbracht. In einem Beitrag für das ZDF hat er seine Erlebnisse dokumentiert. Zu sehen sind Checkpoints auf den Strassen, an denen die Temperatur gemessen wird und die man nur mit dem richtigen QR-Code passieren kann.
Röller war in Wuhan in einem Hotel einquartiert. Auch das Hotel hat extra einen eigenen Code eingeführt, den man sich auf sein Handy laden muss. Im Hotel wird Fieber gemessen, die Informationen laufen auf den persönlichen Code, betritt man das Hotel muss man den Code zeigen. Die Farbe, die über Zutritt oder nicht-Zutritt entscheidet? Klar, Grün.
Seit die Behörden am 8. April die Reisebestimmungen lockerten und so den 76-tägigen Lockdown in Wuhan beendeten, sucht die Stadt den Alltag. Bereits an jenem 8. April wollte China den Journalistinnen und Journalisten den Neustart demonstrieren. Die Medienschaffenden wurden zum Bahnhof, zum Flughafen und in die Honda-Fabrik geführt, um zu zeigen, dass die Metropole bereits wieder brummt. Im Honda-Werk, das im März seinen Betrieb wieder aufnahm, wurde die Kapazität bis Anfang April gemäss Angaben der Betreiber bereits auf 98% hochgefahren. Luo Ping, ein Offizieller der Epidemiekontrolle in Wuhan, sagte damals, dass einige Bereiche der Stadt bereits wieder 100% der Leistung erreicht hätten.
Doch für viele Ladenbesitzer und Geschäftsleute sieht die Realität ganz anders aus. Viele Läden sind nach wie vor geschlossen, wie verschiedene Journalisten melden. Ein CNN-Korrespondent, der am 21. April in die Stadt zurückkehrte und durch eine Einkaufsstrasse fuhr, berichtet, dass dort die Hälfte der Läden nach wie vor zu sei. Selbst die von China kontrollierte Presse befand, dass die Pläne wohl zu optimistisch seien, die Stadt würde bis Ende April wieder 100% ihrer Produktion erreichen, wie dies die Offiziellen am 25. April verkündeten.
Unternehmer in Wuhan erzählten CNN, dass sie mit null Einnahmen und enormen Mieten zu kämpfen hätten, und Experten meinten, dass die Wirtschaft der Stadt Monate brauchen könnte, um sich zu erholen – wenn nicht noch länger.
«Kurzfristig wird es natürlich eine Erholung geben», sagte Larry Hu, Wirtschaftswissenschaftler bei Macquarie Capital Limited gegenüber CNN. Zuerst würde sich die Produktion erholen und dann der Konsum. «Aber langfristig gesehen, aus einer Dreijahresperspektive betrachtet, wird der Virus das Wachstum von Wuhan auf längere Zeit beeinträchtigen».
Shaun Roache, Chefökonom für den asiatisch-pazifischen Raum bei S&P Global Ratings, sagte, Wuhan habe dem Rest der Welt die Lektion erteilt, dass ein rasches, frühzeitiges Handeln gegen das Coronavirus für die Wirtschaft kostspielig sei, aber zu einer schnelleren Wiedereröffnung führen könne.
«Aber Lockdowns haben einen unverhältnismässig grossen Einfluss auf kleine und mittlere Unternehmen», sagt Roache zu CNN. Diese Unternehmen hätten weniger Zugang zu Überbrückungskrediten, die ihnen den Aufschwung erleichtern, und können auch Schwierigkeiten haben, die Voraussetzungen für eine Öffnung zu erfüllen», so Roache.
Die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns sind massiv. Das BIP der Provinz Hubei, deren Hauptsadt Wuhan ist, schrumpfte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua im ersten Quartal 2020 im Jahresvergleich um fast 40%, wobei alleine die Einzelhandelsumsätze im März um mehr als 15% zurückgingen.
Die Regierung hat angekündigt, Unternehmen für drei Monate von der Miete zu befreien. Das gilt allerdings nur für Mieter von Gebäuden, die in Staatsbesitz sind. Für Mieter mit privaten Vermietern gilt dies nicht, was viele existenziell bedroht.
Ein Restaurantbesitzer erzählte der «Global Times», eine der zwei landesweiten englischsprachigen Tageszeitungen unter Staatskontrolle: «Ich öffnete mein Restaurant für zwei Tage. Kunden kamen keine zum Essen herein, da dies verboten ist. Über eine Online-Lieferplattform habe ich nur zwei, drei Bestellungen erhalten. Die Kosten für die Eröffnung waren viel höher, als ich jeden Tag einnehme, also habe ich wieder geschlossen.»
Von einem Alltag, wie man ihn kannte, sind die Menschen in Wuhan noch weit entfernt. Viele Einheimische verhalten sich noch immer vorsichtig. Nach über zwei Monaten in der Isolation und einem hart geführten Kampf gegen die Pandemie ist dies durchaus verständlich. In der Öffentlichkeit tragen alle eine Maske und halten konsequent Abstand zueinander, sagt Frau Luo dem Tagesspiegel.
Das hat allerdings noch einen weiteren Grund. Denn die Farbe der persönlichen QR-Codes kann sich schnell verändern, dafür muss man nicht einmal die 37,2 Grad Celsius überschreiten. Kommt man einer infizierten Person zu nahe, kann der Status von Grün zu Gelb wechseln. Das wiederum würde bedeuten, dass die Bewegungsfreiheit bereits wieder stark eingeschränkt wäre.
Die Hoffnung auf ein bisschen Normalität ist in Wuhan eng mit der Farbe Grün verknüpft. Doch Normal ist in Wuhan noch lange nichts – auch nicht mit grünem QR-Code.
Wie eingeschränkt das Leben selbst mit einem grünen Code ist, zeigt das Beispiel von Ulf Röller. Der ZDF-China-Korrespondent, der in Peking lebt, musste vor seiner Rückreise in die Hauptstadt zweimal einen Corona-Test machen, erst danach konnte er überhaupt ein Zugticket kaufen.
«Ohne den Test geht hier gar nichts», sagt Röller in seinem Beitrag für das ZDF. Im Zug sieht man, wie alle Menschen eine Maske tragen und Putzpersonal während der Fahrt den Zug desinfiziert. Nach sechs Stunden Fahrt wird Röller von den Behörden bereits erwartet.
In Peking muss Röller zunächst zum Gesundheits-Checkpoint, wo der Journalist seine positiven Corona-Tests vorlegen muss.
Vor seiner Wohnung wird Röller von zwei in Schutzanzügen gekleideten Männern empfangen. Keinen Schritt macht er unbeobachtet. Einer der Männer bringt Röller bis in seine Wohnung. Vor dem Apartment ist eine Überwachungskamera installiert, die auf die Eingangstüre Röllers gerichtet ist.
Sie überwacht nun zwei Wochen lang rund um die Uhr, dass der Journalist seine Wohnung nicht verlässt. So lange muss er in Quarantäne bleiben. Zweimal am Tag muss Röller zudem Fieber messen und die Temperatur der zuständigen Person in seinem Wohnblock melden. In der Hoffnung, dass sein QR-Code grün bleibt.
Das wünsch ich keinem. Sehen wir zu, dass es bei uns nicht eines Tages so kommt und halten wir Abstand und die Hygieneregeln ein und wehren den Leuten, die immer mehr Überwachung einführen wollen.