Es geht nicht ohne Frotzelei. Auch jetzt nicht, trotz halbwegs geglückter Wahl zum neuen CSU-Vorsitzenden und obwohl er sich gerade zum symbolträchtigen Bild mit Annegret Kramp-Karrenbauer aufstellt. Auch jetzt lässt Markus Söder es sich nicht nehmen, seinem Vorgänger Horst Seehofer auf offener Parteitagsbühne noch einen mitzugeben.
«Zwei Fehler» von Seehofer werde er diesmal nicht wiederholen, sagt Söder, an Kramp-Karrenbauer gewandt. Er wolle die CDU-Chefin diesmal nicht ohne Blumen empfangen. Und er wolle jetzt selbst gar nicht lange reden. Söder erinnert damit an eine Szene, die sich ins kollektive Gedächtnis der Union eingebrannt hat: Wie Seehofer 2015 Angela Merkel vor all den CSU-Delegierten demütigte. Wie er sie minutenlang belehrte, wie schlecht ihre Politik doch sei.
Das Plenum lacht. Seehofer grinst schief. «Sorry, Horst», ruft Söder.
Beide sind einander seit Jahren in inniger Abneigung verbunden. Seehofer wollte verhindern, dass Söder sein Nachfolger wird. Söder wiederum tat viel dafür, es trotzdem zu schaffen. Das ist allen bekannt. Wer es vergessen hat: Auf dem Parteitag wird es immer wieder betont, nicht zuletzt von Seehofer und Söder selbst. Oft in genau diesem Ton, als Anekdote, als Spässchen, in dem aber auch ein gewaltiger Funke Wahrheit mitschwingt.
Keine Frage: Die CSU ist eine unterhaltsame Partei mit einem gewissen Hang zur Theatralik. Das Sticheln und Spasseln gehört hier zur politischen Kultur. Die Delegierten, die schon vormittags mehr Weissbier als Kaffee trinken, goutieren das durchaus. Hart geführte innerparteiliche Machtkämpfe haben in Bayern Tradition. An einen mitunter grantigen, nachtragenden Umgang in den Führungsgremien hat man sich gewöhnt. Gleichzeitig hat die CSU aber auch das Selbstverständnis der quasi ewigen Regierungspartei. Das zwingt zum Pragmatismus, dazu, sich immer wieder zusammenzuraufen. Da dürfen die oft persönlich motivierten Zwiste nicht ausufern. Dabei hilft Humor.
Dennoch, all die Gaudi kann nicht verdecken, welch schwierige Zeit hinter der CSU liegt. Der harte Streit mit der CDU über die richtige Flüchtlingspolitik hat vor allem ihr selbst geschadet. Bei der Landtagswahl im Oktober straften die Wähler sie nicht nur ab, sondern hinterliessen ihr auch ein strategisches Dilemma. Etwa gleich viele wanderten zur AfD wie zu den Grünen ab. Die CSU ist sich seither uneins, welche Klientel Priorität in der Rückeroberung hat.
Markus Söder jedenfalls ist es wichtig, momentan möglichst moderat und integrativ aufzutreten. Markige Töne oder Hardlinerparolen gar hört man von ihm derzeit nicht. Vor gut einem halben Jahr sprach Söder noch von «Asyltourismus» und vom «Ende des Multilateralismus». Nun, in München, gibt er wie auch schon zuletzt den Geläuterten. Er wolle die richtigen Lehren aus 2018 ziehen, sagt er während seiner Bewerbungsrede. Streit lähme, langweile, nervte. Die Politik müsse wieder mehr auf Effizienz statt auf Effekte setzen.
Deshalb werbe er, «konstruktiv beseelt», für einen Neuanfang mit der CDU. Er wolle einladen, nicht ausgrenzen. Unter ihm solle die CSU proeuropäisch sein und sich neue Milieus erschliessen. Auch Migranten und Zugezogene umwirbt er explizit als neue Zielgruppe. Generell will die CSU digitaler und weiblicher werden. Die AfD attackiert Söder härter als die Grünen. Deren «Weg ins Rechtsextreme» müsse man genauestens beobachten. Klar, die CSU werde auch unter ihm für Sicherheit und Konservativismus stehen. Aber generell spielen die Themen Asylpolitik oder Islam diesmal so gut wie keine Rolle.
Es ist keine schlechte Rede. Sie ist selbstkritisch, unterhaltsam, nach vorn gewandt, demütig. Ein umfassendes Problembewusstsein kann man Söder nicht absprechen. Aber ist sie auch glaubwürdig? War Söder nicht selbst bis vor Kurzem noch der grösste Effekthascher und Profiprofilierer?
Nicht alle CSU-Delegierte nehmen Söder den Sinneswandel ab. Manche trauen ihm zu, dass er manches in ein paar Monaten womöglich wieder anders sieht. In der Partei hat er mächtige Gegner. Nicht nur unter den Gleichaltrigen, von denen der einstige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg der prominenteste ist. Auch sein Vor-Vorgänger Erwin Huber spricht nicht besonders freundlich über ihn. Von Seehofer ganz zu schweigen. Hinzu kommt Söders schwerer Stand in der Bevölkerung. Zur Landtagswahl im vergangenen Jahr galt er als der unbeliebteste Ministerpräsident Deutschlands.
Entsprechend umweht Söders Wahl an diesem Samstag kaum Euphorie. Das Ergebnis, mit dem er gewählt wird: 87.4 Prozent. Das ist nicht grandios, aber auch nicht blamabel. Er profitiert davon, dass viele in der CSU die Phase der öffentlichen Streitereien satthaben. Und da wirkt ein frisch beschädigter Vorsitzender eben nicht so passend.
Direkt nach Söders Rede steht Horst Seehofer auf und verlässt den Saal. Später kommt er wieder. Schliesslich wird er ja an diesem Tag noch zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Mit nur wenigen Gegenstimmen – und auf Vorschlag Söders, dessen knappe Laudatio auf Seehofer so klingt: Er habe von ihm viel gelernt, und man habe sich oft «gegenseitig geprüft». Noch so ein vergiftetes Kompliment.
Seehofer ist auf sein neues Amt als Ehrenvorsitzender stolz – und wohl auch ein wenig besänftigt nach dem lieblosen Abschied, den er zuvor erhalten hatte. Bei seiner Abschiedsrede am Morgen hatte er allenfalls höflichen, zurückhaltenden Applaus bekommen. Keine zwei Minuten lang. Nicht wenige der Delegierten, besonders aus Franken, hatten gar nicht geklatscht, sondern nur mit spöttischer Miene und verschränkten Armen seine letzten Worte als Parteichef verfolgt. Kein Vergleich zu Angela Merkel, die im Dezember auf dem Hamburger Parteitag der CDU mit viel Empathie und Wehmut aus dem Amt entlassen wurde.
Er finde es nicht richtig, dass Partei und Medien Seehofer zum «Sündenbock» für die verkorkste Landtagswahl machten, sagt Andreas Spreng. So heisst der Mann mit dem Schild. Seehofer selbst beklagte sich zuletzt oft über seine Rolle als «Watschnmann». Schliesslich habe er als Parteichef und Innenminister im Flüchtlingsstreit nur vertreten, was Basis und Vorstand von ihm verlangt hätten.
Viele andere sind froh, dass er geht. «Alles hat seine Zeit», sagen mehrere Delegierte wortgleich nach Seehofers Rede. Es steht höflich für: «Jetzt schleich di.» Der Vorstand hatte ihm zu verstehen gegeben, dass man ihn nicht länger an der Spitze dulde. Daher war der vorgezogene Sonderparteitag überhaupt nötig geworden.
Seehofer war immerhin zehn Jahre Vorsitzender der CSU, länger blieb bisher nur der Parteiheilige Franz Josef Strauss an der Spitze. Gemessen daran ist sein Abschied eher traurig. Eilig wird ein kurzes Video gezeigt, das verschiedene Stationen Seehofers zeigt. Die Vorsitzende der Frauen-Union würdigt ihn mit einer schlichten Rede. Seine Vizes schenken ihm einen Modellbau von der Parteizentrale – für seine Modelleisenbahn, die ihm bekanntlich wichtig ist. Seehofer freut sich. Da möchte man ja «gleich wieder einziehen», sagt er und lacht laut. Mehrere Delegierte stöhnen auf.
Die neue Geschlossenheit, die die CSU an diesem Tag so oft beschwört, hat etwas Künstliches. Seehofer selbst sagt, er habe in letzter Zeit viel «hingenommen und geschluckt». Jetzt wolle er dazu aber nichts mehr sagen. Dann deutet er aber doch immer wieder an, wie das vergangene Jahr ihn verletzt habe. Söder lobt er knapp als jemanden, der seine bisherigen Aufgaben «gut, sehr gut erledigt» habe.
Zum Abschied wendet er sich noch mit einer programmatischen Bitte an seine Partei: «Vergesst mir die kleinen Leute nicht!», warnt er. Zuletzt hatte Seehofer schon öfter an seine Prägung als Sozialpolitiker erinnert. Offenbar ist es ihm wichtig, zum Abschied noch mal darauf hinzuweisen.
Aber was heisst überhaupt Abschied? Zwar ist Seehofer bald 70 Jahre alt, aber immerhin noch amtierender Innenminister. Und das will er auch erst mal bleiben. Er wolle jedenfalls «nicht vor Merkel aufhören», heisst es laut Süddeutscher Zeitung aus seinem Umfeld. Er selbst sagte kürzlich, das Amt mache ihm Freude. Er brauche keine wöchentliche Jobgarantie.
Mal schauen, ob Söder das auch so sieht. Die ersten Spässchen in diese Richtung kommen bestimmt bald.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.