32 Jahre alt wird Sebastian Kurz im August. In diesem Alter fangen manche erst an, beruflich durchzustarten. Kurz ist bereits ganz oben angekommen. Seit letztem Herbst ist er Bundeskanzler der Republik Österreich, als Chef einer Koalition seiner ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ. Und am 1. Juli hat er für ein halbes Jahr den Ratsvorsitz der Europäischen Union übernommen.
Die Übergabe von Bulgarien an Österreich inszenierte Kurz natürlich hoch oben, auf fast 2000 Meter. Auf der Planai, dem Hausberg von Schladming, veranstaltete er ein «Gipfel-Picknick» mit dem bulgarischen Regierungschef Boiko Borissow und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Und machte nebenbei Werbung für die Olympiakandidatur Graz/Schladming 2026.
Sebastian Kurz steht auf symbolische Gesten. Der jugendliche Bundeskanzler lässt keine Gelegenheit aus, sich und sein Land ins beste Licht zu rücken. Im Wiener Kanzleramt bezog er nicht wie seine Vorgänger das Metternich-Zimmer, sondern das Kreisky-Zimmer. Es ist benannt nach dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Bruno Kreisky, dem wohl bedeutendsten österreichischen Politiker der Nachkriegszeit.
Kreiskys Domäne war die Aussenpolitik, in der sich auch Kurz als Ex-Aussenminister bevorzugt profiliert. Die EU-Ratspräsidentschaft stellt er unter das Motto «Ein Europa, das schützt». Was er meint, gab er in den letzten Wochen deutlich zu verstehen: Europa soll seine Aussengrenzen abriegeln, damit keine «illegalen Migranten» mehr auf den Kontinent gelangen.
Mitte Juni propagierte Kurz eine «Achse der Willigen» – ein politisch heikler Begriff – mit Italien und Deutschland. Was nicht bedeutet, dass der Bundeskanzler zur Rücknahme von Flüchtlingen bereit wäre. Entsprechend kritisch reagierte seine Regierung auf den «Kompromiss» zwischen CDU und CSU, der Transitzentren an der Grenze zur Österreich vorsieht.
Um ihre Haltung zu unterstreichen, liess Kurz FPÖ-Innenminister Herbert Kickl kürzlich eine PR-Show an der Grenze zu Slowenien inszenieren, bei der die Abwehr von Flüchtlingen geübt wurde, obwohl dort kaum noch welche ankommen. Die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Wochenende für einen verstärkten Grenzschutz und Aufnahmelager für Bootsflüchtlinge begrüsste Kurz ausdrücklich.
Bislang ist allerdings kein Land bereit, sich für solche Lager oder «Anlandepunkte» zur Verfügung zu stellen. Ägypten verwahrte sich wie zuvor Albanien oder Marokko dagegen, für Europa die asylpolitische «Drecksarbeit» zu erledigen. Sebastian Kurz ficht dies nicht an. Er will im Herbst einen EU-Afrika-Gipfel zu diesem Thema veranstalten, wie er dem ORF erklärte.
Trotz seiner harten Linie bemüht sich Österreichs Kanzler um Abgrenzung von den Nationalisten und Rechtspopulisten. Er ist kein polarisierender Schreihals wie der italienische Lega-Innenminister Matteo Salvini. Er gibt sich wohlerzogen, wie ein Muster-Schwiegersohn.
Und ein EU-Gegner ist er schon gar nicht, er betont im Gegenteil, wie wichtig ihm die europäische Sache ist. Der Schutz der Aussengrenzen sei Grundvoraussetzung, um das «Jahrhundertprojekt eines grenzfreien Schengenraums weiter bewahren zu können», sagte Kurz am Dienstag im EU-Parlament in Strassburg, wo er sein Programm für den Ratsvorsitz darlegte.
Scharfmacher auf der einen Seite, Stimme der Vernunft auf der anderen. Für Sebastian Kurz ist das kein Widerspruch. «Brückenbauer» ist der Ausdruck, den er für sich am liebsten verwendet und offensiv anwendet, wie seine Aktivitäten im Monat Juni zeigten:
Seine Gratwanderung zwischen Hardlinern und Proeuropäern wird durchaus kritisch begleitet. «Faltenfrei, weil glatt gebügelt, verkörpert er einen Rechtspopulismus mit freundlichem Antlitz», schrieb die «Süddeutsche Zeitung». An Versuchen, Kurz zu vereinnahmen, fehlt es nicht. Richard Grenell, der undiplomatische US-Botschafter in Berlin, rühmte ihn als «Rockstar» der Politik und lud ihn anlässlich eines Besuchs bei Angela Merkel zum Mittagessen ein.
Der gemeinsame Lunch fand nicht statt, angeblich aus Termingründen. Und als Jörg Meuthen, der Vorsitzende der AfD, Kurz am Parteitag vom Wochenende als Verbündeten bezeichnete, liess der Kanzler über seinen Sprecher mitteilen: «Wir sind eine klar pro-europäische Bundesregierung.» Ihre Verbündeten in Deutschland seien Angela Merkel und ihre Regierung, nicht die AfD.
Für seine Kritiker ist Sebastian Kurz einfach nur ein Opportunist, dem es vor allem darum gehe, «dass er bei den nächsten Wahlen wieder nationale Wähler absaugen wolle», wie der österreichische Schriftsteller Robert Menasse dem Deutschlandfunk erklärte. Kurz habe keine Vorstellung von einem künftigen Europa, sagte der Autor des Brüssel-Romans «Die Hauptstadt».
Sebastian Kurz sei eigentlich ein Angehöriger der Erasmus-Generation, sagte Menasse weiter. «Aber er hat nie Erasmus gemacht. Er hat befürchtet, ein Jahr in seiner nationalen Karriere zu verlieren, wenn er an einer ausländischen Universität studiert hätte», so der preisgekrönte Autor.
In die gleiche Kerbe hieb Matthias Strolz, bis Ende Juni Vorsitzender der liberalen Partei Neos und Gegenspieler von Kurz im österreichischen Parlament: «Ich zweifle nicht an seinen grossen polit-handwerklichen Fähigkeiten. Die sind aussergewöhnlich. Ich zweifle an seiner inhaltlichen Vision. Er hat keine. Er wurde Bundeskanzler, weil er erkannt hatte, dass er Bundeskanzler werden kann.»
Als Opportunist der Macht sei niemand geschickter als Sebastian Kurz, so Strolz in seinem Gastbeitrag für die Zeit. Deshalb stelle er das Flüchtlingsthema ins Zentrum, denn dieses sei am einfachsten zu emotionalisieren. «Hier lässt sich am zügigsten der grösste Effekt erzielen – ohne Rücksicht auf moralische, praktische und sonstige Verluste und Schäden», schreibt Strolz. Sein Fazit zu Kurz lautet deshalb: «Europa wird noch viel von ihm hören.»