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Simon «Mac» McDermott hat die Kamera auf dem Armaturenbrett eingeschaltet und steuert das Auto. Neben ihm sitzt sein Vater Ted.
Der Senior war einst Sänger, und immer wenn die richtige Musik ertönt, hat der demente Mann lichte Momente, in denen sein Alzheimer in den Hintergrund rückt. Die beiden schmettern «Quando Quando Quando» – wer ihnen dabei zusieht, dem entfährt ein unwillkürliches, herzliches lächeln.
Dieser Clip berührt. Er trifft dich. Weil du siehst, wie gelöst der Senior aus vollem Herzen mitsingt. Aber noch mehr, weil du merkst, wie sehr sich sein Sohn über den Moment freut. Dann ahnst du, dass nicht immer alles so eitel Sonnenschein ist, wie auf jener kleinen Fahrt zum Supermarkt in der Stadt Blackburn.
Und es geht nicht nur dir so: Das Video auf YouTube wurde seit Anfang August 1,2 Millionen Mal angesehen. Dabei begann alles hochgradig bescheiden: Simon McDermott wollte mit dem Clip eigentlich bloss 1000 Pfund für die Alzheimer-Gesellschaft sammeln, weil deren Hotline ihm so oft in seiner Not geholfen hat.
«Je stärker der Alzheimer zuschlägt, desto gewalttätiger wurde Dad – physisch wie auch verbal. Es war unglaublich schwer, damit umzugehen. Und manchmal auch erschreckend», schreibt McDermott Junior auf der Crowdfunding-Plattform «Just Giving». McDermott Senior war ursprünglich Fabrikarbeiter, aber auch Sänger bei der Gruppe Butlin's Redcoat.
Weil der Engländer so viele Songs und ihre Texte kannte, nannten ihn alle bloss «The Songaminute Man». Nun ist das Repertoire an Liedern einer der letzten Bereiche seines Kopfes, die der Alzheimer noch nicht zerstört hat. «In den letzten paar Jahren ist sein Gedächtnis ziemlich verfallen. Oft erkennt er mich nicht mehr», beschreibt der Sohn. «Es ist eine schreckliche Krankheit.»
Erst werden einige Medien und dann das ganze Land auf die Familie aufmerksam, die seit 2013 gegen die Demenz kämpft. Von BBC über Daily Mail bis zum Independent berichtet die britische Presse, dann ziehen US-Häuser wie CBS oder Today nach.
Inzwischen bekommt «Mac» Nachrichten «von Menschen aus aller Welt, die sagen, dass ihnen das Video so viel Freude gemacht hat», staunte der 40-Jährige laut BBC. Das erklärte Ziel, 1000 Pfund zu sammeln, wird quasi gesprengt. Es wurde nach aktuellem Stand um 11'000 Prozent übertroffen: Knapp 110'000 Pfund stehen derzeit zu Buche.
Simon muss überwältigt sein von diesem Erfolg. Ich muss mit ihm darüber reden. Nicht zuletzt, weil sein Fall mich an den meiner Mutter erinnert. Auch sie litt an Demenz: Bei ihr waren es Erinnerungen an ihre Kindheit in Bern-Bümpliz, die am längsten präsent waren. Am vitalsten war sie zum Ende, wenn sie den Gottesdienst in ihrem Heim besuchte und dort singen konnte.
Auf meinen ersten Versuch einer Kontaktaufnahme über Facebook erhalte ich keine Antwort. Ich denke an die schmerzhaftesten Momente, die mich die Krankheit mit meiner Mutter erleben liess. So wie im «mittleren Stadium», als noch nicht das meiste vergessen ist, aber die Patienten noch merken, dass ihnen der Geist entgleitet.
Oder an Weihnachten, als Mama Magenschmerzen hat, und alle drei Minuten nach einer Tablette fragt, weil sie nicht mehr weiss, dass sie gerade eine bekommen hat. Und zwar nachts. Ich versuche, den Prellbock zu spielen, damit mein Vater wenigstens ein bisschen Schlaf bekommt. Kennt Simon solche Momente auch?
Ich versuche, den Engländer über seinen Arbeitgeber zu erwischen. McDermott arbeitet bei einer NGO, die sich Kindern verschrieben hat. Ich schreibe ein neues Mail, in dem ich meinen eigenen Fall schildere und zu Bedenken gebe, dass das Thema eine ganze Generation betrifft.
Doch mein Schreiben kommt zurück, und mein Kollege aus der IT erklärt mir, dass die Adresse richtig, aber das Postfach offenbar überfüllt ist. Ich bitte sogar den Pressesprecher der Firma um einen Rückruf, der jedoch nie kommt.
Mir ist mittlerweile klar: Simon McDermott wollte mit einer kleinen Geste etwas Gutes tun. Er hat dabei den Medien quasi den kleinen Finger gegeben, und nachdem sein Video viral gegangen ist, will die Presse nun die ganze Hand.
Ich werde Simon nicht mehr erreichen, aber dass der Mann derart mit persönlichen Nachrichten und Medienanfragen bombardiert wird, sagt ja auch etwas aus.
Es gibt Tausende wie ihn und mich. Die erwachsenen Kinder, eine ganze Generation, die als Angehörige passiv von Alzheimer und Demenz betroffen sind. Die die dunklen Stunden erleben, in denen eine Mutter nicht mehr sie selbst oder ein Vater wie von Sinnen ist. Und auch wenn ich kein Interview mit Simon McDermott machen konnte, weiss ich, dass ich nicht alleine bin.
Für Christiane