Oksana Schatschko ist jetzt tot. Und zu den vielen Eindrücken, die sie auf Menschen machte, den Spuren, der Kunst, der Kraft, die sie hinterlässt, gehört auch ein Film: «Je suis Femen» von Alain Margot, einem Filmemacher aus der Romandie.
«Meine Tochter ist eine Jeanne d'Arc oder eine Clara Zetkin. Sie ist eine Revolutionärin», sagt ihre Mutter stolz im Film. Und dass sie ihrer Oksana leider ausser ihrer grenzenlosen Liebe und ihrer mütterlichen Angst nicht viel mehr mitgeben könne. Oksana kämpfte gegen Ideen und Ideologien. «Keine Idee ist es wert, dass ein Mensch sein Leben lässt und ich mein Kind verliere», sagt die Mutter.
Der Film beginnt mit einem Femen-Protest in Kiew – gegen das Schicksal einer andern Oksana. Sie ist erst 18, wurde von drei Männern bewusstlos geschlagen, vergewaltigt, in ein Tuch gewickelt und angezündet. Während die Femen-Frauen mit nackten Brüsten die Kastration der Vergewaltiger fordern, liegt sie auf der Intensivstation. Arme und Beine mussten bereits amputiert werden. Wenig später stirbt sie. Zwei der Täter sind schon wieder frei, sie sind die Söhne ehemaliger Beamten.
Vier Frauen haben Femen gegründet, Oksana ist eine davon. Sie haben sich im ukrainischen Provinzstädtchen Chmelnyzkyj gefunden, sie waren damals 14 und 15 Jahre alt, interessierten sich für Philosophie und Protest, aber auch für Mode und Beauty. 2008, als Oksana 21 ist, gründen sie Femen, ihre erste Aktion heisst «Die Ukraine ist kein Bordell» und wendet sich gegen Mädchenhandel, zwei Jahre später beginnt der Kampf mit den nackten Brüsten. Es ist ihre «Radikalisierung», sagt Oksana, die Medienaufmerksamkeit ist ihnen sicher. Femen ist «aggressiv, stark, schön und sexy». Und sehr, sehr laut.
Das Patriarchat, befinden sie, sei nicht nur der Feind der Frauen, sondern der Feind aller Menschen. Und der Tiere. In Kiew protestieren sie mit Blut und Kadaver-Teilen gegen einen Zoodirektor, in dessen Zoo auffallend viele Tiere sterben. Sie sind überzeugt, dass der Direktor die Tiere vergiftet, um den Zoo zu leeren und das Grundstück teuer zu verkaufen.
Immer wieder werden sie verhaftet. In der Ukraine. In Weissrussland. In Russland. Verschwinden für ein paar Tage oder Wochen. Kommen wieder und erzählen, was ihnen niemand glauben mag: Dass sie nach einer Aktion in Minsk von maskierten Männern in einen Wald gefahren worden seien, wo sie sich ausziehen mussten, geschlagen und mit Motorenöl übergossen wurden. Wo man sie zwang, Plakate mit Hakenkreuzen in die Höhe zu halten, und ihnen mit Messern die Haare absäbelte. Es soll alles gefilmt worden sein.
Oksana ist die Kreativdirektorin der Bewegung. Die Künstlerin. Sie entwirft die Ikonographie der Gruppe, das Logo mit den blau-gelb abstrahierten Brüsten, dank dem Femen einen erfolgreichen Webshop mit Merchandise-Artikeln führen kann. Sie designt Masken, Kostüme, Choreographien, Körperbemalungen, den Ablauf ganzer Aktionen.
Schon als Kind ist sie auffallend kreativ. Ihr Vater, ein Fabrikarbeiter, erkennt ihr Talent, lässt sie Kunstunterricht nehmen und sie lernt klassische russische Ikonenmalerei.
So verbissen widmet sie sich den traditionellen Mariendarstellungen, dass ihre Eltern sich Sorgen machen. Kurz bevor sie die späteren Femen-Frauen kennen lernt, will sie ins Kloster gehen. «Meine Mutter wurde hysterisch, alle Verwandten versuchten, mich zu einem weltlichen Leben zu überreden, als wäre ein Kloster eine Hölle.» Oksana wird keine Nonne. Sie sucht ihr Glück mit heiligem Ernst im andern Extrem. Im Nacktprotest.
Femen ist ein Erfolg. Die Frauen werden von andern Organisationen ins Ausland eingeladen, um den lokalen Protesten mediale Durchschlagkraft zu geben. Oft beteiligen sich TV-Sender an ihren Reisespesen, mit Femen macht man schliesslich Quote. Femen-Ableger entstehen, 2016 auch in den USA.
Das Business läuft. Die Künstlerinnengruppe Femen kann sich von Spenden, Webshop und Einladungen ernähren. In Moskau protestieren sie gegen die Wiederwahl Putins, in Zürich gegen die Vergabe der Eishockey-WM 2014 an Weissrussland, in Paris unterstützen sie arabischstämmige Frauen, einmal stürmen sie das Finale von «Germany's Next Topmodel».
Zuhause kämpfen sie für die Kolleginnen von Pussy Riot, mit denen sie der Punk verbindet. Und auch wenn es von aussen nicht ganz so sichtbar sein mag: Sie bemühen sich um reflektierte Haltungen. Kritisieren nicht nur die Regierung, sondern immer auch die Opposition. Alte Frauen jubeln ihnen auf der Strasse zu.
Doch im Sommer 2013 werden die Femen-Feministinnen in ihrem Büro in Kiew überfallen und zusammengeschlagen. Oksana werden beide Arme gebrochen. Sie jammert nicht. Sie jammert nie, sagt ihre Mutter, es gibt für sie nur eine Denkbewegung: vorwärts, weiter. Ihre Vision ist die Mission. Nach dem Überfall findet die Polizei Waffen und Bomben im Femen-Büro. Sind sie dort platziert worden? Die Frauen sind sich dessen sicher. Die Anklage gegen sie lautet jetzt: Terrorismus. Sie fliehen. Hier endet der Film.
Oksana verlässt Femen 2014, sie überwirft sich mit ihrer Ko-Gründerin Inna Shevchenko, die als Tochter eines Militärs Femen zu militarisieren und hierarchisieren versucht. Oksana wird in Paris als politischer Flüchtling anerkannt. Sie lebt dort zunächst als Restaurateurin alter Ikonen, dann als freie Künstlerin.
Sie malt Engel mit Unterhaltungselektronik, Heilige mit Kalaschnikovs und Burkas. Sie lässt Christus vom Kreuz nehmen und befriedigen. 2017 schreibt sie sich an der Kunsthochschule in Paris ein. Ihr Lehrer, der Künstler Olivier Blanckart, sagt, leider könne er ihr nichts mehr beibringen.
Vier Tage vor ihrem Tod schreibt sie auf Instagram: «I think nothing of what I wrote.» Ich halte nichts von dem, was ich geschrieben habe. Nach dem Film klingt das brutal. Und fatalistisch. Denn Oksana hat ihr Leben lang sehr viel geschrieben, unzählige Hefte mit Aufzeichnungen, Manifesten und Plänen gefüllt.
Drei Tage vor ihrem Tod schreib sie: «You are fake.» Du bist falsch. Was in ihrem – vermeintlichen – Abschiedsbrief steht, ist noch nicht bekannt.
Oksana Schatschko wird nur 31 Jahre alt. Ihr junges, bewegtes, sich vorwärts bewegendes Leben wird abrupt angehalten. Ob von ihr selbst oder von andern ermittelt die Pariser Polizei.
«Je suis Femen» ist auf iTunes erhältlich.