Die neue, viel ansteckendere Corona-Mutante Omikron breitet sich auch in der Schweiz aus.
Nun wird berichtet, die neue Variante sei zwar infektiöser, führe aber zu weniger Krankenhauseinweisungen, scheint also zu milderen Verläufen zu führen. Für einige ein Hoffnungsschimmer. Das Zauberwort Endemie taucht auf. Doch was bedeutet ein endemischer Zustand? Und ist Omikron wirklich der Weg dorthin?
In einer Epidemie treten bestimmte Infektionskrankheiten in einer spezifischen Region über einen begrenzten Zeitraum auf. So erklärt das Deutsche Rote Kreuz (DRK): «Bei einer Epidemie breitet sich eine ansteckende Krankheit schnell regional aus und führt zu einer überdurchschnittlich grossen Zahl von Erkrankten. Dabei handelt es sich meist um Infektionskrankheiten, welche durch ein Virus oder Bakterien übertragen werden. Aber auch Pilze, Parasiten und verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel können zu einer Epidemie führen.»
Von einer Pandemie wird dann gesprochen, wenn sich eine Epidemie über Ländergrenzen, ganze Kontinente hinaus oder sogar global ausbreitet. Verursacht werden sie meist von neu auftretenden Krankheitserregern oder Virustypen, die zum Beispiel von Tieren auf den Menschen übergesprungen sein können. Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die weltweite Ausbreitung von Covid-19 zu einer Pandemie. Durch die fehlende Immunität gegen diese neuen Erreger erkranken sehr viele Menschen. Wie schwer hängt vom Virus und dem Allgemeinzustand der Infizierten ab.
Rein medizinisch wird damit ein Zustand benannt, in dem eine bestimmte Krankheit in einigen Regionen regelmässig auftritt. Das DRK dazu: «Endemien sind regional fortwährend gehäuft auftretende Krankheiten mit wiederkehrenden Ausbrüchen, die bei einem grossen Teil der in der Region lebenden Bevölkerung auftreten.» Die Zahl der Erkrankten ist dabei höher als in anderen Regionen, bleibt aber relativ konstant. Es erkranken also etwa ungefähr die gleiche Anzahl von Menschen in einem bestimmten Zeitraum.
Im Mai 2020 erklärte die WHO, sie ginge davon aus, dass auch das Coronavirus zu einem endemischen Virus werden könnte. Ähnlich wie das Grippevirus mutiert es und passt sich immer wieder an.
Deutlich wird: Auch wenn SARS-CoV-2 irgendwann endemisch werden würde, wäre es nicht aus der Welt und würde weiter zu Krankheits- und auch zu Todesfällen führen. Bereits im September erklärte der britische Infektiologe und Direktor des Wellcome Trust, Jeremy Farrar: «Wir müssen unsere Denkweise über das Ende der Pandemie ändern, weil wir in eine neue Phase der Endemie mit unterschiedlichen Auswirkungen in verschiedenen Teilen der Welt eintreten, die weitgehend durch den ungerechten Zugang zu den Instrumenten, die wir brauchen, und den Interventionen bestimmt ist. Das Ende der Pandemie zu sehen, ist verfrüht.»
Welche Last durch den Umstand eintritt, dass ein Virus endemisch wird, hängt auch von Schutzmassnahmen und der Stärke des Gesundheitssystems ab.
Vielfach wird diskutiert, dass die neue Variante zu allgemein milderen Krankheitsverläufen führen könnte und das Virus damit harmloser wird. So erklärte der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung in Bremen am Mittwoch im Redaktionsnetzwerk Deutschland: «Ich gehe aktuell davon aus, dass wir mit Omikron den Schritt in die Endemie schneller machen können.»
Bei Omikron sei man in der Situation, dass relativ milde klinische Situationen bei hoher Infektiosität beobachtet würden. Zeeb: «Das sind typischerweise Merkmale für einen Virus, mit dem wir gut leben können als Menschen. Wir haben sonst auch viel mit Viren zu tun, die in etwa derart agieren, dass sie uns nicht in grossem Stil krank machen. Wenn sich Omikron da einreiht, wäre das nicht das Schlechteste.»
Doch klar ist: Es gibt keinen Automatismus dafür, dass aggressivere Viren allmählich harmloser werden. «Eine solche Entwicklung kann zwar durchaus eintreten», sagte der Virologe Friedemann Weber von der Universität Giessen dem Tagesspiegel. «Allerdings ist der Weg zu harmloseren Viren keineswegs sicher, es gibt auch eine ganze Reihe von Gegenbeispielen.»
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten: «Ich gehe davon aus, dass Omikron die SARS-CoV-2-Variante sein wird, die uns in die endemische Phase begleiten wird.» Dieses Virus werde wegen seiner enormen Infektiosität das erste postpandemische Virus werden.
Doch er stellt auch klar: Das kann noch lange dauern. Drosten: «Es wird in England wohl noch zwei Wellen bis zur endemischen Situation geben. Einmal infizieren sich von Weihnachten bis Ostern noch einmal viele Menschen. Dann kommt ein entspannter Sommer. Und dann wird es im Herbst noch einmal eine Nachdurchseuchung geben, wo man wohl auch noch einmal mit den angepassten Vakzinen dagegen boostern muss. Danach wird man sagen können: Die endemische Phase ist jetzt erreicht.»
In Deutschland – und auch der Schweiz – könnte es viel schwieriger werden – wegen der grossen Impflücken. Drosten: «Das Boostern ist wichtig, aber es gibt auch noch viel zu viele gar nicht geimpfte Menschen über 60 Jahre, die die Infektion bisher nicht durchgemacht haben. Wenn wir das Virus jetzt durchlaufen lassen, werden wir viele Tote haben und volle Intensivstationen.»
Deutlich wird: Selbst wenn das Coronavirus auch hierzulande endemisch werden sollte, ist es bis dahin noch ein langer Weg. Und selbst dann bietet dies nicht den von vielen ersehnten Ausweg. So warnt der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus seit Langem: «Niemand ist sicher, solange nicht alle geschützt sind.»
Und auch der Modellierer Thorsten Lehr von der Universität Saarland stellt im Interview mit t-online klar: «Zunächst mal: Endemisch heisst nicht, dass dann alles gut ist. Wir sind nicht am Ende mit diesem Virus, und solange keine Grundimmunität in der Weltbevölkerung erreicht ist, werden wir immer wieder die Gefahr von neuen Mutanten haben. Wir brauchen eine globale Strategie, um das in den Griff zu bekommen. Der Impfstoff muss die ganze Welt erreichen.»
Eine tiefe Impfquote verlängert die Einschränkungen für alle. Also sollten Politik und Wirtschaft in ihrem Interesse mit Massnahmen zur Durchimpfung reagieren.
Ich empfehle allen, die das noch nicht getan haben, sich impfen zu lassen. Man kann es nicht genug wiederholen.