Besser hätte die Referendumsabstimmung für den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont kaum laufen können: 90 Prozent sprachen sich für eine Abspaltung von Spanien aus. Und als Bonus lieferte ihm die spanische Regierung mit ihrem massiven und gewaltsamen Polizeieinsatz ein weiteres Argument.
Aus Sicht von Puigdemont eine gute Grundlage, um die Unabhängigkeit Kataloniens zu verkünden – auch wenn das Abstimmungsergebnis nicht als legitim bezeichnet wird.
Noch in der Nacht auf Sonntag sagte Puigdemont: «Wir haben uns das Recht auf einen unabhängigen Staat verdient.» Bislang blieb die offizielle Unabhängigkeitserkläung allerdings aus.
Oriol Bartomeus, Politikwissenschaftler an der autonomen Universität in Barcelona, geht aber davon aus, dass diese noch folgen wird. Die Separatisten seien vom Ergebnis des Referendums gefangen, und gezwungen ihre Versprechen einzuhalten, sagte er gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP: «Es ist wie ein Schneeball, der einen Berg hinunter rollt, es wird schneller und schneller und niemand kann es aufhalten.»
Dank ihrer starken Wirtschaft und der guten Infrastruktur gehen Experten davon aus, dass Katalonien als eigener Staat funktionieren könnte. Dies belegt auch die folgende Zahl: Mit der Unabhängigkeit Kataloniens würde Spanien auf einen Schlag einen Sechstel seiner Wirtschaftskraft verlieren.
Doch Katalonien würde auch auf grosse Schwierigkeiten treffen. So wäre der neu gegründete Staat mit der Erklärung der Unabhängigkeit nicht ein sofortiges Mitglied der EU. Zwar ist dies nicht offiziell geregelt, lässt sich aber aus der sogenannten Prodi-Doktrin ableiten.
2004 sagte der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, ein Gebiet, das sich von einem Mitgliedsland abspalte und unabhängig werde, sei fortan «ein Drittstaat».
Klar könnte Katalonien versuchen der EU beizutreten. Doch das wäre nicht so einfach. Um in die Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden, braucht es die Stimmen aller bisherigen Mitglieder. Also auch jene von Spanien.
Im ersten Szenario wurde vorausgesetzt, dass Spaniens Regierung der Abspaltung von Katalonien untätig zusieht – was sie aber kaum tun wird. Darauf deuten zumindest die abgegebenen Voten der letzten Tage.
So sagte beispielsweise Spaniens Justizminister Rafael Catala, dass die Regierung alle gesetzlich möglichen Massnahmen ergreifen würde, um eine Unabhängigkeitserklärung zu blockieren. Und auch Javier Perez Royo, Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla sagt: Wenn Katalonien die Unabhängigkeit erklären würde, «wäre der Staat gezwungen zu intervenieren».
Das heisst vor allem eines: Spanien würde erstmals in der Geschichte den Artikel 155 der Verfassung anwenden. Dieser erlaubt der Zentralregierung, eine Regionalregierung abzusetzen, die gegen die Verfassung oder andere Gesetze verstösst. Was die Regierung Kataloniens mit der Unabhängigkeitserklärung tun würde, ja sie tat es eigentlich bereits als sie das Referendum ohne die Erlaubnis Madrids durchführte. Sprich Spaniens Regierung könnte sich bereits jetzt auf den Artikel 155 berufen.
Dass die Regierung von Spanien durchaus zu solchen Schritten bereit ist, zeigte bereits der 14. September. An diesem Tag nahm die spanische Polizei 14 katalansiche Regierungsbeamte fest, die bei der Vorbereitung des Referendums eine Rolle spielten.
Wenn Madrid tatsächlich ihre Trumpf-Karte ausspielt und die Kontrolle über Katalonien übernimmt, würde es in der Region unausweichlich zu grossen Protesten kommen. Es ist zu befürchten, dass es dabei nicht friedlich bleiben würde und es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden kommt. Zudem könnten radikale Gruppierungen Aufwind bekommen.
Noch wäre ein Kompromiss im Bereich des Möglichen. Denn Katalonien fordert in erster Linie mehr Autonomie und eine finanzielle Entlastung. Die Region fühlt sich vor allem durch den Finanzausgleich benachteiligt. Ihr Anteil sei zu hoch, moniert die Regionalregierung schon seit Jahren.
Doch dazu müsste es erstmals zu Gesprächen kommen. Spaniens Premierminister Mariano Rajoy schlug in den letzten Tagen wenig versöhnliche Töne an und berief sich darauf, dass seine Regierung sich juristisch im Recht befinde und Katalonien im Unrecht. Was tatsächlich stimmt.
Doch Rajoy trägt eine Mitschuld an der Eskalation. Er hat in den letzten Jahren die Autonomierechte Kataloniens abgebaut, anstatt das Gespräch mit der stärksten spanischen Wirtschaftsregion zu suchen.
Viele Beobachter hoffen nun, dass es ein neutraler Vermittler schafft, die beiden Parteien doch noch zu Gesprächen zu bewegen. Und auch in Katalonien gibt es Stimmen, die statt einer sofortigen Unabhängigkeitserklärung, Neuwahlen fordern.
Aus diesen würden die Separisten vermutlich verstärkt hervorgehen, was sie in eine bessere Verhandlungsposition mit Madrid bringen würde. Zudem würde man Zeit für Verhandlungen gewinnen.