Derzeit grassiert die grösste jemals dokumentierte Vogelgrippewelle bei Vögeln, die sich über mehrere Erdteile erstreckt. Bereits sind mehr als 200 Millionen Vögel dem Influenzavirus zum Opfer gefallen.
Experten befürchten nun, dass sich das Virus immer mehr an Säugetiere anpasst und dadurch auch dem Menschen gefährlicher werden könnte. Zeit also, um einen genaueren Blick darauf zu werfen, was wir über die Vogelgrippe wissen – und was nicht.
Die Vogelgrippe ist ein hochgradig ansteckendes Influenzavirus, das von Vögeln ausgeht. Das Virus wird durch den Kontakt mit Nasensekret, Kot oder Speichel infizierter Tiere sowie durch den Kontakt mit kontaminierten Oberflächen übertragen. Das Einatmen von erregerhaltigem Staub, der mit virushaltigem Kot in Kontakt war, kann ebenfalls bereits zur Ansteckung führen.
Wie bei allen Viren gibt es auch bei der Vogelgrippe verschiedene Virusstämme. So können beispielsweise Vogelgrippeviren, die erstmals bei Vögeln in Asien nachgewiesen wurden, als genetisch anders erkannt werden als solche, die erstmals bei Vögeln in Nordamerika nachgewiesen wurden. Die Version, die derzeit am stärksten grassiert, heisst H5N1. Es gibt mehrere Subtypen, und die derzeit im Umlauf befindlichen H5N1-Vogelgrippeviren unterscheiden sich genetisch von früheren Versionen des Virus.
H5N1 ist nicht neu: Erstmals wissenschaftlich dokumentiert wurde dieser Subtyp 1959 in Schottland. Seit Ende der 90er Jahre tritt H5N1 aber vermehrt auf und sorgt für diverse Ausbrüche.
Gemäss Zahlen der BBC sind der aktuellen Vogelgrippewelle, die bereits im Oktober 2021 begonnen hat, mehr als 200 Millionen Vögel zum Opfer gefallen.
Obwohl alle Vogelarten betroffen sind, wird H5N1 nicht bei allen Vögeln gleich schnell übertragen, und auch die Gefahr variiert zwischen den Tieren. Vogelgrippe-Viren kommen weltweit unter wilden Wasservögeln vor und können Hausgeflügel und andere Vogel- und Tierarten infizieren. Zu den wildlebenden Wasservögeln gehören Enten, Gänse, Schwäne, Möwen und Seeschwalben sowie Ufervögel wie Störche, Regenpfeifer und Strandläufer.
Wild lebende Wasservögel, insbesondere Schnatterenten, gelten deshalb als «Reservoir» (Wirte) für Vogelgrippe-A-Viren. Allerdings entwickeln diese Wirte, so zum Beispiel Enten, oft keine Symptome. Da die Viren aber unter Vögeln hoch ansteckend sind und gewisse Vogelarten sie durch ihr Wanderverhalten weit verbreiten, können sie auch domestizierte Vogelarten wie Hühner, Enten und Puten krank machen. Die Krankheit befällt hier mehrere innere Organe und führt bei 90 bis 100 Prozent der Hühner innerhalb von 48 Stunden nach der Infektion zum Tod.
Mittlerweile hat H5N1 auch die Schweiz erfasst: Anfang Februar wurde die Vogelgrippe bei Schwarzschwänen im Kanton Zürich nachgewiesen, kurz darauf wurden mit H5N1 infizierte Möwen im Kanton Zug entdeckt, ebenso in der Westschweiz. Auch im Kanton Baselland wurde im Februar erstmals die Vogelgrippe bei zwei Wildvögeln nachgewiesen.
Dass sich Säugetiere mit dem Vogelgrippevirus anstecken können, ist an sich nichts Neues. Berichte darüber haben sich in den letzten 18 Monaten allerdings vermehrt.
CNN beispielsweise schreibt, alleine in den USA seien Fälle bei Füchsen, einem Luchs, einem Stinktier und einem Waschbären, und sogar bei Bären, Berglöwen, Robben und einem Delfin gefunden worden. Insgesamt wurden bekanntlich 17 Nicht-Vogelarten in den Staaten infiziert. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich all diese kranken Säugetiere mit dem Virus angesteckt haben, als sie infizierte Vögel gefressen oder anderweitig mit ihnen interagiert haben. Doch H5N1 wütet global; die betroffenen Länder reichen von Finnland über die Färöer bis Irland, von Russland bis Portugal.
Aufsehen erregte kürzlich eine grosse Gruppe von Robben im Kaspischen Meer: Die staatliche russische Universität in Dagestan berichtete, dass im frühen Dezember 700 tote Robben entdeckt worden seien. Tests hätten ergäben, dass die Robben mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert gewesen seien. Ob die Tiere aber tatsächlich daran gestorben sind, müsse noch untersucht werden. Möglich ist es: Im Sommer davor waren Wildvögel auf einer nahegelegenen Insel vom hochansteckenden Typ H5N1 betroffen.
Eine besorgniserregende Entwicklung fand jedoch im vergangenen Herbst statt, als sich das Virus – vielleicht zum ersten Mal – auf einer Nerzfarm in Galicien von Säugetier zu Säugetier zu verbreiten schien. Als Folge davon mussten 50'000 Nerze getötet werden.
Das Virus breitete sich zwar nicht auf den Menschen aus, die auf der Nerzfarm arbeiteten. Was die Wissenschaftler jedoch beunruhigte, waren die zahlreichen Mutationen, die in dem Virus gefunden wurden und die es von den bei Vögeln gefundenen Sequenzen unterscheiden. Eine Mutation führte dazu, dass sich das Virus besser in Säugetieren replizieren konnte. Es ist jedoch nicht klar, ob die Mutation bereits im Virus vorhanden war, bevor es auf die Farm gelangte.
Vogelgrippe-A-Viren infizieren den Menschen nur selten. Allerdings gehört der aktuell grassierende Subtyp H5N1 zu denjenigen, welche die meisten beim Menschen gemeldeten Infektionen verursachen. Seit 1997 haben sich knapp 900 Menschen nachweislich mit dieser Vogelgrippe angesteckt. Fast die Hälfte dieser Menschen ist daran gestorben.
Die andere Variante der Vogelgrippe, die ebenfalls zu mehreren Ansteckungen im Menschen führte – H7N9 – wurde bislang in 1568 Fällen im Labor bestätigt, 616 davon endeten tödlich.
Bislang konnte man noch keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung nachweisen; Personen, die sich mit H5N1 infizierten, taten dies über engen Kontakt zu Vögeln. Bei Infizierten treten in der Regel grippeartige Symptome wie Fieber, Husten, Hals- und Muskelschmerzen auf. Mitunter kommt es zu einer Bindehautentzündung. Manche Betroffene haben Atembeschwerden oder leiden an einer Lungenentzündung.
Wie so oft hängt das, was wir noch nicht wissen – und was am meisten beunruhigen dürfte –, vor allem mit der zukünftigen Entwicklung des Virus zusammen.
H5N1 hat sich also weit über Vögel hinaus ausgebreitet, und die jüngste Verbreitung unter Angehörigen einer anderen Spezies lässt einige Experten über die Art und Weise, wie sich das Virus verändert, besorgt sein.
Zwar gibt die WHO in ihrem Risikoanalyse-Bericht vom Januar vorerst Entwarnung: Das Virus besitze die Fähigkeit zur dauerhaften Übertragung auf den Menschen nicht. Die Wahrscheinlichkeit einer Ausbreitung von Mensch zu Mensch sei deshalb gering.
Doch: Obwohl noch keine solche Übertragung registriert wurde, steigt dieses Risiko mit der Zunahme an Fällen bei Tieren, insbesondere bei Säugetieren. Das kennen wir bereits aus der Corona-Pandemie: Je mehr Infektionen es gibt, desto höher ist die Chance, dass sich das Virus so anpasst, dass es ohne grosse Hürden zwischen Menschen übertragen werden kann.
Bei der aktuellen Welle von H5N1 fällt zusätzlich auf, dass der Virus-Subtyp auch den Sommer gut überstand: «Der aktuelle H5N1-Ausbruch begann im Herbst 2021, zog sich durch den gesamten Sommer und legte im Herbst noch einmal zu», schreibt das Wissenschaftsmagazin «Spektrum». Das sei sehr aussergewöhnlich, da Grippeviren sich vor allem im Winter stark vermehren und im Sommer wieder reduzieren. Dass H5N1 mit seinen verschiedenen Varianten sich auch im Sommer verbreiten konnte, spreche für den Erfolg dieses Subtyps.
Die Gefahr, dass das Virus auf Menschen überspringe, sei derzeit «real und sehr besorgniserregend», liess sich kürzlich einer der Top-Epidemiologen Israels, Professor Amnon Lahad, zitieren:
Würde die Übertragung von Mensch zu Mensch Realität, wäre die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit. Daniel Olson, Epidemiologe an der Universität von Colorado, warnt gegenüber der News-Seite Vox:
Ursula Höfle vom Nationalen Forschungsinstitut für Wildtiere der Universität Kastilien-La Mancha fasst gegenüber SRF zusammen: Man stehe zwar nicht bereits einen Schritt vor einer neuen Pandemie – aber:
Oder vielleicht auch schneller. Wenn der Mensch nicht lernt mit der Natur zu leben anstatt sie auszubeuten, wird sie immer erbarmungsloser zuschlagen.
Offensichtlich haben wir es mit einem in höchstem Masse gefährlichen Erreger zu tun. Es würde somit wohl Sinn machen, gewisse Ressourcen in die Forschung und Entwicklung eines Impfstoffs zu investieren.