Maya Harris, die Schwester der aktuellen US-Vizepräsidentin, und Roy Cooper, Gouverneur von North Carolina, bauten als letzte Redner eines viertägigen Parteitags die Rampe. Und dann war sie da.
Nach einem mehrere Minuten dauernden Intro-Videoclip, mit viel Pathos und Emotionen, betrat US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris um 4:31 Uhr Schweizer Zeit unter tosendem Applaus die Bühne.
«Good Evening!» schmetterte Harris gut gelaunt und angriffig zugleich in eine vollgestopfte Halle in Chicago, danach musste sich die 59-Jährige nochmals einige Minuten gedulden, weil die Ovationen und Sprechchöre nicht aufhören wollten.
Zu Beginn bedankte sich Harris – am zehnten Hochzeitstag der beiden – bei ihrem Ehemann Doug Emhoff und bei US-Präsident Joe Biden. «Deine Bilanz ist aussergewöhnlich, das wird die Geschichte zeigen. Ich bin voller Dankbarkeit.» Auch ihren Running Mate begrüsste Harris persönlich. Tim Walz («Coach Walz») werde ein unglaublicher Vizepräsident sein.
Das erste Thema, das Kamala Harris anschnitt, war ihre Familiegeschichte. Die 59-Jährige erzählte von ihren eingewanderten Eltern und deren ersten Momenten in den USA.
Ihre Mutter, eine Brustkrebsforscherin, sei eine brillante, 1,50 Meter grosse, dunkelhäutige Frau gewesen. Mutig sei sie gewesen, tough, und sie habe die Töchter eines gelehrt: Sich nicht über Ungerechtigkeiten zu beklagen, sondern etwas dagegen zu tun. «Ich vermisse sie jeden Tag und speziell jetzt. Aber ich weiss, dass sie herunterschaut und lächelt.»
"Run, Kamala, run. Don't be afraid. Don't let anything stop you."
— ABC News (@ABC) August 23, 2024
Vice Pres. Kamala Harris reflects on her upbringing and her parents as she delivers the keynote address on the final night of the DNC. https://t.co/fcHczMlmmY pic.twitter.com/MDg59nSkpA
Harris erzählte in ihrer Rede mehrere bewegende Geschichten, etwa die ihrer besten Freundin, die von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht wurde und nicht mehr nach Hause gehen wollte. Das sei einer der Gründe gewesen, warum sie Staatsanwältin werden wollte. Jeder Mensch habe ein Recht auf Sicherheit, Würde und Gerechtigkeit.
Nach einer Viertelstunde war es dann so weit. Kamala Harris sprach die formell alles entscheidenden Worte: Sie nahm die Nomination der demokratischen Partei zur US-Präsidentschaftskandidatin offiziell an.
Die Halle tobte und auch Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz klatschte wild in seine Hände.
Harris umrahmte ihre Nominationsrede mit der Lebensgeschichte ihrer Mutter und ging auch ganz zum Ende nochmals auf sie ein. Folgende Lektion hätte die aus Indien eingewanderte Frau sie gelehrt:
Kamala Harris versprach in ihrer Rede am Parteitag, das Wohl der Nation über das Wohl der Partei und sich selbst zu stellen. Sie sagte:
Sie stehe für Rechtsstaatlichkeit, freie und faire Wahlen und die friedliche Übergabe von Macht, so Harris mit einem Seitenhieb, den jeder in der Halle sofort begriff.
BREAKING: Vice Pres. Kamala Harris accepts the Democratic party's nomination for president of the United States. https://t.co/rUESl0VDZG pic.twitter.com/53ZohVVfUy
— ABC News (@ABC) August 23, 2024
Harris zählte in der Folge ihre Erfolge als Juristin auf. Sie habe sich eingesetzt für Kinder, Frauen, Studenten, Arbeiter und Veteranen. Sie habe es mit Grossbanken und Drogenkartellen aufgenommen und für Gerechtigkeit gekämpft. Vom Gerichtsgebäude ins Weisse Haus zu schreiten, das sei ihr Lebenswerk («From the Court House to the White House»).
Die demokratische Präsidentschaftskandidatin sagte: «Lasst uns gemeinsam das nächste grosse Kapitel in der aussergewöhnlichsten Geschichte schreiben, die je erzählt wurde.»
Die Präsidentschaftswahl am 5. November sei nicht nur die «wichtigste Wahl unseres Lebens», sondern «eine der wichtigsten in der Geschichte der USA», sagte Kamala Harris in ihrer Rede. Gelange Donald Trump zurück ins Weisse Haus, seien die Konsequenzen extrem ernst:
Harris erwähnte, dass Trump ein verurteilter Straftäter sei, und sie thematisierte den bewaffneten Mob, den er nach seiner Wahlniederlage dazu angestachelt hat, das Kapitol zu stürmen. Man müsse sich bewusst sein, was Donald Trump vorhabe, wenn er nochmals Präsident werde.
Dazu gehöre etwa, gewalttätige Straftäter zu begnadigen und gleichzeitig politische Gegner und Journalisten ins Gefängnis zu stecken. Harris betonte auch, welche Macht Trump als US-Präsident haben würde, speziell nach dem Entscheid des obersten Gerichts, US-Präsidenten künftig Immunität vor Strafverfolgungen zu garantieren.
Trump setze sich nicht für das Volk oder die nationale Sicherheit ein, «sondern nur für sich selbst». Harris warnte mehrere Minuten davor, was passieren werde, wenn der 78-Jährige ein zweites Mal an die Macht komme, dies könne man im «Project 2025» nachlesen.
Der Republikaner wolle das Land zurück in alte Zeiten zerren, und etwa Gesetze wie den Affordable Care Act und zahlreiche weitere sozialpolitische Errungenschaften rückgängig machen. «Doch wir lassen das nicht zu», sagte Harris mit einem Lachen im Gesicht.
Unter Trump stünden zahlreichen Grundfreiheiten auf dem Spiel, so die Demokratin. Unter anderem die Freiheit, frei von Waffengewalt leben zu können und offen zu lieben, wen man wolle.
Harris möchte sich für das Wohlergehen der Mittelklasse einsetzen, weil auch sie Teil einer Familie der Mittelklasse gewesen sei. Jeder solle die Möglichkeit haben, erfolgreich am Wettbewerb teilnehmen zu können, «egal, ob ihr auf dem Land lebt, in einem kleinen Dorf oder in einer Grossstadt».
Als Präsidentin werde sie dafür sorgen, dass Jobs entstünden und kleine Firmen Zugang zu Kapital erhielten. Harris möchte die Kosten für Güter des Alltags senken (Medikamente, Lebensmittel etc.), die Wohnungsknappheit beenden und soziale Sicherheit schützen.
Auch bei ihren wirtschaftlichen Zielen machte Harris einen Vergleich mit den Errungenschaften von Donald Trump. Er habe nie für die Mittelklasse gekämpft, sondern die Steuern für Superreiche gesenkt:
Sie wolle – im Gegensatz zu Trump – Steuererleichterungen für die Mittelklasse schaffen, die mehr als 100 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern zugutekämen.
Auch auf die Migrations-Debatte ging Harris ein. Es sei gleichzeitig möglich, dem stolzen Erbe als Nation von Einwanderern gerecht zu werden, «und unser kaputtes Einwanderungssystem» zu reformieren.
Sie und Joe Biden hätten «Demokraten und konservative Republikaner zusammengebracht, um das stärkste Grenzschutzgesetz seit Jahrzehnten zu verfassen». Doch Trump habe seinen Verbündeten im Kongress befohlen, das Abkommen zu verhindern.
Harris betonte, sie weigere sich, mit der amerikanischen Sicherheit Politik zu machen. Als Präsidentin werde sie das abgelehnte Grenzschutzgesetz erneut aufs Tapet bringen.
Natürlich sprach Kamala Harris in ihrer Rede das Thema Abtreibung an. Sie betonte die Tatsache, dass Donald Trump in seiner Amtszeit mehrere Bundesrichter nominierte, die das landesweite Recht auf Abtreibung (Roe v. Wade) kippten.
In den vergangenen zwei Jahren sei sie durchs Land gereist und habe unzählige Geschichten erfahren. Geschichten von Frauen, die auf einem Parkplatz eine Fehlgeburt erlitten, eine Blutvergiftung bekamen und die Möglichkeit verloren, jemals wieder Kinder zu bekommen.
In her DNC acceptance speech, Kamala Harris attacked former Pres. Donald Trump's stance on abortion and warned of the dangers for women if Trump were to become president again: "He plans to...force states to report on women's miscarriages and abortions."https://t.co/YUpSehCScv pic.twitter.com/uoEPu5Ukyz
— ABC News (@ABC) August 23, 2024
Geschichten von Ärzten, die Angst hatten, für die Betreuung ihrer Patienten ins Gefängnis zu kommen. «Dies passiert in unserem Land wegen Donald Trump», so Harris.
Werde er wiedergewählt, ginge es so weiter. Trump wolle unter anderem einen nationalen Koordinator für Abtreibungsbekämpfung einsetzen und «die Bundesstaaten dazu zwingen, über Fehlgeburten und Abtreibungen von Frauen zu berichten».
Harris bezeichnete die Republikaner als «nicht bei Verstand» und versprach:
Harris thematisierte auch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Trump drohe, die NATO aufzugeben, und habe Putin und Russland ermutigt, die Ukraine anzugreifen. Als Präsidentin werde sie «der Ukraine und unseren NATO-Verbündeten mit aller Kraft beistehen».
Was den Nahen Osten betreffe, würden sie und Joe Biden rund um die Uhr an einer Lösung arbeiten, um einen Geiseldeal und einen Waffenstillstand zu erreichen.
Kamala Harris addressed the ongoing war in the Middle East: "I will always stand up for Israel's right to defend itself and I will always ensure Israel has the ability to defend itself ... at the same time what has happened in Gaza over the last 10 months is devastating." pic.twitter.com/P8mnrTaSm8
— ABC News (@ABC) August 23, 2024
Sie werde immer für Israels Recht auf Selbstverteidigung eintreten, den Horror, den die Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres verursacht habe, dürfe das israelische Volk nie wieder erleben.
Gleichzeitig sei das Leid, das sich in den letzten zehn Monaten im Gazastreifen zugetragen habe, verheerend. Harris sagte:
Das sehe ich auch so.
Wollen wir Demokratie und Freiheit oder wollen wir in ein dunkles Zeitalter eintreten mit Auflösung der Legislative, Judikative und Exekutive zugunsten der Günstlingswirtschaft Kriminalität und abgleiten in einen Diktatorenstaat.