Bei einem gezielten Angriff auf eine Lokalredaktion im US-Bundesstaat Maryland hat ein Mann mindestens fünf Menschen getötet. Der mutmassliche Täter wurde laut Polizei festgenommen. Gegen die Zeitung gab es im Internet Drohungen.
Hatte er eine alte Rechnung offen? War es Rache? Der bewaffnete Mann drang am Donnerstag in die Redaktion der kleinen Lokalzeitung «Capital Gazette» in der US-Stadt Annapolis ein und erschoss fünf Menschen. Zwei weitere wurden verletzt, vermutlich durch umherfliegende Glassplitter.
Reporter des Blattes berichteten, wie sie sich unter ihren Schreibtischen verschanzten. «Ich habe nur gehofft, dass mein Telefon nicht klingelt», sagte der Journalist Phil Davis dem US-Sender CNN. Auf Twitter schrieb er, ein Bewaffneter habe «durch die Glastür ins Büro geschossen und das Feuer auf mehrere Mitarbeiter eröffnet».
There is nothing more terrifying than hearing multiple people get shot while you're under your desk and then hear the gunman reload
— Phil Davis (@PhilDavis_CG) 28. Juni 2018
Ok, I was not tweeting from under my desk. I was already safe when I started tweeting
— Phil Davis (@PhilDavis_CG) 28. Juni 2018
Der Schütze wurde festgenommen. Die Ermittler halten ihn für einen Einzeltäter.
Eine andere Reporterin musste den Tod eines Kollegen aus nächster Nähe mit ansehen: «Ich sah nicht den Täter, aber ich sah, wie er getroffen wurde. Er ging zu Boden», sagte sie.
Nach Berichten mehrerer US-Medien handelt es sich bei dem Täter um einen 38 Jahre alten Mann aus der Region. Er fechte mit dem Blatt seit Jahren einen erbitterten Rechtsstreit aus. «Das ist das, was wir hören», sagte Polizeichef Bill Krampf dazu nur.
Polizeisprecher Ryan Frashure bestätigte jedoch: «Das war ganz offensichtlich jemand, der eine alte Rechnung mit der Zeitung offen hatte.» Es sei eine gezielte, wenngleich nicht besonders akribisch geplante Tat gewesen. Augenzeugen berichteten, wie sich der Schütze seinen Weg in Richtung der Schreibtische gebahnt hatte, wo ein Teil der Führungsmannschaft der Zeitung sass.
Genaueres muss die Polizei nun mühsam ermitteln. Der Tatverdächtige wurde unmittelbar nach dem Geschehen stundenlang verhört. Er sei nur bedingt kooperativ, hiess es von der Polizei. Seine Wohnung sei durchsucht werden. «Die Ermittlungen sind das, was nun am längsten dauern wird», sagte Krampf.
Der mutmassliche Schütze verstümmelte sich vor seiner Tat die Finger. Damit habe er offenbar einen Abgleich seiner Fingerabdrücke durch die Polizei verhindern wollen, teilte ein Ermittler mit. Trotz der Aktion habe der Verdächtige aber identifiziert werden können. Später sagte ein Behördenvertreter, die Identität des mutmasslichen Todesschützen sei dank Gesichtserkennungstechnologie bestimmt worden.
Die Polizei sei extrem schnell am Ort des Geschehens gewesen, binnen 60 Sekunden, sagte Steve Schuh von der Bezirksregierung des Anne-Arundel-County. «Die Beamten haben enormen Mut bewiesen und sind sofort ins Gebäude gegangen.» Dies habe Schlimmeres verhindert. Zufällig hatten die Einsatzkräfte erst kürzlich für solche Situationen trainiert. «Wir hätten nicht besser vorbereitet sein können.»
Die Polizeikräfte waren am Tag des Geschehens sichtlich getroffen. «Mit diesen Leuten arbeiten wir fast täglich zusammen, manche sind Freunde», sagte Krampf über das Redaktionsteam. Laut Polizeisprecher Frashure arbeiteten alle Opfer für die Zeitung. In dem Gebäude befinden sich auch andere Büros und Arztpraxen. Die Polizei brachte rund 170 Menschen unverletzt in Sicherheit.
Die Tat von Annapolis schlug unmittelbar Wellen in der Medienlandschaft der USA. In New York verschärfte die Polizei die Sicherheitsmassnahmen für grosse Medieneinrichtungen. Eine reine Vorsichtsmassnahme, hiess es. Auch die «Washington Post» in der US-Hauptstadt, nur eine Autostunde von Annapolis entfernt gelegen, führte striktere Sicherheitskontrollen ein.
Das Attentat von Annapolis kommt in einer Zeit, in der der Präsident der Vereinigten Staaten einen Kleinkrieg gegen Journalisten führt und seriöse Medien als «Feinde des Volkes» bezeichnet. Es gab jedoch zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tat mit der Anti-Medien-Kampagne Donald Trumps in Verbindung stehen könnte.
Die «Capital Gazette» ist ein kleines Lokalblatt mit einer Auflage von rund 40'000 Exemplaren. Die überregionalen Nachrichten kommen von der Muttergesellschaft, der «Baltimore Sun». Die Schwesterzeitung schrieb: «Als Journalisten haben wir über mehr Todesschüsse berichtet, als wir zu zählen bereit sind. Aber jetzt hat es unsere Familie getroffen und wir spüren den Schmerz akuter, als wir uns das vorstellen konnten.»
"Can you please talk to us about the dead reporters in Annapolis?"
— NBC News (@NBCNews) June 28, 2018
“Do you have any words of condolence for the families, Mr. President?”
"Why are you walking away?"
Pres. Trump does not comment when asked about the deadly Maryland newsroom shooting.https://t.co/5ZcmEVQW9z pic.twitter.com/heIzI7S4Ck
Trump drückte umgehend via Twitter sein Mitgefühl für die Hinterbliebenen aus und verurteilte die Tat. Seine Sprecherin Sarah Sanders schrieb: «Ein gewalttätiger Angriff auf unschuldige Journalisten ist ein Angriff auf alle Amerikaner.»
Prior to departing Wisconsin, I was briefed on the shooting at Capital Gazette in Annapolis, Maryland. My thoughts and prayers are with the victims and their families. Thank you to all of the First Responders who are currently on the scene.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 28. Juni 2018
Kanadas Premierminister Justin Trudeau trauerte mit den Menschen im Nachbarland. «Journalisten erzählen die Geschichten aus unseren Gemeinden, sie schützen die Demokratien und oft genug setzen sie ihr Leben aufs Spiel.»
Journalists tell the stories of our communities, protect democracy, & often put their lives on the line just to do their jobs. Today’s attack in Annapolis is devastating. Our hearts go out to all the victims & their families.
— Justin Trudeau (@JustinTrudeau) 29. Juni 2018
Die Überlebenden der Redaktion in Annapolis haben ihren Job einfach weitergemacht. Auch und gerade am Tag nach den schrecklichen Ereignissen sollte die «Capital Gazette» erscheinen.
In den vergangenen Monaten hatte es in den USA wieder zahlreiche tödliche Schiessereien mit hohen Opferzahlen gegeben. Sie hatten die Debatte über Verschärfungen des US-Waffenrechts angeheizt. Trump unterstützt in dieser Debatte die mächtige Waffenlobby NRA, die Einschränkungen ablehnt. (sda/dpa/afp)