«Paris dreht sich um Hellgrau. Das ist für mich die Farbe von Paris», sagte er im vergangenen Sommer über seine neue Kollektion. Sie war elegant, nicht wirklich grau, eher unendliche Facetten von Silber, sie war wandelbar, raffinierte Schlitze liessen sich öffnen, verlängerten Arme und Beine. «Ein Bein ist im Profil am schönsten», sagte er und hatte damit natürlich recht.
Als er am Morgen des 19. Februars in einem Pariser Spital stirbt, da macht ihm seine Stadt die Freude, sich ganz in die Farbe zu hüllen, in der er sie so gerne sah: Es ist ein verregneter, ein hellgrauer Tagesanfang.
Lagerfelds eigene modische Markenzeichen waren sein weisser Zopf und seine schwarze Sonnenbrille gewesen, ohne die er seit 1967 nie mehr aus dem Haus gegangen war. Wieso, verriet er der Männerbeilage der «Zeit» erst vor vier Jahren: «Ich war mit einer Bekannten in einem Nachtclub. Da kam so ein Knilch, mit dem hatte sie mal ein Verhältnis gehabt. Wie der mich mit ihr sah, wollte er ihr ein Glas an den Kopf schmeissen. Er traf aber mein Auge.» Zum Glück war ebendieses Auge, sein kostbarstes Werkzeug als Designer, durch eine Brille geschützt.
Karl Lagerfeld, der 1933 als Sohn des steinreichen Hamburger Dosenmilchfabrikanten Otto Lagerfeld zur Welt kam und seit 1983 das Modehaus Chanel leitete, war sein Leben lang ein Ästhet der Sonderklasse. Ein Deutscher, der als feinnerviger Pariser wiedergeboren wurde. Eine selbsternannte Reinkarnation des Sonnenkönigs. Ein Frauenverschönerer. Schmucksüchtig.
Als Zwanzigjähriger zog er mit seiner Mutter nach Paris, wurde erst Modeillustrator und gewann dann mit dem Entwurf eines Mantels einen Wettbewerb. 1954 machte er eine Schneiderlehre bei Pierre Balmain, es folgten Anstellungen bei Chloé, Fendi und schliesslich Chanel, wo er Coco Chanels Erbe äusserst lukrativ verwaltete und klug modernisierte.
Wenn er nicht Mode kreierte, war er ein Bücherverschlinger: «Ich habe nichts gegen Fernsehen oder Internet, aber nichts wird je die Lektüre verdrängen können.» Es war schier unmöglich, in seiner Pariser Wohnung, wo er seit dem Tod seines Partners Jacques de Bascher 1989 vorwiegend allein lebte, etwas anderes als Bücher zu finden, 300'000 will er besessen haben. Sie lagen, sie türmten sich, Modebücher selbstverständlich, aber auch Kunst, Literatur, Philosophie, Theorie, von allem alles, von allem im Überfluss. Wie er das in seinem Leben eh am liebsten hielt.
Die Liebe zum besonders schön gefertigten Buch verband ihn über Jahrzehnte mit dem Göttinger Verleger Gerhard Steidl, dessen Unternehmen zwei Standbeine hat: Günther Grass und Karl Lagerfeld. Denn bei Steidl liess Lagerfeld restlos alles drucken, was Chanel brauchte, jede Hochglanzbroschüre, aber auch jede Lidschatten- und Lippenstiftverpackung. Später lancierten sie gemeinsam die Buchreihe LSD wie «Lagerfeld, Steidl, Druckerei Verlag» und ja, auch LSD.
Oft suchte er die Nähe zur Popkultur, nie zum Trash. Er engagierte Beth Dito für seine Show – später überwarfen sie sich wieder, Beth Dito nannte ihn «einen abgemagerten älteren Herrn, der sich in viel zu enge Klamotten zwängt». Er designte ein Album-Cover für die Band Chicks on Speed, arbeitete mit Florence Welsh von Florence and the Machine. Über Heidi Klum aber sagte er: «Ich kenne sie nicht. Claudia (Schiffer, d. Red.) kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.»
Karl Lagerfeld war in solchen Dingen erstaunlich undezent und undiplomatisch, er scherte sich einen Dreck um die Meinung von moderateren Gemütern, er nannte Selfies «elektronische Masturbation» und sagte über den deutschen Designer Wolfgang Joop, der es nie nach Paris, sondern nur nach Potsdam hinaus schaffte: «Er sieht aus wie eine alte Geisha. Sein Drama ist, dass er nicht Ich ist. International kennt ihn doch keiner. Er kann alles gut imitieren, aber er hat keinen eigenen Stil.»
Dann stand er selbst ganz im Dienst jener höheren Macht, deren getriebener Diener er war, der Mode. Eine ungnädige Herrin. «Die Mode ist vergänglich, gefährlich und ungerecht», sagte er. Sein Beitrag dazu war schön. So schön. Nur dumm, dass es im Jenseits kaum so elegant und hellgrau glitzrig aussehen dürfte wie in seinem Pariser Diesseits. Merci monsieur.