Auf dem Höhepunkt der Brexit-Misere besinnt sich Grossbritannien auf alte Grössen. Auf seine Königinnen, die es irgendwie viel mehr liebt als seine Könige. Oder auch einfach viel, viel mehr als Theresa May.
Queen Victorias zweihundertster Todestag wird heuer gefeiert, Netflix gibt uns den Fix der dritten Staffel «The Crown» – jetzt nicht mehr mit Claire Foy als Elizabeth II, sondern mit Olivia Coleman («Broadchurch»). Und Colman gewinnt gerade als eine andere Brit-Queen, als Anne im Film «The Favourite» nämlich, sämtliche Preise, die die Award-Saison im Angebot hat. Seit Colmans Rede bei den Golden Globes, als sie ihre Filmpartnerinnen Emma Stone und Rachel Weisz als «my bitches» bezeichnete, kennt sie jedes viral gebildete Kind. Ihr Oscar ist abzusehen.
Anne regierte von 1702 bis 1714, war mindestens 17 Mal schwanger, wobei 13 Kinder tot geboren wurden, und das einzige Kind, das älter als zwei Jahre wurde, mit 11 an den Pocken starb. Zudem litt sie an schweren Gichtanfällen und bestiegt den Thron als verkrüppelte Frau. Ihre engste Vertraute hiess Sarah Churchill und war eine Vorfahrin von Winston Churchill, sie beeinflusste lang alle politischen Entscheide von Anne. Laut Winston Churchill litt Sarah unter der dauernden Beanspruchung durch die Queen und engagierte ihre arme Verwandte Abigail Hill als ihre Nachfolgerin.
Die Geschichte dieser drei Frauen wird nun in «The Favourite» erzählt. Der Film ist eine Groteske, eine Komödie, eine frivole Dreiecksgeschichte. Denn natürlich verbindet Regisseur Yorgos Lanthimos, der geniale Surrealist hinter «The Lobster» und «The Killing of a Sacred Deer», den Begriff der «Favoritin» auch mit sexuellen Dienstleistungen, wie man sich das in höfisch dekadenten Settings halt so gewohnt ist.
Anne ist mehr kranker Körper als Königin, fress- und brechsüchtig, reizbar, ungeduldig, überfordert, von Schmerz zerfressen. Sarah und Abigail braucht sie, um sich an ihrer Schönheit zu laben und sie gelegentlich fies zu demütigen. Sex und Unterwerfung ihrer Subjekte sind eins für sie. Christian Grey würde ihr applaudieren. Abigail und Sarah benutzen ihrerseits die Queen, um schamlos schlau und intrigant höher und höher zu steigen. Im Schloss wie im Staat.
«The Favourite» ist utterly delightful: Hinter halboffenen Tapetentüren finden perverse Partys statt, die Queen hält sich Kaninchen mit den Namen ihrer toten Kinder in ihren Gemächern und lässt die Hummer, die sie isst, zuerst in Wettrennen gegeneinander antreten. Wir lernen das hübsche Wort «cuntstruck» (also wie «starstruck» bloss mit einer Cunt), die Dialoge sind scharf und hochkomisch, Colman das fast noch grössere Schauspielereignis als Frances McDormand in «Three Billboards Ouside Ebbing, Missouri» vor einem Jahr.
Flankiert wird die plötzlich präsente Anne im Kino von den beiden Antagonistinnen Mary Stuart und Elizabeth I. in «Mary, Queen of Scots». Die vom Theater kommende Regisseurin Josie Rourke hat den gigantischen Kampf der Katholikin Mary gegen die Anglikanerin Elizabeth, der mit der Enthauptung Mary Stuarts endete, verfilmt. Der Stoff ist – wie jeder britische Königinnenstoff – bereits unzählige Male fürs Kino bearbeitet worden, doch leider stellt sich hier so sehr wie noch nie zuvor die Frage: wozu?
Der Star des Films wäre eigentlich Drehbuchautor Beau Willimon, wir kennen ihn von «House of Cards», doch leider hat er sich im Fall der Königinnen statt für ein hochintrigantes Regierungsdrama, wie es sich anbieten würde, für einigermassen faden Geschichtsunterricht und sentimentalen Kitsch entschieden.
Im Gegensatz zu Lanthimos gibt es bei Rourke und Willimon keinen Genuss der Macht, weder politisch noch im Bett. Da wird in einem Fort gelitten, gejammert und kontemplativ in dekorative Fernen gestarrt, was im Fall von Mary (Saoirse Ronan) eine gewisse kühl-tragische Grösse hat, bei Elizabeth jedoch zu einer seltsamen Farce verkommt, weil die Rolle eklatant fehlbesetzt ist: Margot Robbie («I, Tonya», «The Woolf of Wall Street») ist eine tolle Schauspielerin, aber leider ist ihr Gesicht so sehr aus dem Amerika des 21. Jahrhunderts, dass es einfach nicht unter die Maske der Elizabeth passen will. Eine Irritation in jeder Einstellung. Das Resultat: Der Clown aus «It» geistert durch das England des 16. Jahrhunderts.
Es fällt schwer, dies – abgesehen von der beachtlichen Friseurkunst, die gewiss für einen Oscar nominiert wird – insgesamt ernst zu nehmen. Weshalb «Mary, Queen of Scots» im Award-Zirkus auch nur eine Randnotiz ist. Oder in Zahlen: «Mary» hat bis jetzt 2 Auszeichnungen gewonnen und wurde weitere 12 Mal nominiert, «The Favourite» hat 84 Preise eingeheimst und wurde weitere 225 Mal nominiert. Alles klar.
«Mary, Queen of Scots» läuft ab 17. Januar im Kino.
«The Favourite» läuft ab 24. Januar im Kino.
Die Oscar-Nominationen werden am 22. Januar bekannt gegeben.