Am Tag, als Heidi Abel starb, schaltete das Schweizer Fernsehen, das damals noch «Schweizer Fernsehen DRS» hiess, eine Minute lang auf Schwarz. Auf den Bildschirmen der Schweiz herrschte Staatstrauer. Die Moderatorin Helen Issler hatte sich schnell einen schwarzen Blazer übergeworfen, bevor sie mit belegter Stimme das Ende der beliebtesten Frau der Schweiz verkündete.
Alle anderen nahmen sich neben ihr, die über Jahrzehnte unseren Fernsehalltag zum Strahlen gebracht hatte, aus wie momenthaft aufscheinende Sternschnuppen, all die Skirennfahrerinnen, Sängerinnen oder Eiskunstläuferinnen. Heidi Abel aber war die Sonne.
Am Tag, als Heidi Abel starb, brachen die Gerüchte los: Wieso hatte sie ihre Krebserkrankung verheimlicht, wieso war in den Medien immer nur von «Rückenschmerzen» die Rede gewesen?
Wie war sie eigentlich gestorben? Etwa allein? Verbittert? Und wenn verbittert, wieso denn? Weil sie schon zu lang keinen Mann mehr hatte? Aber, wenn sie keinen Mann hatte, hatte sie dann etwa – nicht auszudenken, damals, 1986, als sowas nur im Zusammenhang mit Martina Navratilova geflüstert wurde – eine «Freundin»? War sie etwa nicht nur an Krebs, sondern an Kummer gestorben, dass sie ihre Liebe nicht vor aller Öffentlichkeit leben durfte?
Die Wahrheit ist die: Heidi Abel starb liebevoll begleitet und gekonnt vor den Zugriffen des Boulevards behütet, der damals nur «Blick» hiess. Sie starb im Kreis ihrer besten Freundinnen und ihres Ex-Partners Beat Müller in einer Wohnung mitten in Zürich. Es sei «ein ganz ruhiges Auschlöschen, nicht der geringste Kampf» gewesen, sagt eine der Freundinnen im SRF-DOK «Heidi Abel – Licht und Schatten einer TV-Pionierin» von Felice Zenoni, der anlässlich von Heidi Abels 90. Geburtstag gezeigt wird.
Am 21. Februar 1929 kam sie in Basel zur Welt, ihr Vater war ein deutscher Cellist, sie habe seine Liebe, sagt sie, immer nur dann gespürt, wenn sie ihn beeindrucken konnte, wenn sie sich produzierte, im Ballett, als Clown, sagt sie in einem alten Interview. Es habe sie in eine grosse Unsicherheit und Unzufriedenheit mit sich selbst getrieben, sagen andere.
«Heidi» ist ihr «zu bieder und volkstümlich», lieber hätte sie «Edeltraud oder Heidelinde» geheissen. Etwas damenhafter halt. Überhaupt ist es der Begriff «Dame», der sie wohl am besten trifft: Als sie 1954 mit 25 Jahren beim Schweizer Fernsehen als Ansagerin beginnt, ist sie noch eine «junge Dame», später ist sie bis zu ihrem frühen Tod mit 57 die Dame schlechthin. Elegant, eloquent, charismatisch, mit einer Freundlichkeit und einem Interesse, die sich beide ganz mühelos auf alles und alle erstrecken.
Alle fressen ihr vor der Kamera aus der Hand, Kinder, Tiere, Superstars und Bundesräte. Und wenn etwas schief geht, ist sie die erste, die laut über sich selbst lachen muss, ist sie eine mit Grazie strauchelnde höhere Tochter.
«Mutter der Nation» wäre die falsche Bezeichnung, etwas Mütterliches hatte sie nie. Aber verwandt war sie allen, die sie zwischen 1954 und dem 23. Dezember 1986 erlebten, auf eigenwillige Weise durchaus. Am ehesten wohl eine «Gotte der Nation». Und vom Publikum verehrt wie keine Zweite.
Sie musste die Vorhänge ziehen und ging am liebsten nur noch bei Regen spazieren. Das Haus verliess sie nur perfekt geschminkt, sie wollte sich keine Blösse geben. Sie fühlte sich vom Publikum aufgefressen. «Ich kann nicht sagen, euer Applaus scheisst mich an», sagte sie einmal. Wenn sie verreiste, schleppte sie kofferweise Fanpost mit, in der Hoffnung, sie endlich beantworten zu können.
All dies erzählt Zenonis Dokfilm. Doch der Film hat eine grosse, unhinterfragte Leerstelle: das Fernsehen selbst. Das sein Aushängeschild weder schützte noch stützte. Dreissig Jahre lang hat Heidi Abel keine Festanstellung. Dreissig Jahre lang buhlt sie um die endgültige Anerkennung wie um die ihres Vaters. Hat weder eine Assistentin, die ihr schwer zu bewältigende Dinge wie Organisation, Koordination, Öffentlichkeitsarbeit und ähnliches abnimmt, keinen festen Mitarbeiterstab.
Ihre ehemaligen Vorgesetzten und Co-Moderatoren, etwa Kurt Aeschbacher, sagen alle das Gleiche: Grossartig sei sie gewesen, die Grösste, aber unfassbar chaotisch und unstrukturiert, dazu von einer fatalen Unsicherheit, und dann halt schon auch ein ganz kleines bisschen zickig, als sie 1984 plötzlich «fordernd» und auf eine unangenehme Weise «zielstrebig» geworden sei, eine feste eigene Sendung und feste eigene Mitarbeiter verlangt habe.
Ähm, ja und? Hatte sie dazu kein Recht? Hätte sie all das nicht schon seit Jahrzehnten verdient gehabt? Wäre sie dann vielleicht nicht so chaotisch und unsicher gewesen? Und so bleibt das traurige Gefühl, dass das Fernsehen seinen grössten Star zwar noch so gerne quotenträchtig vor der Kamera strahlen liess, dass er ihm abseits der Kamera jedoch egal war. Dass Heidi Abel die ganze Last des frühen Fernsehruhms, der damals noch nicht so professionell begleitet und verwaltet wurde wie heute, ganz allein zu tragen hatte.
Da hätte man präziser nachfragen und analysieren können. Aber weder Präzision noch Analyse sind wirklich die Sache des Filmemachers Zenoni.
Doch zum Glück sind da Heidi Abels Freundinnen und Beat Müller. Über sie kommt uns Heidi Abel ganz nah. Sie machen, dass man am Ende des Films eine genauso belegte Stimme hat wie einst Helen Issler. Und mehr als nur eine Träne im Auge.
«Heidi Abel – Licht und Schatten einer TV-Pionierin» wird am Donnerstag, 21. Februar, um 20.05 Uhr auf SRF 1 gezeigt.