Endlich raus aus den ewig gleichen vier Wänden, raus aus dem Alltagstrott, Neues sehen, die Welt entdecken. So definieren wir Ferien. Oder etwa nicht?
Werner Hegi nicht. Seit 38 Jahren fährt er sommers nach Castagnetto Carducci, in der Toskana. Da kennt er die Leute, die Strassen, das Sortiment in den Läden, den Standort der Abfallsammelstelle. Wie zu Hause in Sarmenstorf AG. Zwanzig Jahre lang hatte er mit seiner Frau eine Ferienwohnung in Italien. Dann sagte sie: «Ich will mal woanders hin.»
Also verkauften sie die Ferienwohnung. Bloss, als der Sommer kam, wussten die beiden nicht, wohin sie sonst gehen sollten – und reisten schliesslich doch wieder nach Castagnetto Carducci. Seither mieten sie jeweils eine Wohnung dort, immer dieselbe.
Werner Hegi findet den Ort auch nach 38 Jahren noch «wunderschön». Manchmal aber, da reize es ihn, woanders hinzufahren. Früher hat er für Reisebüros Hotels in Afrika getestet. Aber heute sagt er: «Das habe ich gesehen.» Langweilig sei es ihm in Castagnetto Carducci nie. Er hilft auf einer Farm bei der Bewässerung, schneidet Hecken, kauft ein, trifft die Einheimischen. Sein Italienisch ist längst fliessend, die Toskana seine zweite Heimat.
So wie Werner Hegi machen es viele: Verreisen, aber Jahr für Jahr an denselben Ort. «Repeater» nennen Reiseagenturen solche Feriengäste. Dazu gehören nicht nur Besitzer von Ferienwohnungen, auch Reiseagenturen haben Stammgäste, die immer wieder dasselbe Angebot buchen. Bei Hotelplan Suisse buchen durchschnittlich 12 Prozent aller Kunden eine Reise drei Mal hintereinander oder mehr.
Was ist der Reiz daran? «Altbekanntes kann entspannender sein als ständig Neues», sagt Ulrike Ehlert. Sie forscht am Psychologischen Institut der Universität Zürich in den Schwerpunkten Verhaltensmedizin, Psychobiologie und stressabhängige Erkrankungen: «Immer wieder am gleichen Ort Ferien zu machen, hat einige Vorteile: Man weiss bereits, wie alles läuft, kennt seine Umgebung und die Leute. Das führt dazu, dass man keine grossen Anstrengungen auf sich nehmen muss und der Körper wirklich herunterfahren kann.»
Anders als etwa bei Reisen in Gebiete mit Zeitverschiebung, für die lange Flugreisen nötig sind und wo man am Ende vielleicht nicht einmal die Sprache spricht. Das alles bedeutet Stress für den Körper.»
Gilt das nur für die älteren Semester? Eine 62-jährige, frühere Weltenbummlerin, die seit sechs Jahren immer an denselben Ort bei Rimini an der Adria fährt, sagt: «Ich halte das tatsächlich für eine Alterserscheinung.» Früher habe sie jedes Jahr etwas Neues entdecken wollen, aber jetzt sagt auch sie: «Ich habs gesehen.» Jetzt geniesst sie es, dass sich die Einheimischen über ihre Ankunft freuen, und sie weiss, wo sie abends den Apéro nehmen soll.
Wer seine Ferien wie verbringt, ist also nicht nur Geschmackssache, sondern teilweise auch eine Generationenfrage. Junge suchen keine Entspannung, sondern Aufregung. «Würden junge Menschen ihre Ferien immer am selben Ort verbringen, wäre das etwas seltsam», sagt Psychologin Ehlert. «Aber irgendwann hat man genug von Rambazamba und Party. Dann kehrt man zum Altbewährten zurück und findet dort die Entspannung.»
Zu den «Repeatern» gehören aber auch solche, die noch lange nicht im Rentenalter sind: Die 39-jährige Rahel Stabinski reist zwar in der Welt herum, aber seit 26 Jahren zudem immer auf dieselbe griechische Insel. Zuerst als Teenager mit ihrer Mutter, heute alleine. Genau wegen des Zweiten-Zuhause-Effekts: «Ich steige aus dem Flugzeug und bin schon daheim. Ich verliere keine Zeit. Ich weiss, wo die schönsten Strände liegen, die besten Restaurants und die Touristenfallen.»
Ferien seien das trotzdem: wegen des Klimas, des Meeres und der Freizeit natürlich. Sie hat dort viele Freunde und spricht fliessend Griechisch. Sie sagt: «Gerade diese ultimative Entspannung inspiriert mich zu Neuem.»
Bei Hotelplan Suisse kennt man noch eine weitere Gruppe von Stammgästen: Familien mit kleinen Kindern. Auch sie machen sich oft einen Ferienort zur Zweitheimat, solange die Kinder noch im Planschbeckenalter sind. «Familien buchen bei uns sehr oft dieselbe Destination mehrere Jahre hintereinander», sagt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Mediensprecherin von Hotelplan Suisse.
Die Eltern sind nicht selten schon nach dem Packen entkräftet und froh, wenn sie keine Extra-Energie fürs Zurechtfinden am Ferienort aufwenden müssen. Die Kinder finden das meist prima: Kulturstätten langweilen sie, und ob sie ihre Sandburg an einem immer neuen Strand oder stets am selben bauen, ist ihnen meist auch egal.