Chrisbe
Kommt wie Weihnachten und Ostern jedes Jahr ungefragt und macht sich mega wichtig.
Die grösste Partynacht des Jahres!
Wirklich?
Hey, bereits als Kind spürte ich, dass mit Silvesterfeiern irgendwas nicht ganz stimmt. Ich mag mich noch an die Jahrzehntenwende 1979/1980 erinnern, wohl das erste Mal, als ich bis Mitternacht aufbleiben durfte. Natürlich, als Kind konnte ich die alkoholgetriebene Geselligkeit der Erwachsenen nicht ganz nachvollziehen, und doch fiel mir auf, dass die Alten da alle aufgekratzter als sonst wirkten. Und wie sie dann um Mitternacht herumzukreischen begannen! Traditionsgemäss sang man «Auld Lang Syne» (was ein schönes Lied ist) und alle gaben sich dabei die Hand und formten einen Kreis (was gesellig und inklusiv ist) und ich ... wollte nicht. Ich wollte niemandem die Hand geben, auch nicht «Auld Lang Syne» singen und noch weniger Party auf Befehl haben.
Als Kind damals galt dasselbe wie heute als Erwachsener: Ich liebe Party. Partydiktat aber? Nein danke. Da verhält es sich mit dem Silvesterabend ähnlich wie beim Oktoberfest: Gemütlichkeit unter Stress.
Einen wirklich lustigen, gelungenen Silvesterabend durfte ich genau ein einziges Mal erleben: Ich war Anfang 20, wir gingen Curry essen und danach El Vez the Mexican Elvis in der Roten Fabrik schauen. Es war der perfekte Anlass für einen Silvesterabend: Mexikanisch angehauchte Versionen von Elvis-Songs, die jeder kannte und mitgrölen konnte, eine grossartige Bühnenshow von El Vez und seinen Backgroundsängerinnen Priscillita und Lisa-Maria, und um Punkt Mitternacht regnete es Konfetti, während die Band eine fulminante Version von «Suspicious Minds» anstimmte (die El Vez stilkonform zu «Immigration Time» umgeschrieben hatte). Es war festlich. Es war romantisch. Und es war grossartig.
Und so versuchte ich in den darauffolgenden Silvesterabenden stets, jenes Hochgefühl von damals wiederzuerlangen – vergeblich, wie sich herausstellte. Silversterausgang bedeutete vor allem, ewigs in der Kälte vor Bankomaten anzustehen, Taxis klarzumachen und zu debattieren, wo man hingehen soll. Einmal dort angekommen, bekam man, selbst wenn der Clubbesitzer ein guter Kumpel war, kaum Einlass, weil der Andrang zu gross war. Einen Drink an der Bar holen dauerte mindestens eine halbe Stunde und irgendwie war alles nicht einmal halb so lustig wie an den übrigen 51 Wochenenden im Jahr. Derweil tickt stets die Uhr – spätestens um Mitternacht hatte man tamisiech nomol gut drauf zu sein! Und ehe man sich versieht, hatte man zu viel getrunken und die Heimfahrt wurde dementsprechend zur Qual.
Dilemma: Alle begehen den Abend in der Erwartung, dass es die Party aller Partys werden wird. Da alle dieselbe Erwartungshaltung an den Tag legen, entsteht nirgends jener spontane Spass, der dafür notwendig wäre. Man begibt sich an Örtlichkeit A, findet die Stimmung dort etwas lau, und geht deshalb weiter nach Örtlichkeit B. Da alle sich so verhalten, entsteht an keinem Ort die notwendige Partystimmung, da alle stets Ausschau auf Besseres halten und auf dem Sprung sind.
Irgendwann einmal beschloss ich: Nope, da mache ich nicht mehr mit.
Dieses Jahr haben wir alle sowieso keine Wahl.
Covid-19 zwingt alle nun, das zu tun, was ich und ähnliche Silvestermuffel seit Jahren frönen: Ich bleibe zu Hause, schaue vielleicht «The Big Fat Quiz of the Year» oder ähnlich leichte Kost und bin eventuell gar schon vor Mitternacht im Bett. Und ich freue mich auf die vielen Partynächte im kommenden Jahr, die dadurch entstehen, weil gut gelaunte Menschen zusammenkommen mit niederschwelligen Erwartungen aber umso mehr Sympathie.
Der weitaus angenehmste 31. Dezember jüngerer Zeit war, als ich mit meiner Tochter aus Sofakissen und Bettdecken ein Zelt bastelte und wir uns drin verkrochen, um Pizza zu essen und «Star Wars» zu schauen. Und Ted the Dog (eine französische Bulldogge, die auf Besuch war) vergrub sich zu uns unter die Decke, da der Feuerwerkkrach ihm Angst machte. Das war ein schönes Silvester.
Ihr so, liebe User? Vermisst ihr den Silvester-Ausgang? Oder eh nicht? Die Kommentarspalte steht euch offen!