Eigentlich würde ich mich als eher kerligen Kerl bezeichnen. Ich mag Bier. Ich mag mein Steak blutig. Ich bin empfänglich für die Reize des weiblichen Geschlechts. Ich besitze eine kleinere Whisky-Sammlung, einige Kleidungsstücke aus Harris Tweed und ein altes Auto, das gerne mal eine Reparatur benötigt. Hey, ich habe sogar mal eine Flugshow besucht und fand’s grossartig.
Somit sollte etwas, das mit Man’s World betitelt ist, mich vollumfänglich ansprechen, oder? Na, dann geh’ ich doch mal hin und schau’ mir die Sache an!
Stelldichein ist in einer dieser neuen Messehallen im ebenso neuen Neu-Oerlikon. Der an sich karge Raum ist ordentlich aufgehübscht – grosses Kompliment hier an die Product Designer, die offenbar ziemliche Fans einer Optik sind, die direkt der US-Wirtschaftskrise der frühen 30er-Jahre entlehnt ist: staubige Holzkisten, handgefertigte Lederwaren, urchige Selvedge-Jeans etc. Selbst die Bulleit-Bourbon-Flaschen sind einem Westernfilm-Flachmann nachempfunden. Der Hauptunterschied zu Oklahoma 1930 ist, dass bei Zürich 2018 alle einen Hipster-Vollbart tragen. Aber eben: Echtes Handwerk! Hochprozentiger Schnaps! Echte Männer! Arrrr!
In der Haupthalle geht es im gleichen Stil weiter – nur etwas hässlicher, weil minus Retro-Optik. Doch zu sehen gibt es allerlei. Da werden BBQ-Smoker angepriesen, wohnzimmergrosse Game-Konsolen, chromglänzende Espressomaschinen, Schweizer Massjeans und italienische Massanzüge, Turicum Gin, Monkey Gin, Chili-Saucen, Custom-Töffs und und und.
Eine US-Oldtimer-Garage aus Spreitenbach (of course) hat einen 67er Mustang (of course, zum Zweiten) hingestellt. Beim übernächsten Stand ist ein unglaubliches Konstrukt aus Carbon und LED-Lämpchen ausgestellt … ich glaub’, es war ein Motorboot oder sowas.
Es gibt einen Massschuh-Anbieter, der einem dank Computer-Scan den perfekt sitzenden Schuh zu fertigen verspricht (die leuchtgelben Scan-Socken, die man dazu anziehen muss, sehen schon ziemlich speziell aus). Oder etwas namens «Dry Ager Fleisch-Reife-Kasten», das, wenn ich es richtig verstehe, einen zwingt, die Arbeit selbst zu erledigen, die ein guter Metzger eigentlich einem abnehmen sollte. Aber auch Bodenständiges ist darunter: ein Stand, der Felgenreiniger und Lackschutzmittel verkauft, etwa. Das ist eventuell noch das Männlichste an der Veranstaltung. Aber dazu später mehr.
Der Slotcar-Club wirbt mit dem Claim «Männer steh’n auf schöne Kurven», ein Grill-Anbieter mit «Fast so hübsch wie eine Frau, kann aber nicht sprechen». Dass Man’s World ausgerechnet am Internationalen Tag der Frauenrechte lanciert wird, ist eine Ironie, die man hier tunlichst zu verschweigen versucht (es klappt aber nicht – alle erwähnen’s).
Das Klientel ist weiss und wohlgenährt, trägt teure Vintage-Jeans und jenes merkwürdig modische Schuhwerk, wie man ihm eigentlich nur in der Schweiz begegnet. Einige Besucher kombinieren T-Shirt mit Schal, wie es beim «Bachelor» vor fünf Jahren schon nicht mehr cool war, andere wiederum tragen Designerbrillen; viel VMC- oder DeeCee-Kundschaft ist ebenfalls präsent. Kaufkräftiges ZH-Publikum, eben. Und siehe da: Trotz aller Männertümlerei befinden sich auffallend viele Frauen unter der Kundschaft.
Nach einer guten Stunde testosteronangeheizter Reizüberflutung finde ich einen rettenden Hafen in Form der Bar eines grossen internationalen Spirituosenvertriebs, der seine aktuelle Auswahl an Gin, Bourbon, Scotch und Irish Whiskey mittels ziemlich geiler Cocktails bewirbt. Ich bestelle einen Scotch und beschliesse, den Rest des angebrochenen Abends dort zu verbringen.
Und dann dämmert es mir: Es! Nervt!
Mich nervt das ganze Getue hier! Nicht die Waren, die hier angeboten werden – ich finde Selvedge Denim oder Classic Brogues an sich ja geil –, sondern die Tatsache, dass man sie mit ausgelutschten Gender-Klischees vermarkten muss. Es nervt, dass «Frauen gehen gerne shoppen, Männer gucken Fussball», «Frauen sind von der Venus, Männer vom Mars» und artverwandter Blödsinn offenbar immer noch bestens funktioniert (sonst würde sich Man’s World nicht so betiteln).
So. Ich weiss nicht, wie ihr’s so habt, aber ich kenne reihenweise Frauen, die geile Autos mögen (und diese erst noch besser fahren als wir Typen). Ich kenne auch reihenweise Frauen, die Bier trinken. Die gerne Steak essen. Die gerne heimwerken. Und wenn ich es mir recht überlege, habe ich öfter mit Frauen bis um 5 Uhr morgens Whisky getrunken als mit Männern.
Doch mehr denn je ziehen solche längst obsoleten Geschlechterklischees – gerade bei Männern. Der Grund ist sattsam bekannt: In einer Zeit, in der klassische «männliche» handwerkliche oder technische Tätigkeiten zunehmend durch Automatisierung verdrängt werden, findet sich die Männerschaft in diversen Weicheier-Bürolisten-Positionen wieder. Ist sie zudem noch mit einer erstarkenden weiblichen Konkurrenz konfrontiert, ist es um ihre Männlichkeit bald geschehen. Ach, die armen Siechen.
Und hier eilt der alte Kollege Kapitalismus zu Hilfe: «Kein Problem!», flüstert er dem gestrauchelten Mann ins Ohr. «Kauf diese Schuhe, kauf dieses Motorrad, kauf dieses Bartpflegemittel – und schon bist du ein echter Kerl!»
Ironischerweise verkommen die männlichen Konsumenten dabei just zu jenen überstylten, verweichlichten Gecken, deren Image sie eigentlich zu entfliehen versuchten. Hey, an der Männermesse werden Gesichts-Tonics, Bartöle und hundert andere Etepetete-Cremes angeboten. Soll da ja keiner damit kommen, Frauen seien zu sehr auf ihr Aussehen bedacht. So urig männlich wie der LKW-Chauffeur, der am Sonntag im Löwen zum Frühschoppen geht, oder der Bauarbeiter mit Migrationshintergrund, der nie im Leben von Dry Aged gehört hat, werden die Messehalle-Besucher eh nie sein.
Und, ach ja, wer war sonst noch an der Bar am Whiskytrinken? Eigentlich nur Frauen. Just sayin’.