Sag das doch deinen Freunden!
Ich gesteh's gleich, ich bin in dieser Sache befangen und ich bin enorm betrübt, dass er Twitter jetzt verlassen hat: Stephen Fry ist mein Idol. Mein einziges. Also ein 58-jähriger Brite, dessen bester Freund seit Jahrzehnten Dr. House, pardon Hugh Laurie, ist (Fry ist Götti von einem von Lauries Kindern), der 12 Millionen auf Twitter beglückte, der grossartige Bücher schreibt, noch grossartigere Moderationen macht, ein enorm grossartiger Komiker (zum Beispiel in «A Bit of Fry and Laurie») und total liebenswürdiger Schauspieler und Mensch ist.
Fry ist ein Sprach- und Sprechkünstler, ist der Mann, der die schwärzesten Witze und grössten Beleidigungen in die schönsten Worte und den angenehmsten Tonfall kleiden kann. Er tut also genau das, was ein Publikum von einem prototypischen Briten erwartet. Er tut das Gleiche wie Ricky Gervais, nur klingt es bei ihm hübscher. Stephen Fry machte mir Twitter zu Heimat. Manchmal sitze ich vor dem Fernseher und lerne seine Moderationen auswendig. Am liebsten, wenn er die BAFTAs, diese letzten massiv wichtigen Filmpreise vor den Oscars, moderiert. So auch am vergangenen Sonntag, dem Valentinstag.
Und dieser Sonntag wurde zum Grund, wieso Stephen Fry jetzt seinen Twitter-Account gelöscht hat. Weil ihm schon während seiner Moderation am Sonntag ein Shitstorm entgegen kam. Fry hatte Jenny Beavan, die Kostümbildnerin von «Mad Max: Fury Road» mit folgenden Worten von der Bühne verabschiedet: «Nur eine bedeutende Filmkostüm-Designerin kommt als Obdachlose gekleidet zu einer Preisverleihung.» Als «Baglady» verkleidet also.
Er sprach damit bloss aus, was alle vor dem Fernseher dachten und wofür sie Beavan heimlich bewunderten: Sie hatte fünf Minuten gebraucht, um sich für die BAFTAs anzuziehen, ihr Outfit passte zweifellos zum harten Industrial Design von «Mad Max», und sie hatte sich dem ganzen mehrstündigen Verkleidungs-Prozedere jeder andern Frau im Saal verweigert.
Was die Twittergemeinde nicht wusste: Fry und Beavan sind privat gute Freunde. Sie haben schon mehrfach beruflich zusammengearbeitet. Fry twitterte deshalb ungewohnt aggressiv aus dem Backstage-Bereich der Show:
«Verpisst euch, ihr verfickten, scheinheiligen Ärsche, Jenny Beavan ist eine Freundin, und jemanden aufzuziehen, ist erlaubt. Jesus, ich will diesen Planeten verlassen!»
Beavan gab sofort ein Interview, in dem sie jede Betroffenheit dementierte. Aber der Shitstorm ging weiter und wurde immer schlimmer, nicht nur verletzte (linke) Frauen äusserten sich in den politisch überkorrektesten Tönen, auch (rechte) homophobe Fundamentalisten kamen wieder einmal aus ihren Höhlen gekrochen und schrieben, dass sie Fry schon immer für einen verdammten Perversling gehalten hätten.
DID STEPHEN FRY JUST CALL THAT WOMAN A BAG LADY SHE HAD BARELY GOT OFF THE STAGE STEVE UR A SAVAGE
— mango (@aisha_matoo) 14. Februar 2016
[pervert] Stephen Fry's on the run https://t.co/MMq8SEnIjE via @wordpressdotcom
— Josie Bemrose (@josiebemrose) 17. Februar 2016
Am Montag erklärte Stephen Fry auf seiner Homepage seinen Rücktritt von Twitter:
Er präzisierte seine Kritik an der hysterischen Political Correctness, die auf den sozialen Medien um sich greift, und verabschiedete sich mit dem Martin-Luther-King-Zitat «Free at last».
Stephen Fry musste sich schon früher harsche Kommentare anhören: Als er gestand, schwere Depressionen zu haben; als er einen jüngeren Mann heiratete. Und deshalb ist jetzt fertig. Fertig mit seinen vielen Retweets, mit denen er unzählige soziale Engagements unterstützte. Fertig mit seinen eigenen kleinen Kunstwerken, die Twitter zu einem schöneren Planeten machten. Sie sind jetzt weg, irgendwo verglüht wie erloschene Sternschnuppen. Und: Er wandert auch gleich noch nach Amerika aus, wie sein Mann am Dienstag bekannt gab.
Leute, ehrlich, werdet locker! Ein Witz ist ein Witz ist ein Witz, gerade in so einem Rahmen. Die «Baglady» war übrigens nicht der einzig derbe Joke der BAFTAs gewesen: Rebel Wilson sagte zu Idris Elba, sie stehe am Valentinstag nun einmal auf Schwarze, «weil ich soziologisch darauf konditioniert bin, an diesem Tag Schokolade gut zu finden». Da schauten alle amerikanischen Gäste total schockiert. Auf Twitter kratzte das niemanden. Shitstorms sind ein Unding der Unberechenbarkeit. Danke dafür, ihr pissenden Trolle. Jetzt habt ihr den Besten vertrieben. Verpisst euch!