Ziegen hüpfen über die Wiese, ein leichter Wind weht. An sonnigen Tagen gibt es kaum einen idyllischeren Ort als die Barmelweid-Klinik, 15 Autominuten von Aarau, 770 Meter über Meer, umgeben von dichtem Wald. Doch die Menschen hier hüpfen nicht. Sie husten, ringen um Luft, manche können nur dank tragbaren Sauerstoffflaschen atmen. Sie leiden an kaputten Lungen, an Krebs oder hatten Herzinfarkte.
Viele von ihnen rauchen oder haben geraucht. Eine Suchtspezialistin unterstützt Patienten, vom Nikotin wegzukommen. Regelmässig finden Expertentagungen zum Thema Rauchen statt. In den Statuten der Rehabilitationsklinik steht, dass mindestens ein Vorstandsmitglied von der Lungenliga stammen muss. Kurz: Die Barmelweid ist eine Bastion der Tabakprävention.
Was nur die wenigsten Ärzte, Pfleger und Patienten wissen: Der Verwaltungsratspräsident der Barmelweid ist geschäftlich mit der Tabakindustrie verbandelt. Daniel Heller, seit 2001 oberster Chef der Klinikgruppe, arbeitet hauptberuflich als Lobbyist für die grösste Schweizer Kommunikations- und Lobbying-Agentur Farner. Anders als Konkurrenzfirmen scheut sich Farner nicht, Aufträge aus der Tabakindustrie anzunehmen.
Die «Nordwestschweiz» hat Kenntnis von mindestens drei Mandaten aus der Tabakbranche, die Farner von seinen Zweigstellen in Zürich, Bern und Genf aus betreut. Die Lobbying-Aktivitäten geschehen mit dem Segen von Klinikpräsident Heller, der als einer von acht Partnern und als Mitglied des Verwaltungsrates die Strategie der inhabergeführten Agentur mitbestimmt.
Auf Anfrage betont Daniel Heller, bis Sommer 2014 Aargauer FDP-Grossrat und Fraktionspräsident, dass er nicht direkt in die Mandate involviert sei. Daher bestehe kein Interessenkonflikt mit seinem Amt als Barmelweid-Verwaltungsratspräsident. Auf die Feststellung der «Nordwestschweiz», dass er als Mitinhaber am Gewinn von Farner beteiligt sei und über die Ausrichtung der Agentur mitentscheide, erwidert er: «Wenn das Ihre Definition eines Interessenkonflikts ist, dann dürften Sie wohl auch nicht als Journalist tätig sein, denn die Verlage, die Ihr Salär bezahlen, nehmen Geld von Inserenten.»
Fakt ist: Heller steht der Tabakindustrie nicht nur finanziell, sondern auch ideologisch näher als der Belegschaft seiner eigenen Klinik. Auf seiner Website bringt er dies unmissverständlich zum Ausdruck. Zur Diskussion um zusätzliche Tabakwerbevorschriften schreibt er: «Wenn einige Jugendliche zu viel rauchen, verbietet man unter dem Vorwand des Jugendschutzes flächendeckend Werbung für Tabakwaren. Man bestraft alle erwachsenen Konsumenten, die legal dem Rauchen frönen und die Wirtschaft, welche ein an sich legales Produkt nicht mehr bewerben darf.»
Gegenüber der «Nordwestschweiz» bestätigt Heller, er finde, dass es neben dem Verbot für Radio- und TV-Werbung keine weiteren Werbeeinschränkungen brauche. «Die heutigen Regeln reichen aus.»
Was denkt die Belegschaft der Barmelweid über die Verbandelung ihres Präsidenten mit der Tabakindustrie? Die «Nordwestschweiz» hat mit mehr als einem Dutzend Vorstandsmitglieder, Ärzten und anderen Mitarbeitern der Barmelweid-Klinik gesprochen. Mit wenigen Ausnahmen war niemandem bewusst, dass Daniel Heller mit Aufträgen von Philip Morris, Dannemann und Co. Geld verdient.
«Moralisch ist das nicht vertretbar. Natürlich besteht hier ein Interessenkonflikt», sagt ein Mitglied des Vorstandes. Ein Mitglied der Ärzteschaft äussert sein Unbehagen darüber, dass die Tabakfirmen Präventionsbemühungen mit viel Geld untergraben. Mit Namen will es aber niemand wagen, sich öffentlich zu äussern.
Deutliche Worte findet dafür die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention, der Dachorganisation zur Förderung des Nichtrauchens in der Schweiz. «Die Haltung von Herrn Heller ist schizophren. Wie kann man Präsident einer Klinik sein, die hauptsächlich Menschen mit Lungen- und Herzkreislauferkrankungen behandelt, und gleichzeitig den Hauptrisikofaktor Tabak verharmlosen?», sagt Verena El Fehri. Es sei lächerlich, zu behaupten, Erwachsene würden bestraft, wenn man Werbung für Tabakprodukte verbiete.
Zigarettenwerbung zielt nicht auf Erwachsene, sondern auf Kinder und Jugendliche.» Die Barmelweid sei eine Pionierklinik in Sachen Tabakprävention. «Vielleicht sollte sich Herr Heller einmal von den Chefärzten informieren lassen, wie wichtig es ist, dass die Zahl der Raucher reduziert wird.» El Fehri fordert den Verwaltungsrat der Barmelweid auf, eine Richtlinie einzuführen, welche Tätigkeiten mit dem Präsidium vereinbar sind. «Eine Art Kodex wäre sicher angebracht», sagt sie.
Lucrezia Meier-Schatz, Alt-CVP-Nationalrätin und seit Anfang dieses Jahres Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention, äussert sich ähnlich: «Das ist eine Frage der Ethik. Jedes Unternehmen sollte seine Mandatsträger durchleuchten und Vereinbarkeiten klären. Es besteht immer die Möglichkeit, die Offenlegung aller Interessenbindungen zu verlangen.»
Reto Wiesli, politischer Berater von zahlreichen Gesundheitsorganisationen, unter anderem der Krebsliga, ergänzt: «Es gibt Agenturen, die in einem Ehrenkodex festlegen, dass sie nicht für die Rüstungs- oder die Tabakindustrie arbeiten.»
So habe der Schweizer Ableger der Agentur Burson-Marsteller ein Mandat von Philip Morris aus Reputationsgründen aufgegeben, obwohl der finanzielle Anreiz gross sei. Die Ausgaben der Tabakkonzerne für PR, Sponsoring, Lobbying und Marketing in der Schweiz belaufen sich laut Wiesli auf ungefähr 120 Millionen Franken jährlich: «Für ein tödliches Produkt, das ein ähnlich hohes Suchtpotenzial wie Heroin aufweist. Aus dieser Optik ist es schon ein wenig pervers, wenn man gleichzeitig im Verwaltungsrat einer Klinik sitzt, die die Opfer des Tabakkonsums behandelt.»