Der Mist ist wohl geführt: Das Geldspielgesetz dürfte in der Volksabstimmung in zehn Tagen angenommen und die Vollgeld-Initiative abgelehnt werden. Die zweite Trendumfrage von SRG/GFS Bern und die dritte Tamedia-Umfrage, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, zeigen ein übereinstimmendes Bild: Der Trend zum Ja (Geldspiele) sowie Nein (Vollgeld) hat sich verstärkt.
Das wichtigste Argument gegen die Vollgeld-Initiative ist demnach die Warnung vor einem weltweit einmaligen und riskanten Experiment. Zudem dürfte die Vorlage für viele Stimmbürger schlicht zu kompliziert sein. Die Befürworter des Geldspielgesetzes wiederum wollen ein Abfliessen des verzockten Geldes ins Ausland verhindern und die Abgaben für gemeinnützige Zwecke sichern.
Das Schweizer Finanzsystem dürfte folglich von einer «Revolution» verschont bleiben, während ausländische Online-Anbieter von Glücks- und Wettspielen mit einer Netzsperre belegt werden. Die beiden Vorlagen haben auf den ersten Blick kaum etwas gemeinsam, ausser das Thema Geld. Dabei sind sie geprägt durch einen bedenklichen digitalen «Analphabetismus».
Bundesrat und Parlament ist mit dem Gesetz ein kleines Kunststück gelungen: Die Jungparteien sind fast geschlossen dagegen. Den Jungfreisinnigen gelang es sogar, die FDP zur Nein-Parole «umzudrehen». Nur die Junge CVP scherte aus, was die eigene Mutterpartei überraschte. JCVP-Präsident Tino Schneider sollte an der Delegiertenversammlung das Nein vertreten und musste kurzfristig durch Pascal Vuichard ersetzt werden, den Präsidenten der Jungen Grünliberalen.
Der geballte Widerstand von Juso bis JSVP überrascht nicht. In den Jungparteien sind die Digital Natives aktiv, die mit Internet, Smartphone und Social Media aufgewachsen sind. Ihnen ist die Tragweite der Netzsperren bewusst, und das nicht nur, weil andere Branchen wie Musik und Film auf den Geschmack kommen und ähnliche Forderungen stellen könnten.
Die Millenials wissen, wie kinderleicht sich Netzsperren mit einer VPN-Verbindung umgehen und ausländische Sites wie Interwetten und Pokerstars weiterhin nutzen lassen. Obwohl diese bereit wären, eine Schweizer Lizenz zu lösen und Abgaben an AHV und Co. zu leisten. Doch dieses Argument verfängt laut den Abstimmungs-Umfragen nur bei der jungen Generation.
Die meisten Parlamentarier, die das Gesetz verabschiedet haben, verfügen über geringe digitale Kompetenzen. Ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken wirkt häufig alibihaft. Sie repräsentieren damit den grossen Teil der Bevölkerung, die einem Gesetz zustimmen dürfte, das kontraproduktiv wirken wird. Denn die Zahl der Digital Natives nimmt zu.
Werner Becher, der Chef der Interwetten Group, brachte es im Tages-Anzeiger auf den Punkt: «Das Gesetz überträgt die alten Regeln aus der Welt der Beton-Casinos einfach so auf das Internet und blendet die Entwicklung der letzten 20 Jahre aus.» Mit virtuellen Beton-Casinos wird man kaum jemanden davon abhalten, sein Geld bei ausländischen Anbietern zu verzocken.
Nur die Nationalbank soll Schweizer Franken herstellen. So lautet das Hauptargument der Initianten. Sie wollen es den Geschäftsbanken verbieten, eigenes «Buchgeld» zu produzieren und als Kredite zu vergeben. Damit schüren sie gezielt das Misstrauen gegenüber den (Gross-)Banken. Die Vollgeld-Initiative könnte laut den Umfragen einen Achtungserfolg erringen.
Einen Aspekt jedoch ignorieren die Initianten komplett: «Die Idee stammt aus den 30er-Jahren und passt nicht mehr ins digitale Zeitalter», sagte der Bankenkritiker mit Pseudonym «Jonathan McMillan» im watson-Interview. Gerade die verfemten Grossbanken könnten über ausländische Ableger Kredite vergeben und Konten führen – auch in Franken – oder auf Kryptowährungen ausweichen. In der digitalen Welt sind solche «Tricks» problemlos möglich.
Die Erklärung dafür ist auch in diesem Fall die fehlende Digitalkompetenz. Nicht wenige Vollgeld-Verfechter sind im Schreibmaschinen-Zeitalter gross geworden, so der deutsche Soziologe Joseph Huber, der als Vollgeld-Vordenker gilt, Hansruedi Weber, der «Vater» der Schweizer Initiative, oder Reinhold Harringer, der Sprecher des Initiativkomitees und ehemalige Leiter des Finanzamtes der Stadt St.Gallen.
Im Fall der Vollgeld-Initiative dürfte sich der Schaden in Grenzen halten. Das Geldspielgesetz hingegen wird mit seiner wahrscheinlichen Annahme einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Und ein negatives Signal aussenden: Eine politische Landschaft, in der die digitalen Analphabeten dominieren, ist schlecht gerüstet für die Herausforderungen der Digitalisierung.
Es ist ein schwacher Trost, dass die Schweiz in dieser Hinsicht kein Sonder-, sondern ein Regelfall ist. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte bei den Anhörungen im US-Kongress und vor dem Europaparlament leichtes Spiel, weil es der Gegenseite teilweise an elementarsten Kenntnissen fehlte. Die digitale Welt dürfte der Politik weiterhin mindestens einen Schritt voraus sein.