Französisch ist unsere zweite Landessprache. Und im Gegensatz zum dominierenden Deutsch eine Weltsprache. Der «Franz»-Unterricht aber ist in der Deutschschweiz ein Politikum, seit er im Rahmen des Harmos-Konkordats an der Primarschule eingeführt wurde. Appenzell-Innerrhoden und Uri haben Harmos und Frühfranzösisch nie umgesetzt.
Das war verschmerzbar, denn es handelt sich um zwei Kleinstkantone. Doch nun soll sich Zürich, der einwohner- und wirtschaftsstärkste Kanton der Schweiz, von Frühfranzösisch verabschieden. So hat es der Kantonsrat am Montag beschlossen. Er sagte mit 108 zu 64 Stimmen deutlich Ja zu einer Motion aus den Reihen der Bürgerlichen.
Eingebracht wurde sie von einer Mitte-Kantonsrätin, die sich damit gegen ihre eigene Bildungsdirektorin Silvia Steiner stellte. Allein dieser Vorgang ist ungewöhnlich, denn in Zürich ist die Mitte-Partei im Kantonsparlament ein kleiner Fisch. Steiner wehrte sich mit Händen und Füssen gegen den Vorstoss und bezeichnete ihn als «Spiel mit dem Feuer».
«Französisch ist nicht einfach eine Fremdsprache, sondern eine Landessprache», sagte sie. Als grösster Deutschschweizer Kanton stehe Zürich «unter erhöhter Beobachtung.» Die Regierungsrätin verwies auf die grossen Investitionen ins Frühfranzösisch. Eine Verschiebung in die Oberstufe würde einen Rattenschwanz an Problemen verursachen.
In Bundesbern reagierte man nicht erfreut auf das Signal aus Zürich. Die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (SP) bezeichnete es im SRF charmant-holprig als «unberuhigend». In 12 der 19 Deutschschweizer Kantone gibt es entsprechende Bestrebungen, deshalb erwägt sie laut Tamedia, die Kantone mit einer Ergänzung des Sprachengesetzes zu «übersteuern».
Es fällt leicht, die Reaktion der jurassischen Bundesrätin als Ausdruck einer Westschweizer Überempfindlichkeit abzutun. Unberechtigt aber ist sie nicht, denn bei Beschwörungen des nationalen Zusammenhalts etwa am 1. August wird verdrängt, dass das Zusammenleben der Sprachgruppen in der Schweiz mehr ein Neben- als ein Miteinander ist.
Im beruflichen und selbst privaten Alltag führt dies oft dazu, dass auf Englisch ausgewichen wird. Es ist die eigentliche Weltsprache und dermassen omnipräsent, dass es selbst Donald Trumps Angriff auf die Soft Power der USA überstehen wird. Und erst noch einfacher als das Französische mit seinem Subjonctif und den Accents («Auf der Oder schwimmt kein Graf»).
Die Dominanz des Englischen dient gerne als Vorwand, um Französisch in die Oberstufe «abzuschieben». Den Schaden für das Harmos-Konkordat nimmt man in Kauf, trotz der erreichten Fortschritte. Es beseitigte den Flickenteppich im Schulwesen, der dazu führte, dass in einigen vorab Deutschschweizer Kantonen das Schuljahr im Frühling begann und anderswo im Sommer.
Französischunterricht kann mühsam sein, das müssen auch seine Verfechter zugeben. Und doch wird man den Eindruck nicht los, dass Frühfranzösisch in der Primarschule als «Prügelknabe» für eine grundsätzliche Malaise herhalten muss. Als Kind ist man heute mit Herausforderungen konfrontiert, die man sich zu meiner Zeit nicht einmal vorstellen konnte.
Das beginnt mit Ablenkungen aller Art, die sich auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken. Gleichzeitig werden die Lerninhalte anspruchsvoller und vielfältiger. Das stresst die Lehrpersonen und die Schülerinnen und Schüler gleichermassen. Immer mehr Kantone und Gemeinden überlegen sich ein Handyverbot an den Schulen, ausser zu Unterrichtszwecken.
Der Handlungsbedarf lässt sich kaum bestreiten. Im Deutschunterricht etwa befindet sich das Niveau seit Jahren im «Sinkflug». Ähnliche Probleme gibt es bei der Mathematik, die allerdings noch nie sonderlich beliebt war. Frühfranzösisch bietet sich da als «Blitzableiter» an, und bereits stehen Forderungen im Raum, die deutlich weitergehen.
So postulierte die FDP Schweiz, stets auf der Suche nach zugkräftigen Themen, unter dem Schlagwort «Rettung der Volksschule» vor einem Jahr die Abschaffung der integrativen Schule. Kinder, die schlecht Deutsch sprechen oder verhaltensauffällig sind, sollen nach dem Willen der Freisinnigen temporär in Förderklassen unterrichtet werden.
Gleichzeitig wendet sich die FDP gegen nach ihrer Ansicht «woke» Lehrmittel. Und selbst Pädagogen äussern sich kritisch über das heutige Schulsystem, das Lehrkräfte wie Kinder überfordere. Sie verlangen, dass der Fokus wieder auf das Lernen als Vermitteln von Inhalten gelegt wird und nicht von Kompetenzen, wie im Lehrplan 21 vorgesehen.
Darüber bräuchte es eine vertiefte Diskussion, und nicht Schnellschüsse wie den Angriff auf das Frühfranzösisch. Die genannten Alternativen sind wenig durchdacht, etwa vermehrte Austauschprogramme zwischen den Sprachregionen. Denn die Romandie hat dreimal weniger Einwohner als die Deutschschweiz und wäre damit wohl rasch überfordert.
Die Gegner der Abschaffung sprachen sich am Montag im Zürcher Kantonsrat für einen spielerischen und lustvollen Französischunterricht aus, mit weniger Grammatik und mehr bilingualen Inhalten. Allerdings gab es entsprechende Versuche, mit dem Ergebnis, dass die Schulkinder beim Eintritt in die Oberstufe praktisch von vorn anfangen mussten.
Silvia Steiner hat nun zwei Jahre Zeit, um eine Umsetzungsvorlage zu präsentieren. Und die folgenden Auseinandersetzungen mit Harmos würden noch einmal drei Jahre in Anspruch nehmen, warnte sie. Steiner war bis Ende letzten Jahres Präsidentin der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Sie weiss, wovon sie spricht.
Zweifellos tun sich auch die Romands schwer mit dem Deutschunterricht an der Schule. Doch sie haben ein zusätzliches Problem: In der Deutschschweiz spricht man Dialekt. Damit bekommen sie ihren Status als Sprachminderheit doppelt zu spüren. Auch solches gilt es zu bedenken, bevor man sich den «Prügelknaben» Frühfranzösisch vorknöpft.