Es war ein Entscheid mit Ansage: Letzte Woche gab der Aargauer Nationalrat und Unternehmer Matthias Jauslin seinen Übertritt von der FDP zur GLP bekannt. Er erkenne den Willen bei den Freisinnigen nicht mehr, die Themen Umwelt, Klima, Raumplanung und erneuerbare Energien «progressiv» anzupacken, hielt der 62-Jährige in einer Mitteilung fest.
Jauslin hatte dies am eigenen Leib zu spüren bekommen. Nach den Wahlen 2023 war er von der FDP-Fraktion in der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) durch den Berner Christian Wasserfallen ersetzt worden. Als ich Jauslin kurz darauf an einem Anlass traf, machte er kein Geheimnis aus seiner Frustration über die «Abstrafung».
Für den Aargauer war klar, dass ihm seine progressive Umweltpolitik zum Verhängnis geworden war. Der Übertritt zu den Grünliberalen war folglich konsequent. FDP-Präsident Thierry Burkart verwies auf das Ja seiner Partei zum Klimaschutz- und zum Stromgesetz. Ansonsten aber äusserte er sich recht gelassen zu Jauslins «Fahnenflucht».
Das mag mit persönlichen Animositäten zwischen den beiden Aargauern zusammenhängen, doch der Abgang stellt für die FDP auch eine «Flurbereinigung» dar. Der einst starke «Öko-Freisinn» dürfte endgültig Geschichte sein. Oder zu einer Randerscheinung werden. Dabei spielte die FDP in den 1980er Jahren noch eine führende Rolle in der Umweltpolitik.
Eine Galionsfigur war Elisabeth Kopp, die 1984 zur ersten Bundesrätin der Schweiz gewählt wurde. Mit der Zeit aber verblasste das Öko-Image der Freisinnigen, zum Leidwesen von Kopp. «Würde ich heute noch einmal in die Politik einsteigen, dann würde ich nicht mehr der FDP beitreten. Ich würde den Grünliberalen beitreten», sagte sie 2011 in einem Interview.
Im übertragenen Sinn nahm die vor zwei Jahren verstorbene Elisabeth Kopp damit Matthias Jauslins Parteiwechsel vorweg. Allerdings gab es unter der früheren Parteipräsidentin Petra Gössi eine Art «Zwischenhoch». Unter dem Eindruck des Klimastreiks im Wahljahr 2019 versuchte die Schwyzerin, beim Freisinn eine ambitionierte Klimapolitik durchzusetzen.
In einer Befragung der Parteibasis wurde sie von über drei Vierteln der Teilnehmenden unterstützt. Doch das Ergebnis war trügerisch. Nur etwas mehr als zehn Prozent der angeschriebenen Mitglieder und Sympathisanten nahmen an der Umfrage teil. Der Verdacht drängte sich auf, dass die «schweigende Mehrheit» Gössis Klimakurs skeptisch beurteilte.
Zwar hat die Partei seither die von Burkart erwähnten Gesetze unterstützt, doch sie stammen aus der letzten Legislaturperiode. Seit den Wahlen 2023 hat sich die FDP in der Umweltpolitik unter die «Bremser» eingereiht, wie Jauslins Rauswurf aus der UREK und nun sein Austritt zeigen. Damit allerdings hat die FDP nur eine «Baustelle» bereinigt.
Unter Burkart und dem neuen Generalsekretär Jonas Projer hat sie einen prononcierten Rechtskurs eingeschlagen, vor allem in der Asylpolitik. Sie hat erkannt, dass sich mit diesem Thema Emotionen bewirtschaften lassen, und will sich als Alternative zur SVP positionieren. Damit aber drohen neue Konflikte in einem anderen heiklen Dossier, der Europapolitik.
Die FDP hat sich stets für die bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU ausgesprochen und sie als «Königsweg» bezeichnet. Mit dem 2018 von FDP-Aussenminister Ignazio Cassis vereinbarten Rahmenabkommen aber taten sich Gräben auf. Petra Gössi versuchte es erneut mit einer Vorwärtsstrategie. Anfang 2019 sagte die FDP-Fraktion Ja zum Vertrag.
Die «Souveränisten» wie Christian Wasserfallen aber blieben auf Oppositionskurs, und auch Gössis Nachfolger Thierry Burkart bekämpfte das Rahmenabkommen. Nun liegt das nach dessen Scheitern ausgehandelte neue Vertragspaket vor. Der Bundesrat wird es ans Parlament weiterleiten, wodurch die gespaltene FDP dieses Mal Farbe bekennen muss.
Die Gegner bringen sich ein weiteres Mal in Position, doch bei einem Nein würde sich die Partei gegen ihren Bundesrat Cassis und den Wirtschaftsverband Economiesuisse stellen, der das Paket explizit begrüsst. Und es gibt in der FDP auch namhafte Befürworter, etwa den Solothurner Medtech-Unternehmer und Neo-Nationalrat Simon Michel.
Die grösste Gefahr aber lauert in der Westschweiz. Dort sind die Libéraux-Radicaux deutlich für den bilateralen Weg. «Wenn die FDP ins Nein-Lager rutschen sollte, dann wird das in der Romandie auf sehr viel Unverständnis stossen und einen grossen Röstigraben geben», warnte die Waadtländer Nationalrätin Jacqueline de Quattro in der «NZZ am Sonntag».
Im schlimmsten Fall droht ein weiterer «Aderlass» zu den Grünliberalen, die sich als einzige Partei im Parlament eindeutig proeuropäisch positioniert haben. Und die in der Romandie noch immer schwächeln. Zuzüge aus der FDP wären mehr als willkommen. Für die Parteileitung um Präsident Thierry Burkart ist dies eine delikate Ausgangslage.
Sie hat eine Arbeitsgruppe aus zwölf Leuten eingesetzt. Je die Hälfte ist tendenziell für oder gegen das Abkommen. Sie werde die Verträge analysieren und Empfehlungen ausarbeiten, sagte Burkart im Interview mit CH Media. Danach will er wie Petra Gössi in der Klimapolitik die Parteibasis «voraussichtlich im Juni 2025» über die neuen Verträge entscheiden lassen.
Es ist eine riskante Strategie. Statt für klare Verhältnisse zu sorgen, könnte sie die Spaltung vertiefen. Kein Wunder wird Parteichef Burkart in der «NZZ am Sonntag» von anonymen Stimmen als mutlos oder gar als «Bremser» bezeichnet. Er tut sich schwer mit den «Restposten» des einst starken linksliberalen Flügels, wie Matthias Jauslins Abgang zeigt.
Der Lausanner Politologe Georg Lutz ortete gegenüber dem «Echo der Zeit» ein strukturelles Problem: «Die FDP ist in einem Sandwich zwischen der SVP, der GLP und teilweise auch der Mitte. Der Partei ist es nicht gelungen, sich auch hier nachhaltig, langfristig zu positionieren. Was dazu geführt hat, dass die Partei eigentlich seit 30 Jahren systematisch Wähleranteile verliert.»
Zuletzt konnte die FDP ihren Abwärtstrend stoppen und bei den Wahlen im Aargau und in Schaffhausen je einen Sitz im Kantonsparlament gewinnen. Das aber dürfte am europaweiten Rechtstrend liegen. Ob die Staatsgründerpartei, die um ihren zweiten Bundesratssitz bangt, sich nachhaltig positionieren kann, ist zumindest zweifelhaft.
Die Partei ist tief gefallen.
Dass Herr NR Jauslin den Übertritt wagt, finde ich sehr bemerkenswert. Der Druck musste immens sein.
Jetzt einfach 2027 klar Farbe bekennen und die FDP und die SVP für ihre völlig lösungsfreie Politik abstrafen.