Vor 30 Jahren reichte eine Splittergruppe mit der kryptischen Bezeichnung GSOA eine Volksinitiative ein. Die vier Buchstaben standen für «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee». Ihr Slogan: «Schlachten wir die Heilige Kuh!» Niemand nahm die GSOA anfänglich ernst. Doch im Abstimmungskampf brachten die zumeist jungen Aktivisten das Establishment zur Verzweiflung. Mit der SP beschloss dann eine grosse Partei zwar nicht die Ja-Parole, aber immerhin Stimmfreigabe – und statt wie erwartet 10 bis 20 Prozent stimmten am Ende 36 Prozent des Volkes für das Undenkbare: für die Abschaffung der Armee. Es war ein Schock, der dazu führte, dass die Armee danach verkleinert und tiefgreifend reformiert wurde.
Heute sind es nicht junge Linke, sondern junge Liberale und Rechte, die zum Sturm auf eine Institution blasen, die lange so unverrückbar schien wie früher die Armee. Nun geht es um Sein oder Nichtsein der SRG. Auch die «No Billag»-Urheber, welche die Radio- und TV-Gebühren abschaffen wollen, wurden zuerst belächelt. Zu radikal seien sie, hiess es, eine Kanterniederlage und somit ein Triumph der SRG programmiert, tönte es sogar aus der SVP.
Keine zwei Wochen, nachdem der Bundesrat den Abstimmungstermin (4. März 2018) festgelegt hat, ist «No Billag» zum Top-Thema in der helvetischen Politik und in den Kommentarspalten der Newsportale avanciert. Die hochbrisante SVP-Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit oder die Versuche einer neuen AHV-Reform – sie werfen weit weniger hohe Wellen.
«No Billag» wird auf einmal ernst genommen. Denn wie damals bei der GSOA die SP, liebäugelt nun die SVP mit einem Ja; ihre mächtigste Kantonalpartei, die Zürcher Sektion, hat die Ja-Parole bereits beschlossen, ebenso der Gewerbeverband. Am Wochenende wurde an den Parteitagen der Grünen und der BDP eindringlich vor «No Billag» gewarnt; man sah sogar die Demokratie in Gefahr. In der «Schweiz am Wochenende» befürchteten prominente SRG-Journalisten das Ende des Service public, und gemäss «NZZ am Sonntag» sehen SRG-Vertreter Medienministerin Doris Leuthard als Retterin in der Not. Im «Sonntags-Blick», der zum mit der SRG kooperierenden Ringierverlag gehört, erschien ein grosser Kommentar, der den Gewerblern prophezeite, mit «No Billag» würden sie schon bald «No Business» mehr machen, weil sie keine TV-Spots mehr schalten könnten.
Der Spin, den die No-Billag-Debatte gerade annimmt, ist für die SRG brandgefährlich. Die ihr nahestehenden Parteien und sonstige Verbündete beschwören in überzogener Dramatik den Untergang der Schweiz herauf, sollte die Initiative durchkommen – statt darüber zu reden, was vernünftige Alternativen zu «No Billag» wären. Wie sähe eine liberale Medienordnung aus, mit einer günstigeren, auf ihre Kernaufgabe reduzierten SRG, und privaten Anbietern, denen neben der SRG genug Luft zum Atmen bleibt? Wie lassen sich im digitalen Zeitalter die Medien- und Meinungsvielfalt sichern? Darüber sollte debattiert werden, statt Angstmacherei zu betreiben, was viele Bürger erst recht zu einem Ja zur Initiative provozieren könnte. Haben die SRG-Getreuen nichts aus dem Beinahe-Debakel bei der RTVG-Abstimmung gelernt (50,08 Prozent Ja)?
Dass «No Billag» eine Mehrheit findet, ist nach wie vor unwahrscheinlich. Doch auch ein Achtungserfolg, wie ihn die GSOA erzielte, würde die SRG erschüttern. Wie bei der Armee würde er auch bei der SRG einen Wendepunkt markieren: Ihre Grösse und ihre Mittel wären infrage gestellt, der Nimbus der Unantastbarkeit weg.