Brutalisierung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt: So ergeht es den Ü50ern
Manchmal ist es interessanter, worüber offiziell nicht gesprochen wird. So auch gestern. Bundesrat Johann Schneider-Ammann trat gestern in Bern guter Dinge vor die Medien.
An der gleichentags durchgeführten dritten nationalen Konferenz zum Thema «ältere Arbeitnehmer» hätten die verschiedenen Seiten – Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie staatliche Stellen – «mit Vernunft am Tisch nach Lösungen gesucht», lobte der Wirtschaftsminister.
Das zu lösende Problem: Ältere Angestellte sind zwar einem unterdurchschnittlichen Arbeitslosenrisiko ausgesetzt, bekunden aber deutlich grössere Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt als Jüngere. In Zahlen: Von den Arbeitslosen in der Alterskategorie der über 50-Jährigen sind 26,8 Prozent langzeitarbeitslos.
In der Analyse ist man sich einig
Der Basler Regierungsrat Christoph Brutschin, der an der Konferenz die Kantone vertrat, konstatierte eine «erstaunlich hohe Übereinstimmung bei der Analyse der Situation». Und dass sich diese Situation verbessert, ist nicht nur im Interesse der betroffenen Langzeitarbeitslosen, sondern der ganzen Volkswirtschaft.
Denn der bevölkerungsstärkste Jahrgang der Schweiz hat 2014 das 50. Altersjahr erreicht und die Babyboomer gehören nach und nach zu den älteren Arbeitnehmenden.
«Angesichts des Fachkräftemangels in gewissen Berufsgruppen sowie des zunehmenden Drucks auf das System der Altersvorsorge kommt der intensiveren Nutzung des Potenzials bei der älteren Erwerbsbevölkerung eine hohe Bedeutung zu», heisst es dazu in der gemeinsamen Schlusserklärung der Konferenzteilnehmer.
Brisante Forderungen
Die brisanten Forderungen, die im Vorfeld dieser Konferenz auf dem Tisch lagen, fanden keinen Eingang in diese Erklärung:
- Die Arbeitgeber fordern mehr Flexibilität von älteren Arbeitslosen: Sie sollen eine Stelle auch dann antreten, wenn sie zu einem tieferen Lohn arbeiten müssen als bisher.
- Auf der anderen Seiten die Gewerkschaften: Sie preschten mit der Forderung nach einem stärkeren Kündigungsschutz für Ältere hervor.
In ihren anschliessenden Mitteilungen hielten die Sozialpartner an ihren Lösungsvorschlägen fest: Man schätze die Gesprächsbereitschaft, sei aber auch enttäuscht, «dass sich die öffentliche Hand und die Sozialpartner nicht zu einer griffigeren Schlusserklärung zusammenraufen konnten», hält der Dachverband Travail Suisse fest.
«Brutalisierung» auf dem Arbeitsmarkt
Unter anderem wünscht sich dieser die Massnahme «Weiterbildung für Ü50», mit der Unternehmen verpflichtet werden könnten, ihre Weiterbildungsbudgets auch für über 50-Jährige einzusetzen.
Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul Rechsteiner, konstatierte derweil eine «Brutalisierung» auf dem Arbeitsmarkt. Langjährige Arbeitnehmer würden teilweise auch ohne zwingende Gründe entlassen, weshalb es für diese Gruppe einen besseren Kündigungsschutz brauche.
Die Chancen älterer Bewerber bei einer Stellenneubesetzung verringere ein solcher Schutz nicht, betonte Rechsteiner. Denn er greife ja gerade nur bei bereits langjährigen Mitarbeitern.
Inländervorrang soll helfen
Und auch der Arbeitgeberverband hielt fest, dass das «Bewusstsein geschaffen werden muss, dass im gegenwärtigen dynamischen wirtschaftlichen Umfeld lineare Karriereverläufe nicht mehr den Regelfall darstellen».
Bogenkarrieren müssten enttabuisiert und als mögliche Karrieremodelle erkannt werden. Mit anderen Worten: Lohnkürzungen für ältere Arbeitnehmer bleiben in diesem Zusammenhang durchaus ein Thema.
