Muss die SRG nach einem Ja zur Volksinitiative No Billag aufgelöst werden? Diese Frage beschäftigt nicht nur die SRG selber, sondern auch Rechtsexperten. Klar ist, dass die SRG nicht so einfach aufgelöst werden kann, wie dies die SRG-Spitze darstellt. Die SRG trägt die Rechtsform eines Vereins. Präsident Jean-Michel Cina machte zuletzt verschiedentlich klar, dass die SRG geordnet zurückgefahren und später liquidiert werden müsse. Wie Recherchen zeigen, braucht es dafür aber eine Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) und die Zustimmung von zwei Dritteln der 41 SRG-Delegierten.
Nun kommt eine neue Dimension hinzu, wie Aussagen von Rainer J. Schweizer zeigen. Er ist emeritierter Rechtsprofessor und Staatsrechtler an der Universität St. Gallen. Wie die SRG ist auch er der Meinung, dass nach einem Ja zum Volksbegehren das RTVG geändert werden muss. Dies könne das Parlament nach der entsprechenden Vorarbeit durch den Bundesrat und einer allenfalls verkürzten Vernehmlassung relativ zügig durchexerziert werden, sagt Schweizer.
Grund für die Eile ist die Übergangsbestimmung im Text der No-Billag-Initiative. Erfolgt die Annahme des Volksbegehrens nach dem 1. Januar 2018, so treten die erforderlichen Ausführungsbestimmungen auf den nächstfolgenden Januar in Kraft. Da die Vorlage am 4. März 2018 zur Abstimmung gelangt, müsste das bei einem Ja am 1. Januar 2019 geschehen.
Derzeit lässt sich nicht abschätzen, ob der Bundesrat und vor allem das Parlament dies in knapp zehn Monaten schafft. «Sollte dies nicht der Fall sein, so kann die SRG trotz Annahme der Initiative vorerst weiterexistieren», so Schweizer. Der Grund: Der Staatsrechtler sagt, dass ein Gesetz eine stärkere rechtliche Wirkung entfalte als die Ausführungsbestimmungen einer Volksinitiative. Dies könne man zwar bedauern. Aus seiner Sicht ist dies aufgrund der Verfassung klar, weil eben die Bundesgesetze immer beachtlich bleiben.
Die SRG könne deshalb weiterexistieren, weil im RTVG sowohl der Programmauftrag, den die Initiative beseitigen wolle, als auch die Finanzierung klar geregelt seien, sagt Schweizer weiter. So hält das Gesetz in Artikel 24 fest: «Die SRG erfüllt den verfassungsrechtlichen Auftrag im Bereich von Radio und Fernsehen (Programmauftrag).» In den folgenden Absätzen wird umrissen, was das heisst. So muss die SRG die gesamte Bevölkerung umfassend versorgen, und dies mit gleichwertigen Radio- und Fernsehprogrammen in den drei Amtssprachen.
Weiter heisst es in Artikel 34, dass sich die SRG zur Hauptsache durch Abgaben für Radio und Fernsehen finanziert. Dies wird in Artikel 68 ausformuliert: «Der Bund erhebt eine Abgabe zur Finanzierung der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags von Radio und Fernsehen.» Der Artikel bezieht sich explizit auf jenen Verfassungsartikel, den die No-Billag- Initiative ändern will.
Wenn SRG-Präsident Cina nun sage, die SRG müsse nach Annahme der Initiative relativ zügig liquidiert werden, so sei dies unzutreffend, sagt Rainer Schweizer. Solange die obengenannten Artikel des Radio- und Fernsehgesetzes unverändert blieben, könne auch die SRG weiterhin ihren Programmauftrag erfüllen. Damit würden auch die Statuten der SRG in dieser Sache nicht mehr greifen. Denn dort heisst es, dass die SRG nicht aufgelöst werden könne, solange sie durch das Gesetz zur Erfüllung des Programmauftrags verpflichtet sei.
Letztlich ist Schweizer der Ansicht, dass trotz eines Ja zur Initiative die SRG weiterhin einen Programmauftrag habe. Aus seiner Sicht zielt das Volksbegehren vor allem auf die Erhebung der Gebühren, die in Artikel 68 und folgende im RTVG geregelt ist. Allerdings will der Absatz 6 des neuen Verfassungsartikels auch eine staatlich eingerichtete Radio- und Fernsehanstalt verbieten.
Doch die SRG könne nicht ohne genaue Übergangsbestimmungen umgebaut oder aufgelöst werden, sagt Rainer Schweizer. Wie eine neue Finanzierungsform aussehen könnte und wie die gesamtschweizerischen Aufgaben der SRG, namentlich für die italienische oder die rätoromanische Schweiz, zukünftig erfüllt werden sollen, möchte Schweizer nicht vorwegnehmen.