Ein Kurzschluss und brennbare Materialien im Cockpit führten mutmasslich zur schwersten Katastrophe in der Geschichte der Schweizer Luftfahrt: Beim Absturz der Swissair-MD-11 vor der kanadischen Ostküste bei Halifax vor zwanzig Jahren kamen 229 Menschen ums Leben. Das Unglück hat Folgen bis heute.
215 Passagiere und 14 Besatzungsmitglieder steigen am Abend des 2. September 1998 in New York in die Swissair MD-11, um mit Flug SR 111 die Reise nach Genf anzutreten. Das Flugzeug startet, gewinnt an Höhe, die Piloten steuern die Maschine Richtung Kanada zur Überquerung des Atlantiks.
Die Besatzung dürfte derweil begonnen haben, das Abendessen zu servieren – die Passagiere haben sich für den Nachtflug eingerichtet. Doch eine Stunde später bahnt sich das schwerste Flugzeugunglück in der Geschichte der Swissair an: Die Piloten stellen Rauch im Cockpit fest.
Für eine Notlandung auf dem Flughafen von Halifax fliegt das Flugzeug zu hoch. Also drehen die Piloten auf einer Höhe von 10'000 Fuss eine Schlaufe, um Kerosin ins Meer abzulassen und dann wieder in Richtung Halifax zu fliegen.
Doch plötzlich fällt das elektrische System aus. Die Piloten verlieren die Kontrolle über die Maschine. Diese stürzt bei Peggy's Cove ins Meer und zerbricht in tausende, teils winzige Teile. Alle 229 Menschen an Bord sterben, darunter 49 Schweizerinnen und Schweizer.
Das Schicksal von Flug SR 111 in der Nacht zum 3. September 1998 versetzte die Schweizer Öffentlichkeit in einen Schockzustand und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Die McDonnell-Douglas MD-11 war ein modernes Flugzeug aus dem Hause Boeing, die Swissair eine der renommiertesten Fluggesellschaften der Welt.
Die Bergung des Flugzeugs dauerte über ein Jahr. Rund zwei Millionen Flugzeugteile wurden an der Absturzstelle aus dem Meer gezogen. Zusammen mit 275 Kilometer Kabel wurde die Unglücksmaschine rekonstruiert, und die Suche nach dem Hergang des Absturzes begann.
Viereinhalb Jahre dauerte es, bis die kanadische Verkehrssicherheitsbehörde (TSB) im März 2003 den Untersuchungsbericht vorlegte. Demnach liegt dem Unglück ein Kurzschluss zu Grunde, welcher wahrscheinlich durch eine gebrochene Isolierung eines Kupferkabels ausgelöst worden war.
Die elektrischen Funken setzten brennbare Isoliermatten im Cockpit in Brand. Einen Rauchmelder oder Löschvorrichtungen gab es damals in der MD-11 an dieser Stelle nicht.
Das Kabel gehörte vermutlich zum Bordunterhaltungssystem, welches die Swissair für die Erste Klasse nachträglich hatte einbauen lassen. Die Swissair stellte in der Folge dieses System in ihren MD-11 und Boeing 747 ab. Nachdem Ungereimtheiten bei der Zulassung dieses Systems aufgetaucht waren, wurde die Betriebsbewilligung für das Bordsystem entzogen.
Der Absturz des Swissair-Flugs 111 hinterliess weltweit Angehörige von Opfern; die Passagiere stammten aus 44 Nationen. Für ihre Betreuung standen unter anderem Teams in Genf, Zürich, Paris und New York im Einsatz. Rund hundert Angehörige aus der Schweiz wünschten, am nächsten Tag mit einem Sonderflug der Swissair zur Absturzstelle bei Halifax zu reisen.
Vor Ort wurden sie strikte von den Medien abgeschirmt, und die Küstenregion war weiträumig abgesperrt. Danach begann für die Angehörigen das lange Warten auf die sterblichen Überreste der Absturzopfer. Die Urnen wurden den Hinterbliebenen teils erst nach Wochen oder gar Monaten ausgehändigt.
Auch während dieser Zeit standen Careteams mit den Angehörigen in Kontakt. Eine derart grossflächige Betreuung gab es bei diesem Unglück zum ersten Mal. «Vorher wurde der Betreuung von Hinterbliebenen kaum Beachtung geschenkt», sagt Franz Bucher zur Agentur Keystone-SDA. Er war damals Teil der Careteams.
Das Unglück zog auch in technischer Hinsicht Folgen nach sich. Die kanadischen und die US-Luftsicherheitsbehörden erliessen über fünfzig Anweisungen, welche zu Um- und Nachrüstungen der McDonnell-Douglas-Flugzeuge führten – unter anderem mit zusätzlichen Rauchmeldern, Löschsystemen und Infrarotkameras.
Swissair und später Swiss behoben die Sicherheitsmängel an den Flugzeugen des Unglückstyps, ersetzten die Isolationsmatten und leiteten die Ausmusterung der letzten 13 MD-11 ein.
Zudem wurden neue Vorschriften und Abläufe für die Cockpit-Crew erlassen. Die Swiss änderte die Notfall-Checkliste. Nach weiteren Unglücken in den Folgejahren wurde zudem die Aufsicht über die schweizerische Luftfahrt verschärft.
An die Tragödie von Halifax erinnern heute an der Felsenküste unweit von Peggy's Cove an der Küste bei Halifax zwei Gedenkstätten mit Monumenten aus Granit. Beide Denkmäler tragen eine Inschrift auf Englisch und Französisch, welche an die Opfer erinnert. Sie liegen an der Küste, mit Blick auf die Absturzstelle draussen im Atlantik. (sda)