Die Affäre von Ignazio Cassis mit den
Waffenfreunden von Pro Tell war eine
kurze. Am 11. September trat er dem
Klub bei. Und jetzt, nach öffentlichem
Druck, schon wieder aus («Die Nordwestschweiz»
berichtete). Aber der Flirt
könnte Cassis die Schützenhilfe verschafft
haben, die ihn zum Bundesrat machte,
wie ein Blick auf die Zeitachse zeigt.
10. September 2017
Die Waffenlobby Pro Tell stellt ihre schriftlich geführten Interviews mit den Bundesratskandidaten Ignazio Cassis (TI) und Pierre Maudet (GE) ins Netz. Im Gegensatz zu Maudet stimmt Cassis den Waffenfreunden in vielem zu, gibt sich Schengen-skeptisch. Ja zeigt sich sogar bereit, Mitglied bei Pro Tell zu werden, zumal er schon lange Mitglied des Tessiner Pendants «Libertà e valori» sei.
Ab hier ist Cassis formell
Mitglied von Pro Tell. Es passiert
noch anderes: An diesem Tag füllen
sich die Postfächer der Bundesparlamentarier
mit Serienmails gegen Maudet.
Absender des ersten Mails ist der
Genfer Waffenfreund X. Y.*. Pikant: Er
ist ein Klient von Anwalt, Pro-Tell-Vize
und SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor (VS),
wie dieser auf Anfrage bestätigt.
Im Lauf des Tages wird dieses Mail
von rund einem Dutzend weiteren
Waffennarren an die Parlamentarier
verschickt.
Der Text wirkt professionell,
ist in Französisch und Deutsch gehalten.
Die ersten Sätze lauten: «Zahlreiche
Bürgerinnen und Bürger sind
durch die Kandidatur von Herrn Pierre
Maudet für den Bundesrat beunruhigt.»
Das Schmähmail wirft dem Hauptmann
der Rettungstruppen vor, er sei
ein Euro-Turbo. Er sei in Sachen Migration
und Sans-Papiers «mehr auf der Seite
der Linken als der Rechten». Er wolle
die Waffen der Soldaten ins Zeughaus
verbannen. Er fahre in Genf die harte
Tour gegen Waffenerwerber, setze sich
nicht für Schiessplätze ein.
Die unbekannten
Urheber des
Schreibens zweifeln sogar
an Maudets Loyalität
gegenüber der Schweiz.
«Wir fragen uns, wohin
die Treue Herrn Maudets
als französischschweizerischer
Doppelbürger im Falle
eines Streitfalls mit Frankreich ginge.»
Das ist wohl als Steilvorlage für Cassis
gedacht. Der hat im Unterschied zu
Maudet seinen ausländischen Pass abgegeben.
Und sich in der Migrationsfrage
zuletzt kritisch geäussert.
Pro-Tell-Vize Jean-Luc Addor.Bild: KEYSTONE
12. September 2017
Die SVP-Fraktion, zu
der Pro-Tell-Vize Addor zählt, stellt sich
überraschend früh – schon eine Woche
vor der Wahl – wuchtig hinter die Kandidatur
Cassis. Er erhält 45 Stimmen,
Isabelle Moret 11. Maudet geht leer aus.
Wirkte die Schützenhilfe schon? Zwischen
Pro Tell und der Serienmail-Aktion
gegen Maudet lassen sich Verbindungen
nachweisen. Nicht nur ist Waffenfreund
X.Y., der das erste Mail verschickte,
Klient von Anwalt Addor.
Ende August
schrieb X.Y. auf seiner Website: «Pro Tell
ist zurück im Kampf.» Und: «Das neue
Komitee Pro Tell ist aktiv und kommuniziert
über verschiedene Kanäle. Wir
wollen dies aktiv unterstützen. Bitte
leitet daher jeweils die Pro-Tell-Mitteilungen
weiter, engagiert euch und
nehmt damit auf einfache, aber effiziente
Weise am Kampf teil.»
Auf Anfrage behauptet X. Y., der seinen
«Namen nicht in der Zeitung sehen
will»: «Pro Tell hatte nichts mit meinem
E-Mail zu tun.» Also dem Angriff auf
Maudet. Er habe «als freier Bürger dieses
Landes» agiert. Die Frage, ob Addor
sein Anwalt sei, findet er dann nicht
mehr lustig. «Ich werde auf Ihre E-Mails
nicht mehr antworten.»
Auch Jean-Luc Addor sagt, Pro Tell
habe nichts mit den Serienmails zu tun.
Der Verein habe in der Bundesratskampagne
immer transparent agiert: «Wir
haben mit offenem Visier gekämpft».
Geschafft! Cassis nach seiner Wahl in den Bundesrat. Bild: KEYSTONE/POOL
Cassis: «War nicht involviert»
Schützenhilfe der Schützen. Kann sich
Bundesrat Cassis die zeitliche Nähe seines
Pro-Tell-Beitritts und der Schmähmails
gegen Gegner Maudet erklären?
Auf Anfrage lässt er durch Ursula Eggenberger,
Kommunikationsleiterin der
Bundeskanzlei, ausrichten: «Er hat von
dem am 11. September gegen Herrn
Maudet gerichteten Serienmail zum
gleichen Zeitpunkt Kenntnis genommen
wie die anderen Mitglieder der
Bundesversammlung. Herr Cassis war
zu keinem Zeitpunkt in den Mailversand
involviert und weiss deshalb auch
nicht, wer ihn zu verantworten hat.»
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Die beliebtesten Kommentare
felixJongleur
18.10.2017 08:17registriert Dezember 2014
Wie wenn diese Serienmails den Ausschlag gegeben hätten, dann hätte ich ein grösseres Fragezeichen ob dem Rückgrat der Empfänger als bei Bundesrat Cassis. Geweibelt, lobbyiert und intrigiert wird doch immer, von links bis rechts, das haut mich jetzt nicht aus den Socken.
Ha, was Amerika mit Trump kann, können die Schweizer und ihre Politiker schon lange. Politik war schon immer ein Drecksgeschäft, frage mich nur, wie dreckig es noch werden kann?
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