Erst am Montag sind neue nationale Corona-Massnahmen in Kraft getreten. Und dennoch beugt sich der Bundesrat bereits heute Freitag wieder über das Dossier. Die wissenschaftliche Task Force hatte am Dienstag unmissverständlich klargemacht, dass die aktuellen Massnahmen nicht ausreichen, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Von Panik will man im Bundeshaus zwar nichts wissen, aber auch den Bundesratsmitgliedern ist klar: Die Lage ist ernst.
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Und so wird der Bundesrat heute eine Diskussion führen, die er lange gescheut hatte. Nämlich, ob der Zugang zu gewissen Orten nur noch Geimpften und Genesenen (2G) gewährt werden soll.
Wobei es 2G wiederum in verschiedenen Facetten gibt: Ohne Maskenpflicht, um die Geimpften nicht zu vergraulen. Oder mit Maskenpflicht, weil auch geimpfte Personen das Virus weitergeben können. Und schliesslich gibt es auch noch 2G+: Dass auch Geimpfte und Genesene ein Testresultat vorlegen müssen, um Zugang zu bestimmten Bereichen zu erlangen. Selbst wenn sich der Bundesrat findet, gehen die Vorschläge zunächst in die Konsultation.
Dem Vernehmen nach beantragt Berset ein Eskalationsmodell. Gemäss dem «Nebenspalter» steht gar ein Wellenbrecherlockdown zur Diskussion, was aber kaum mehrheitsfähig sein dürfte. Möglich ist auch, dass der Bundesrat nochmals über eine Home-Office-Pflicht debattiert. Wir schauen, wo die Bundesräte stehen.
Der Gesundheitsminister hat in dieser Pandemie verschiedene Phasen durchlebt. Die Heldenverehrungen der ersten Welle sind längst passé. Berset ist das Feindbild Nummer eins der Massnahmengegner und steht unter permanentem Polizeischutz.
Manche Parlamentarier finden ihn gereizt und missmutig. Andere staunen, mit welch stoischer Ruhe Berset in den Sitzungen der Parlamentskommissionen alle Fragen beantwortet – selbst solche, in denen die Impfung mit Gift gleichgesetzt wird.
In dieser fünften Welle hat sich Berset mit den Kantonen ein eigentliches Covid-Ping-Pong geliefert. Der Gesundheitsminister sah die Kantone in der Pflicht, die Kantone verlangten nationale Massnahmen. Erst mit dem Auftauchen der Omikron-Variante übernahm Berset wieder das Ruder.
Das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen ist aber immer noch angespannt. Letzte Woche überrumpelte der Bundesrat die Kantone mit der Möglichkeit von 2G. Dass nicht alle Kantone repetitive Tests an Schulen machen, kann Berset nicht verstehen. Die Verantwortlichen in den Kantonen sind wiederum genervt, dass Berset die praktischen Einwände ignoriert. Berset prägt den Pandemiekurs. Immer hart am Limit, immer etwas verzögerter als die Nachbarländer: Doch heute Freitag wird auch Berset an der Bundesratssitzung Vorschläge für 2G unterbreiten.
Anders als sein Partei- und Ratskollege Ueli Maurer hat Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) den bundesrätlichen Coronakurs in der Öffentlichkeit immer loyal mitgetragen. Wie er sich genau zur 2G-Regel positioniert, ist nicht ganz klar. Aus seinem Umfeld hört man unterschiedliche Töne. Tendenziell steht er Verschärfungen skeptisch gegenüber.
In der Samstagsrundschau von Radio SRF sagte er vor einer Woche, 2G sei im Moment noch nicht denkbar. Er schloss diese Option für die Zukunft aber nicht aus. Harte Massnahmen wie Lockdowns mit Restaurantschliessungen lehnt er ab. Parmelin setzt grosse Hoffnungen in die Booster-Impfung. Die Reise nach Israel Ende Oktober hat ihn in dieser Hinsicht stark geprägt.
«Impf-Obligatorium könnte notwendig sein», titelte der «Blick» ein Interview mit dem frisch gewählten Bundespräsidenten Cassis. Doch der Titel führt auf die falsche Fährte: Der FDP-Bundesrat rechnet nicht damit, dass ein Impfobligatorium nötig wird. Er will es aber nicht a priori ausschliessen, da er als Arzt weiss, wie wirksam Impfungen Krankheiten eindämmen können.
Für Cassis ist grundsätzlich klar, dass gehandelt werden muss, wenn die Intensivstationen überlastet sind – aber immer verhältnismässig und unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen und sozialen Aspekten. Wie er sich genau positioniert, ist unklar. Als Bundespräsident will er nächstes Jahr die Corona-Entscheide der Bevölkerung gut erklären – dank seines Fachwissens.
Die FDP-Bundesrätin unterstützt die liberale Haltung des Bundesrates und trägt den Kurs von Gesundheitsminister Berset beinahe diskussionslos mit. Das Prinzip der Eigenverantwortung hält sie hoch.
Die Justizministerin pocht seit Beginn der Pandemie stets auf die Verhältnismässigkeit des staatlichen Handelns. Heisst: Der Bundesrat soll Massnahmen beschliessen, die so mild als möglich, aber so hart als nötig sind.
Kürzlich liebäugelte Keller-Sutter im «Rundschau talk» mit der Ausweitung von 2G. Ihr oberstes Ziel ist es, erneute Lockdowns zu verhindern. Dafür zieht sie auch in Betracht, den Zugang zu bestimmten Orten für ungeimpfte Personen zu verbieten. Auch wenn sie selbst zugegeben musste, dass sie 2G noch vor wenigen Wochen nicht für mehrheitsfähig hielt. Der «Rundschau» sagte die freisinnige Magistratin: «Die Pandemie lehrt uns, dass man keine solche Beurteilungen abgeben sollte.»
In den Augen der Verteidigungsministerin (Die Mitte) wäre in der Krise manchmal noch entschlosseneres Handeln gefragt, Stichwort Boostern, gerade vom Innendepartement (EDI) unter Alain Berset. Als aber das EDI mit dem Vorschlag kam, erneut die Armee aufzubieten, zögerte sie zunächst.
Was sie nicht will: Dass die Armee wieder als Sündenbock herhalten muss, wie etwa beim Masken-Chaos. Weil aber in den nächsten Wochen Überlastung der Spitäler droht, will sie Kantonen, die ans Limit kommen und die um Unterstützung bitten, mit bis zu 2500 Soldaten helfen. Es gilt in ihren Augen unbedingt zu verhindern, dass Spitäler überlastet werden. Daher sollen ihre Leute dort aushelfen.
Die Rolle von Finanzminister Ueli Maurer hat sich in dieser Pandemie kaum geändert. Zwar hilft er mit und setzt entschieden um, wenn sein Departement gefragt ist. Doch aus seinem Herzen hat er in der Pandemie nie eine Mördergrube gemacht: Er äussert sich öffentlich immer wieder kritisch zu den Corona-Massnahmen. Als er sich im September an einem Parteianlass im Zürcher Oberland ein Hemd der Freiheitstrychler überzog, war die (linke) Empörung gross.
Trotz aller Skepsis gegenüber der Massnahmen soll sich diese Woche auch Ueli Maurer boostern. Das Problembewusstsein ist also durchaus da. Aber dem Vernehmen nach sollen seiner Ansicht nach nun die Kantone handeln.
Als Bundespräsidentin führte Simonetta Sommaruga durch das erste Krisenjahr, rechtfertigte Lockdown und Verschärfungen mit dem notwendigen «Ruck durch das Land», machte Tempo, griff beim «Gstürm» zwischen Bund und Kantonen durch. Die Entscheide rechtfertigte sie wiederholt als Mittelweg. Er passe zur Schweiz, die keine extremen Lösungen möge.
Wie Verteidigungsministerin Viola Amherd gehört Sommaruga im Bundesrat nach wie vor zur Koalition der Vorsichtigen, trägt aber den Kurs mit.
Was die SP-Politikerin nicht will: dass Geimpfte oder Ungeimpfte bei der Grundversorgung diskriminiert werden. Als frühere Konsumentenschützerin gilt es, eine Impfpflicht zu verhindern – entgegen der Forderung einiger Exponenten ihrer Partei. Als SP-Magistratin gewichtet sie den Schutz der Bevölkerung zwar hoch, bleibt aber pragmatisch.
Der Bundeskanzler stimmt nicht mit an den Sitzungen, hat als Stabschef aber eine wichtige Funktion.
Tragisch und äusserst bedenklich, dass er sich nicht ohne Polizeischutz fortbewegen kann.
Einerseits sind vielerorts die Intensivstationen überlastet, ansonsten müssten keine Operationen wieder verschoben werden und die medizinischen Kräften laufen bereits im Roten Bereich. Wie bitte soll jetzt der wirtschaftliche Aspekt da noch berücksichtigt werden? Alles weiterlaufen lassen und die Spitäler fahren Triage, das medizinische Personal wirft den Bettel hin? Wie stellen die sich das vor?