In Deutschland werden prominente Influencer vor Gericht gezerrt. Die Branche wird mit Abmahnungen überzogen. Britische Berühmtheiten mussten der Wettbewerbsbehörde schriftlich Besserung geloben. In den USA erhielten schon vor zwei Jahren mehrere Influencer amtliche Verwarnungsschreiben. All diese Meinungsmacher und Beeinflusser wurden im Kern mit demselben Vorwurf konfrontiert: ihren Fans nicht offen deklariert zu haben, ob sie auf irgendeine Weise entschädigt wurden, als sie auf den sozialen Medien mit den neuesten Produkten berühmter Marken posierten. Damit könnten sie gegen nationale Gesetze für einen fairen Wettbewerb verstossen haben.
Im Ausland werden die Regeln durchgesetzt. In der Schweiz nicht, die zuständige Lauterkeitskommission kann nicht eingreifen. Sprecher Thomas Meier sagt zwar: «Die Schweizer Influencer missachten unsere Grundsätze und das massgebende Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb wohl genauso häufig wie ihre Kollegen in der EU.» Doch sei ein Eingreifen der Kommission derzeit nicht möglich. Denn: «Uns liegt bis heute keine Beschwerde vor über Influencer», sagt Sprecher Meier. Ohne Beschwerde kann die Kommission nichts tun. Missachtete Gesetze, eine untätige Kommission – versagt da das System? Nein, sagt Sprecher Meier, vielmehr sei es wohl so: «Die Nicht-Einhaltung der Regeln stört die Bevölkerung offenbar nicht wirklich.» Oder zumindest nicht genug, dass Beschwerde eingereicht würde. Und wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Stiftung für Konsumentenschutz ist anderer Meinung. Kaum jemand kenne die Lauterkeitskommission, insbesondere das mehrheitlich junge Publikum von Influencern wohl nicht. Und: «Wenn es zur Beschwerde kommt, bleibt dies wirkungslos, weil es ohnehin keine Strafe gibt», sagt Expertin Josianne Walpen. Die Stiftung fordert Reformen. Neu müsse eine staatliche Behörde von sich aus tätig werden, wenn Werbung nicht klar deklariert sei. Dafür könne man eine Behörde schaffen oder eine bestehende beauftragen. Sanktionen müssten vorgesehen sein. Ohne gehe es nicht, wenn Regelverstösse weit verbreitet seien. Walpen begründet: «Konsumenten dürfen nicht durch versteckte Werbung getäuscht werden. Umso mehr, wenn die Zielgruppe sehr jung ist und leicht beeinflussbar.»
In Deutschland wird hart gegen angeblich fehlbare Influencer vorgegangen. Jedoch greift weniger der Staat ein, sondern der privatwirtschaftliche Verband Sozialer Wettbewerb (VSV). Dazu sind Verbände oder gar Konkurrenten in Deutschland berechtigt. Es ist eine deutsche Variante, der in der Schweiz oft angewandten Selbstregulierung. Der VSV will rechtliche Klarheit zur Werbung im Internet. Cathy Hummels ist eine der Star-Influencer, die der VSV verklagte. Die Ehefrau eines berühmten Fussballers hatte auf Instagram mit einem blauen Plüsch-Elefanten posiert. Schleichwerbung sei das, sagt der VSV. Nur ein Geschenk von Verwandten, kontern Hummels und Anwälte, Produkte ohne Gegenleistung müssten nicht als Werbung gekennzeichnet sein. Das Urteil dürfte wegweisend sein. Derweil verschickt der VSV systematisch Abmahnungen. Danach klagte die Influencerin Vreni Frost über die hohe Gebühr: knapp 180 Euro.
Und sie sollte eine Unterlassungserklärung unterzeichnen: eine lebenslange Verpflichtung keine Schleichwerbung mehr zu machen. Sonst werden Strafen von 5000 Euro fällig, das pro Foto. Das Vorgehen des VSV empfinden nicht nur Influencer als übertrieben hart. Es gab daher Kritik, auch von staatlicher Seite. In Grossbritannien wurde die Wettbewerbsbehörde tätig, und ging vergleichsweise sanft vor. Besonders prominente Influencer mussten schriftlich bestätigen, künftig die Regeln einzuhalten. Erst im Wiederholungsfall würde es Strafen absetzen. Durch die medienwirksame Aktion wurde die gesamte Branche aufgeschreckt.
Missachtete Gesetze, eine Kommission, der die Hände gebunden sind – das ist quasi Schweizer Normalzustand, geht es um unlauteren Wettbewerb. Anwalt Martin Steiger, spezialisiert auf Recht im digitalen Raum, sagt: «Wir haben Regeln. Aber mehrheitlich hat es keine Folgen, wenn diese verletzt werden.» Die Lauterkeitskommission habe kaum Wirkung bei Influencern. «Die meisten haben noch nie von ihr gehört.» Dennoch sei der Schweizer Ansatz nicht zwingend schlechter als etwa der deutsche. «In Deutschland kann ein rechtlich unbedarfter Jungunternehmer rasch zig Mal gegen die Regeln verstossen», sagt Steiger.
In der Schweizer Tradition hingegen gehe man davon aus: der Einzelne muss klagen. «Dadurch muss der Leidensdruck sehr hoch sein, bis etwas passiert.» So sei es zwar für den Einzelnen mühsamer, sich zu wehren. Aber dafür seien rechtliche Auswüchse seltener. Im Falle der Influencer gehe es um die Frage: Wie weit verbreitet sind gravierende Regelverstösse wirklich? Für Steiger müsste es darauf erst fundierte Antworten geben. «Solange es nicht gravierende Missstände gibt, müssen wir in der Schweiz nicht grundlegend über die Bücher.» Zumal die Schleichwerbung von selbst verschwinden könnte, indem sie die Branche allmählich selber ächtet.