Für Digital Switzerland war die Herbstsession der eidgenössischen Räte keine Offenbarung. Nach massivem Lobbying der Hotelleriebranche stimmte der Nationalrat einer Motion zu, die Tiefpreisgarantien auf Online-Buchungsplattformen verbieten will. Der Bundesrat muss nun ein entsprechendes, nach dem Marktführer «Lex Booking» genanntes Gesetz erarbeiten.
Es blieb nicht der einzige Fall von digitalem Heimatschutz: Das Parlament verabschiedete auch das neue Geldspielgesetz. Es erlaubt die bislang verbotenen Online-Glücksspiele, allerdings nur für Inhaber einer Schweizer Konzession. Ausländische Anbieter, die in den letzten Jahren Marktanteile auf Kosten der einheimischen Casinos und Lotterien gewonnen haben, sollen mit Netzsperren belegt werden.
Auch in diesem Fall machte sich die betroffene Branche mit viel Einsatz und auf verschiedenen Ebenen für das Gesetz stark, wie watson aufgezeigt hat. Mehrere Jungparteien und Vertreter der ICT-Wirtschaft wollen sich mit dieser virtuellen Abschottung nicht abfinden. Sie haben letzte Woche das Referendum gegen das «bevormundende Geldspielgesetz» ergriffen.
Einfach ist die Ausgangslage nicht, wie Andri Silberschmidt einräumt, Präsident der Jungfreisinnigen und seit dem erfolgreichen Kampf gegen die Rentenreform ein Shootingstar der Schweizer Politik. Die Sammelfrist läuft bis zum 18. Januar 2018. In diesen Zeitraum fallen die Weihnachtsfeiertage, in denen das Beschaffen von Unterschriften so gut wie aussichtslos ist.
Und falls das Referendum zustande kommt, wartet ein ungemütlicher Abstimmungskampf gegen mächtige und finanzkräftige Rivalen. Das betrifft nicht nur die einheimische Glücksspiel-Branche. Sie liefert einen beträchtlichen Teil ihrer Erträge an AHV und die Kantone ab und leistet so «einen bedeutenden Beitrag an das Gemeinwohl», wie der Casino-Verband auf seiner Website festhält.
Die Casinos allein hätten über die Spielbankenabgabe bislang 5,7 Milliarden Franken abgeführt. Seit dem Höhepunkt 2007 mit 539 Millionen Franken sind die Erträge jedoch rückläufig. 2016 betrugen sie noch 323 Millionen. Dieser Einbruch wird hauptsächlich der ausländischen Online-Konkurrenz zur Last gelegt, die in der Schweiz keine Abgaben zahlt.
Dies bedeutet auch weniger Geld für die AHV. Sie war das zentrale Argument, mit dem SP-Finanzminister Otto Stich 1993 die Aufhebung des Spielbankenverbots durchsetzen konnte. Ein weiteres war schon damals die ausländische Konkurrenz. Die Schweizer sollten ihr Geld nicht länger in den grenznahen Casinos in Konstanz, Évian oder Campione verzocken.
Zu den Profiteuren des Systems gehören auch gemeinnützige, sportliche und kulturelle Organisationen, die Beiträge der Lotteriegesellschaften Swisslos und Loterie Romande erhalten. Allein der Dachverband Swiss Olympic bezieht mehr als 25 Millionen Franken pro Jahr, die er an die Sportverbände ausschüttet. Viele Menschen profitieren somit direkt oder indirekt von der Spielleidenschaft der Schweizer Bevölkerung.
Andri Silberschmidt ist sich bewusst, dass sie in einem Abstimmungskampf für das neue Gesetz mobilisiert werden dürften. Er kontert mit dem Modell, das in Dänemark angewendet wird: «Wenn man das Gemeinwohl im Fokus hat, konzessioniert man die ausländischen Online-Casinos und erhält von ihnen Abgaben für die AHV. Der Kuchen wird dadurch nicht kleiner, sondern grösser.»
Die ausländischen Anbieter, die das Referendum finanziell unterstützen, zeigen sich offen für eine solche Lösung, doch die heimische Branche wird ihre Pfründe mit allen Mitteln verteidigen. Auch Gegner des Geldspielgesetzes sehen deshalb schwarz im Hinblick auf eine mögliche Abstimmung. «Das Referendum ist aussichtslos», sagte der Luzerner SVP-Nationalrat und IT-Unternehmer Franz Grüter der «NZZ am Sonntag».
Selbst die Netzwirtschaft, die an einem schrankenlosen Internet interessiert sein müsste, hält sich zurück. Gegen das Gesetz engagiert sich der Verband Swico, der bereits am gescheiterten Büpf-Referendum beteiligt war. Der Dachverband ICT Switzerland hingegen versagt dem Referendum seine Unterstützung. Er setzt auf Schadenbegrenzung und will weitere Netzsperren verhindern.
«ICT Switzerland wird alles daran setzen, dass das schädliche Mittel der Internetsperren nicht in weiteren Gesetzen und Beschlüssen zum Einsatz kommt,» hält Verbandspräsident Marcel Dobler, St.Galler FDP-Nationalrat und Digitec-Mitgründer, in einer Mitteilung fest. Dahinter steckt die Furcht, dass weitere Branchen sich damit vor ausländischer Konkurrenz schützen wollen.
Unbegründet ist sie nicht, wie die Erfolge von Hotellerie und Glücksspiel-Anbietern im Parlament zeigen. Andri Silberschmidt hofft, dass ICT Switzerland und andere derzeit passive Organisationen sich in einem allfälligen Abstimmungskampf gegen das Gesetz engagieren werden. Man werde dazu Gespräche führen. Erste Priorität aber haben für ihn die nötigen 50'000 Unterschriften.
An der Zurich Game Show am Wochenende werden die Jungfreisinnigen mit einem Stand vertreten sein. «Man soll Seiten wie Pokerstars nicht verbieten, sondern regulieren und besteuern», lautet Silberschmidts Botschaft. Sollte die Netzsperre dennoch kommen, können Zocker sie mühelos umgehen. AHV-Rentner und Sportler gehen leer aus.