Die Schweizer Bevölkerung gibt immer weniger Geld für Essen aus. Wurden 1945 noch 35 Prozent der Haushaltsausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aufgewendet, waren es 2015 noch 7 Prozent, was monatlich 627 Franken entspricht.
Gemäss Economiesuisse könnte dieser Abwärtstrend jedoch bald vorbei sein, sollte die Fair-Food-Initiative angenommen werden. «Die Lebensmittelpreise werden langfristig um rund 50 Prozent steigen», zitiert der Tages-Anzeiger Roger Wehrli, der das Dossier beim Wirtschaftsdachverband betreut. Die Umsetzung der Initiative werde zusätzlich Kosten verursachen. Besonders die Einhaltung höherer Lebensmittelstandards und deren Kontrollen werden sich auf den Preis niederschlagen.
Gemäss Economiesuisse würde der Preisanstieg sozial schwache Familien treffen. Haushalte, denen monatlich weniger als 5000 Franken zur Verfügung stehen, geben aktuell 12 Prozent für Nahrungsmittel aus. «Bei einer Annahme der Initiative könnte dieser Anteil bis auf 20 Prozent steigen.» Dass sozial schwächer Gestellte bereits jetzt tendenziell mehr Geld für Essen ausgeben, zeigen auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS).
Die Gegner der Initiative argumentieren mit derselben Begründung und treffen damit den Nerv der Bevölkerung. In der Tamedia-Abstimmungsumfrage vom 6. und 7. August wurde die Angst vor teuren Lebensmitteln als häufigster Grund für ein Nein angegeben.
Die Initianten der Fair-Food-Initiative setzen sich auch für mehr Ökologie und soziale Gerechtigkeit ein. Genau hier sehen die Gegner einen Widerspruch. Sie wollen aufzeigen, dass sich soziale Gerechtigkeit und die Fair-Food-Initiative nicht vereinen lassen.
Vor einem Dilemma steht die SP: Einerseits setzt sie sich für sozial Schwache und Benachteiligte ein, andererseits plädieren die Delegierten für ein Ja. SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo hat damit aber Mühe und enthielt sich im Parlament ihrer Stimme. «Höhere Lebensmittelpreise sind für sozial schwächere Menschen ein Problem», wird sie vom Tages-Anzeiger zitiert.
Anderer Meinung sind die Konsumentenschützer. Erika Städeli Scherrer, Präsidentin der Konsumenten-Vereinigung Schweiz, befürwortet eine Annahme der Initiative klar. Es sei falsch, dass weltweit «Menschen aufgrund miserabler Arbeitsbedingungen ihre Gesundheit zerstören oder gar ihr Leben verlieren, damit ‹sozial schwache Menschen› in unserer zivilisierten Welt ihre Lebensmittel günstig kaufen können».
Ganz und gar nicht einverstanden mit der Prognose von Economiesuisse ist Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, wie sie im «Tages-Anzeiger» bekräftigt. Der Wirtschaftsverband gehe davon aus, dass die Initiative einen Bio-Standard bei allen Lebensmitteln vorsehe – dies sei aber nicht der Fall. Die daraus resultierenden Berechnungen seien zu hoch und somit falsch.
Tatsächlich kommt das Wort «Bio» im Initiativtext nicht vor. Roger Wehrli kontert in der Zeitung: «Auch ohne Bio-Standard würden die Preise steigen, da alle Importe, also mehr als die Hälfte aller konsumierten Lebensmittel, rigoroser Kontrolle unterstünden, an der Grenze und im Ausland am Produktionsort.» (vom)