Zürich, ein warmer Samstagabend im August: Vermummte FCZ-Hooligans greifen Zürcher Stadtpolizisten und Sanitäter an. Genf, ebenfalls ein Wochenende im August: Ein Polizist erleidet schwere Kopfverletzungen, weil er versucht, eine Schlägerei aufzulösen. Gegenüber dem Tages-Anzeiger sprach die Zürcher Stadtpolizeisprecherin Judith Hödl von einer «neuen Dimension der Gewalt». Gemäss einem Bericht des Bundesrats wurden 2016 8,63 Prozent aller Polizisten im Dienst Opfer von Gewalt.
«Muss zuerst ein Polizist sterben, damit die Politik reagiert?» fragte der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) in einer Medienmitteilung Mitte August. Die Forderung des VSPB ist klar: Es braucht härtere Strafen. Diesem Wunsch nachgekommen ist die SVP. Immer wieder versuchten Vertreter, im Parlament eine Verschärfung des Artikels 285 im Strafgesetzbuch, der Gewalt und Drohungen gegen Behörden und Beamte ahndet, durchzuboxen – zuletzt SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger-Bäni. Vom Nationalrat im März durchgewunken, scheiterte ihr Vorstoss am Mittwoch im Ständerat.
«Diese Motion, die sie heute beraten, stellt nochmals eine massive Steigerung gegenüber der letzten Motion dar», warnte Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Ständerat. Flückiger-Bänis Vorstoss fordert eine unbedingte Gefängnisstrafe, was nach Strafgesetzbuch mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe bedeutet. Doch damit nicht genug: Die SVP-Nationalrätin will auch, dass der Arbeitgeber, sobald das Urteil rechtskräftig ist, über das Vergehen des Arbeitnehmers informiert wird.
Für Reto Müller, Lehrbeauftragter für Sicherheits- und Polizeirecht an der Universität Basel, ist ein solcher Vorstoss rechtsstaatlich heikel. «Die Forderung ist sicher gut gemeint. Gewaltphänomene nehmen allgemein zu, man sollte das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten», sagt Müller und meint damit die Mindeststrafe von zwei Jahren.
Das Problem dabei: Artikel 285 deckt eine grosse Bandbreite von Sachverhalten ab. Dazu gehören sowohl verbale Beschimpfungen als auch tätliche Übergriffe auf Beamte. «Bei Strafbestimmungen, die so breit gefasst sind, ist es schwierig, Mindeststrafen festzulegen. Das ist bei eng definierten Sachverhalten, wie zum Beispiel Mord oder Raub, viel eher gerechtfertigt», erklärt Müller.
Hätte man Flückiger-Bänis Vorstoss durchgewunken, hätte folglich eine verbale Bedrohung eines Polizisten auch als tätlicher Übergriff mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden müssen. «Es wäre schwierig für ein Gericht, eine solche Strafbestimmung verhältnismässig auszulegen», sagt Müller und fügt hinzu: «Eine solche Verschärfung des Gesetzes wäre im Endeffekt sogar kontraproduktiv». Kontraproduktiv, weil ein Gericht eine verbale Drohung gegen einen Polizisten wohl kaum mit zwei Jahren Freiheitsstrafe ahnden würde.
Auch dass der Arbeitgeber über ein rechtskräftiges Urteil informiert werden müsste, ist Müller ein Dorn im Auge. «Das ist absolut sachfremd. Das Sanktionsmonopol liegt einzig und allein beim Staat und nicht bei Privaten.»
Für Müller liegt die Lösung der zunehmenden Gewalt auf einer allgemeineren Ebene. «Gewalt nimmt auch in anderen Lebensbereichen zu. Deshalb ist eine Überprüfung des allgemeinen Sanktionenrechts der bessere Weg um gegen Gewalt, egal gegen wen, vorzugehen.»
Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des VSPB, ist enttäuscht vom Entscheid des Ständerats und der Ablehnung der Motion. «Man hätte damit endlich ein Zeichen gegen Gewalt gegen Beamte setzen können.» Für Bundi ist das letzte Wort aber noch nicht gesprochen: «Wir werden weiter Lösungen fordern, um die aktuelle Situation von Behörden verbessern.»