Sie können weder legal eine Wohnung mieten, noch ein Bankkonto eröffnen oder in einer Bibliothek ein Buch ausleihen: Sans-Papiers sind Menschen, die ohne gültigen Aufenthaltsstatus in der Schweiz leben. Schätzungen des Staatssekretariat für Migration (SEM) zufolge sind es zwischen 58'000 bis 105'000 Menschen. In der Stadt Zürich leben rund 14’000 Papierlose.
Ein Jahr lang untersuchte eine vom Zürcher Stadtrat eingesetzte Arbeitsgruppe die Lebensrealität der Sans-Papiers. Untersucht wurde dabei auch die Idee einer «Züri City-Card».
Vorgestellt wurde die «Züri City-Card» von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie ist eine Identitätskarte für alle Bürger einer Stadt – auch für solche ohne gültige Aufenthaltsbewilligung. Mit einer «City-Card» könnten sich auch Sans-Papiers innerhalb der Stadt ausweisen und städtische Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Und sie müssten nicht mehr in ständiger Angst leben, entdeckt oder gar ausgeschafft zu werden. Eine national gültige Aufenthaltsbewilligung ist die City-Card jedoch nicht.
Stadtpräsidentin Corine Mauch äusserte sich sehr kritisch zur Idee der «Züri City-Card». Laut Mauch bringt die Identitätskarte die Gefahr, dass sich Sans-Papiers in falscher Sicherheit wähnten. Denn gültig wäre der Ausweis nur für städtische Behörden. Würde ein Sans-Papier von der Kantonspolizei kontrolliert, gälte die City-Card nicht mehr als Ausweis. «Die City-Card würde die Erwartungen und Hoffnungen von Sans-Papiers nicht erfüllen», so Mauch. Und ein weiterer Punkt kommt hinzu: Ob eine Züri City-Card rechtlich überhaupt realisierbar wäre und nicht gegen das geltende Ausländergesetz verstossen würde, muss zuerst noch abgeklärt werden.
Vorbild für die Züri City-Card ist die Stadt New York. Dort gibt es seit rund drei Jahren eine städtische ID, mit der sich auch Sans-Papiers ausweisen können.
Ebenfalls Vorreiter in Sachen Sans-Papiers ist die Stadt Genf. Die Westschweizer Metropole hat zwar keine City-Card, lancierte aber im Februar 2017 die «Operation Papyrus». Sans-Papiers, die seit zehn Jahren (bei Familien sind es fünf Jahre) in Genf leben, französisch sprechen, finanziell unabhängig und nicht vorbestraft sind, erhalten vom Staatssekretariat für Migration dank des Programms eine Aufenthaltsbewilligung. Im ersten Jahr der «Operation Papyrus» wurde so der Aufenthalt von rund 1’100 Papierlosen legalisiert. Das Projekt ist einzigartig in der Schweiz. Kein anderer Kanton verfolgt derzeit ähnliche Pläne. Auch in Zürich scheiterten die Versuche, eine «Operation Papyrus» durchzubringen.
Bea Schwager, Leiterin der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich (SPAZ), ist «enttäuscht» vom Entscheid des Stadtrats. «Die Reaktionen auf die Untersuchungsergebnisse der Arbeitsgruppe sind mutlos», führt Schwager aus. Sie hätte sich mehr Commitment von Seiten einer links-grün dominierten Regierung gewünscht. «Städte wie Zürich sind ein wichtiger Motor für Veränderungen, der Stadtrat hätte ein Zeichen setzten können.» Für Schwager ist klar: Die City-Card wäre für die Sans-Papiers eine enorme Erleichterung für ihren Alltag. Sie müssten sich nicht mehr vor Polizeikontrollen fürchten und könnten sich besser gegen Diskriminierung oder Ausbeutung wehren.
Ganz vom Tisch ist die Idee der Städte-ID noch nicht. Zuerst muss jedoch abgeklärt werden, ob eine City-Card überhaupt rechtskonform wäre. Auch sonst plant der Stadtrat einige Verbesserungen. So soll in Zukunft für Sans-Papiers der Zugang zu städtischen Leistungen, wie zum Beispiel Elternberatung, verbessert werden. Nichtregierungsorganisationen sollen zudem mehr in ihrer Arbeit unterstützt werden.