Die Regeln für Fernseh- und Radiowerbung für Arzneien werden lockerer: Für viele entfällt die Vorkontrolle durch Swissmedic. Damit besteht bei Medikamenten die Gefahr, dass Werber Kunden mit falschen Versprechen ködern, fürchtet die Stiftung für Konsumentenschutz.
Die Lockerung gilt ab Anfang 2017, wie dem Newsletter des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic zu entnehmen ist. Demnach müssen nur noch Schmerzmittel, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Abführmittel und Appetitzügler den Prüfern vorgelegt werden, bevor die Werbung im Radio, Fernsehen oder Kino geschaltet wird.
Bei diesen Arzneien besteht Suchtgefahr: Medikamente bei denen in der Arzneimittelinformation ein Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotential aufgeführt sei, müssten weiter Swissmedic zur Vorkontrolle unterbreitet werden, heisst es in einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur sda.
Folglich müssen die Pharmahersteller Swissmedic nicht mehr Werbespots vorführen für Medikamente, die in den Apotheken nach kurzer Beratung über den Ladentisch gehen. Es sind dies Produkte wie Hustensäfte, Halswehpastillen, Nasen- und Ohrentropfen, Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen oder Gels gegen Sportverletzungen oder Bienenstiche.
Für die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), Sara Stalder, ist es fragwürdig, dass Swissmedic ihre eigene Praxis aufgeweicht hat. «Es besteht die Gefahr, dass vermehrt in der Medikamentenwerbung falsche Versprechen gemacht werden», sagte Stalder auf Anfrage. Die Vorprüfung durch Swissmedic habe eine «disziplinierende Wirkung».
Bei Missbrauch könne Swissmedic zwar eingreifen, aber «bis der Streit im Hintergrund ausgetragen und die Werbung offiziell gestoppt ist, hat die Pharmafirma diese längst durch eine neue ersetzt, und die alte hat ihre Wirkung bereits erzielt», sagte Stalder.
Sei gar die Grenze zu unlauterem Wettbewerb überschritten, könnten Konsumenten auch bei der Lauterkeitskommission gegen falsche Versprechen vorgehen. «Doch bis die Kommission sich mit dem Fall befasst, hat diese Werbung ihre falsche Botschaft schon verbreitet.» Die Lauterkeitskommission ist ein Selbstkontrollorgan der Kommunikationsbranche. Sie kann nur Empfehlungen aussprechen, aber keine Strafen verhängen.
Derzeit prüft Swissmedic rund 50 Werbungen für Radio, Fernsehen und auch Kino pro Jahr. Die Praxisänderung sei ein Schritt hin zu mehr Eigenverantwortung für die Hersteller.
Das gilt auch für die Frage, ob ein Medikament überhaupt zur Prüfung vorgelegt werden muss. «Es liegt in der Eigenverantwortung der Urheber der Werbung zu prüfen, ob eine Pflicht zur Vorkontrolle besteht oder nicht», schreibt Swissmedic.
Medikamente, die man nur auf Rezept erhält, dürfen in der Schweiz nicht beworben werden. Alle anderen dagegen schon. Für Werbung im Internet, in Zeitungen, Magazinen, auf Plakaten und elektronischen Anzeigetafeln gilt die gelockerte Praxis bereits seit Anfang 2014.
Grund für die Praxisänderung war ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2013, das Swissmedic zur Lockerung zwang. Jetzt ging das Heilmittelinstitut selbst über die Bücher, weil es feststellte, dass viele Patienten sich vor allem im Internet über Medikamente informieren, sofern sie nicht zum Arzt oder in die Apotheke gehen.
Eine Vorkontrolle in den elektronischen Medien (Radio, Fernsehen und Kino) entspreche «nicht mehr der heutigen gesellschaftlichen Mediennutzung», begründet Swissmedic die Lockerung im Newsletter.
SKS-Geschäftsleiterin Stalder kann diese Begründung zwar «nachvollziehen», würde aber vorziehen, wenn man statt einer Lockerung den gegenteiligen Schluss ziehen würde – gerade bei den Medikamenten mit ihren Risiken und Nebenwirkungen.
«Die Medikamentenwerbung im Internet muss reguliert werden zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten», fordert Stalder. Dies sei problemlos möglich bei Online-Werbung, die in der Schweiz geschaltet werde.
(sda)