«Vor sieben Jahren war uns klar geworden, dass wir Kinder wollten», sagt Micha. Zuvor hatte der damals 31-Jährige nie wirklich mit dem Gedanken gespielt, Vater zu werden. Den Kinderwunsch hegte vor allem sein Partner Ron. «Irgendwie war es mir immer unrealistisch vorgekommen, als schwules Paar in der Schweiz Kinder zu haben.»
Doch als die beiden begannen, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen, merkte Micha, dass es «durchaus möglich» sei.
Die Option, gemeinsam mit einem lesbischen Paar Kinder zu kriegen, schlossen die beiden aus. Zu Beginn wollte Micha vielmehr adoptieren. Seine Hoffnungen, auf diese Weise Vater zu werden, verflüchtigten sich allerdings ziemlich schnell – aus dem einfachen Grund, dass homosexuellen Paaren die Adoption in der Schweiz verboten ist.
«Einem ledigen Mann steht eine Adoption zwar offen», sagt Micha. Theoretisch könnte er also adoptieren, da er und Ron nicht eingetragen sind. In der Schweiz werde aber eine so geringe Zahl von Kindern zur Adoption freigegeben, dass «ich mir schlicht keine realistische Chancen ausmalte, als lediger Mann, der in einer Beziehung mit einem anderen Mann lebt, ein Kind adoptieren zu können.»
Das Paar begann, das Verfahren der Leihmutterschaft genauer unter die Lupe zu nehmen – ein Verfahren, das in der Schweiz nicht zulässig ist. «Als Ron dies zum ersten Mal vorschlug, kriegte ich kurz die Krise», erinnert sich Micha. «Ich hegte diesem Thema gegenüber viele Vorurteile, hielt es für eine Ausnützung ärmster Frauen in ärmsten Ländern.»
Erst die tiefergehende Beschäftigung mit der Thematik konnte seine Bedenken weitestgehend ausräumen. Ron und Micha beschlossen, das Verfahren in den Vereinigten Staaten durchzuführen. Dort kostet es zwar bedeutend mehr als in anderen Ländern. «Unsere Ausgaben liegen bei rund 115'000 Schweizer Franken», sagt Micha. Dafür fühlte sich das Paar im Hinblick auf das Wohlergehen und die Rechte der Leihmutter wohl. «Für uns kamen nur die USA in Frage», so Micha
Damit begann ein rund fünfjähriger Prozess, in dessen Verlauf die angehenden Väter eine Vielzahl an Informationen zusammentrugen. Es galt, sowohl die passende Agentur als auch eine geeignete Klinik zu finden. Zudem mussten zahlreiche rechtliche Fragen geklärt werden, sei es im Hinblick auf die Vaterschafts-Anerkennung, sei es bezüglich des Bürgerrechts der Kinder.
Unter anderem konsultierten Ron und Micha die US-amerikanische Non-Profit-Organisation «Men Having Babies» – eine Vereinigung, die schwule Paare zum Thema der Leihmutterschaft berät. «Dies war die einzige Anlaufstelle, die uns im Vorfeld nützliche Tipps geben konnte», sagt Micha.
Ganz sicher sei man sich seiner Beschlüsse nie, beschreibt er ihre damalige Gefühlslage. Das sei zwar unangenehm, doch irgendwann müsse man sich einfach festlegen.
Das Paar entschied sich für eine Agentur im Staat Minnesota. «Mit dieser diskutierten wir dann die Wahl der Fertilisationskliniken, und der Entscheidungsparcours ging von Neuem los.»
Vor zwanzig Monaten war es dann endlich soweit: Ron und Micha konnten zum ersten Mal ihre Zwillinge in die Arme nehmen. Zu jenem Zeitpunkt hatten die Neugeborenen einen amerikanischen Pass, in die Schweiz reisten sie als Touristen ein.
Die Familie war kaum zurück in der Heimat, da folgte der grosse Schock: «Wir hatten mit unserer Anwältin vereinbart, dass sie einen Einbürgerungsantrag schreiben würde. Doch dann legte sie ihr Mandat vom einen auf den anderen Tag unbegründet nieder», erzählt Micha.
Die Ursache für dieses Verhalten sieht er darin, dass sie andere Absichten verfolgt haben müsse. «Ich denke, die Anwältin wollte mit uns einen gerichtlichen Präzedenzfall schaffen und erreichen, dass sowohl Ron als auch ich als Väter beider Zwillinge anerkannt werden.»
Das Paar hingegen wollte auf Nummer sicher gehen: «Wir sind beide die genetischen Väter von je einem Kind», erklärt Micha. «Dementsprechend wollten wir einfach, dass das jeweilige Vaterschaftsverhältnis anerkannt wird.»
Micha und Ron suchten eine neue Rechtsvertreterin und fanden sie in Christine Pappert. Mit Hilfe der Zürcher Anwältin kam das Paar ans Ziel: Die Zwillinge erhielten den Schweizer Pass, eine AHV-Nummer und einen Heimatschein, in dem nun der jeweilige biologische Vater als ausschliesslicher Elternteil aufgeführt ist.
«Für schwule Väter ist dies zurzeit der einzige gangbare Weg, um in der Schweiz ein Eltern-Kind-Verhältnis zu einem im Ausland mit Hilfe einer Leihmutter ausgetragenen Kind zu begründen», erklärt Christine Pappert. Sie bezieht sich dabei auf einen Bundesgerichtsentscheid vom Mai 2015, «das erste Urteil des Bundesgerichts zum Thema Leihmutterschaft», wie die Anwältin erklärt.
Den Rechtsspruch der obersten Schweizer Richter fasst sie so zusammen: «Wenn ein schwuler Mann mit dem Kind genetisch verwandt ist, dann muss das Kindesverhältnis zu diesem Vater trotz des Leihmutterschaftsverbots in der Schweiz anerkannt werden.» Die Elternschaft des Partners des genetischen Vaters werde hingegen nicht anerkannt, erklärt Christine Pappert. «Mit dieser Situation müssen wir zurzeit leben.»
Für homosexuelle Eltern und deren Kinder birgt diese Rechtslage einen entscheidenden Nachteil: Gesetzlich abgesicherte Rechte und Pflichten zwischen Eltern und Kindern bestehen nur dort, wo die erwähnte Verwandtschaft besteht. Damit sind in Regenbogenfamilien weder die Eltern noch die Kinder ausreichend geschützt.
«Vor dem Gesetz bin ich der Vater von meinem biologischen Kind, Ron ist der Vater von seinem biologischen Kind», beschreibt Micha die Situation. Gegenüber dem genetischen Kind von Ron hat er hingegen keinerlei väterliche Rechte, umgekehrt gilt dasselbe. «Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Tatsache zu ignorieren», so Micha.
Sie dürften einfach nicht daran denken, dass einem von ihnen etwas zustossen und die Familie dadurch – wenn alles schiefgehen sollte – auseinandergerissen werden könnte. «Die derzeitige Rechtsunsicherheit wird erst dann beseitigt, wenn in der Schweiz das Stiefkindadoptionsrecht für eingetragene Paare eingeführt wird», sagt Micha. Eine entsprechende Revision des Zivilgesetzbuches wurde unterdessen sowohl vom Stände- als auch vom Nationalrat angenommen.
Die rechtliche Situation ist ein Wermutstropfen, doch davon abgesehen geniessen Ron und Micha ihr Vatersein in vollen Zügen. «Die letzten Monate waren wunderbar», schwärmt Micha. «Sowohl mit den Kindern als auch in unserer Beziehung läuft es super.» Für die zwei ausgebildeten Sonderpädagogen ist die Kinderbetreuung schnell zur schönen Normalität geworden. «In unseren Berufen arbeiten wir beide mit Kindern, sodass wir uns den Umgang mit ihnen gewohnt sind.»
Und wie reagieren die Leute auf die schwulen Väter? Bis anhin hätten sie noch keine negativen Erfahrungen gemacht, so Micha. «Zumindest vordergründig sind alle freundlich zu uns.»
Dies mag auch damit zu tun haben, dass die beiden einen sehr offenen Umgang mit ihrer Elternschaft pflegen. Immer wieder gebe es Situationen, in denen sich das Thema kaum vermeiden lasse. Etwa, wenn im Park, auf dem Spielplatz oder im Supermarkt die gutgemeinte Frage komme, ob «heute Papitag sei», sagt Micha und lacht. Er antworte jeweils, «dass bei uns immer Papitag ist», und dann gebe er seinem Gegenüber den Kurzabriss über ihre Situation.
«Eigentlich ist es ein wenig absurd, dass ich stets so schnell so viel Privates erzähle.» Doch fühle er sich fast verpflichtet, den Leuten kurz zu erklären, wie das alles funktioniert», so Micha. «Das hilft, Vorurteile abzubauen.»
Auch gegenüber ihren Kindern waren Micha und Ron von Anfang an ehrlich. «Wir zeigen ihnen oft Fotos von der Leihmutter, damit sie deren Gesicht und Namen kennen», sagt Micha. Mit der Leihmutter pflegen sie ein sehr vertrautes Verhältnis. «Für unsere Kinder ist sie eine Tante, per Whatsapp sind wir jeden Tag in Kontakt mit ihr.»
Bald werden die beiden Väter auch damit beginnen, den Kindern «das Ganze mit Bilderbüchern zu erklären. So werden sie von Anfang an wissen, wie ihre Familie entstand.»
Für die beiden Väter war es kein einfacher Weg zum Elternglück. «Als wir uns mit der Familienplanung auseinanderzusetzen begannen, war die Informationslage in der Schweiz sehr dünn», sagt Micha. Andere schwule Paare mit Kinderwunsch sollen es künftig einfacher haben, fanden die beiden. Deshalb gründeten sie die Website www.swissgaydad.org.
«Wir kennen die Stolpersteine und können anderen Betroffenen mit unserer eigenen Erfahrung helfen», so Micha. Darüber hinaus riefen er und Ron eine Facebook-Gruppe ins Leben, der mittlerweile über 35 schwule Väter angehören. «Unser Hauptanliegen ist klar», sagt Micha. Wir wollen schwule Männer mit Kinderwunsch und solche, die bereits Väter sind, untereinander verknüpfen.»