Herr Grob, was macht ein Entscheidungscoach eigentlich?
Luigi Grob: Ich helfe Menschen, Gewichtungen vorzunehmen. Die Anfragen, die ich erhalte, sind sehr unterschiedlich. Manche sind konkret und reflektiert, andere wissen manchmal gar nicht, was sie eigentlich wollen. Daher ist der Service, den ich anbiete, immer unterschiedlich. Doch grundsätzlich helfe ich den Menschen, sich selbst wahrzunehmen, ihre Gefühle richtig einzuschätzen und mit ihrer eigenen Logik in Einklang zu bringen.
Wie fällt man eine richtige Entscheidung?
Es ist immer schwierig, zwischen richtig und falsch abzuwägen. Doch eine gute Entscheidung ist reflektiert. Die Menschen müssen zumindest einige der Folgen ihres Handelns kennen, ansonsten ist es willkürlich. Doch das Entscheidende ist, dass einer Reflexion auch eine Handlung folgt. Wobei: Keine Entscheidung zu treffen, ist auch eine Entscheidung!
Würden Sie uns Schweizer allgemein als entscheidungsfreudig beschreiben?
Wir sind eher konservativ in der Entscheidungsfindung. Doch das ist nicht nur auf Schweizer beschränkt, das beobachte ich überall. Wir sind eher dazu geneigt, Entscheidungen zu stark zu überdenken, als zu wenig.
Fällen wir zu wenig Entscheidungen?
Das nicht, aber wir warten vielleicht etwas zu lange, bevor wir uns beschliessen, zu handeln. Manchmal ist das richtig, und manchmal falsch. Tendenziell fällt man in dieser sich immer schneller drehenden Welt auch immer schneller Entscheide.
Also immer voll drauf los?
Natürlich nicht! Es gibt viele Situationen, in denen es richtig ist, etwas nicht zu tun. Viele Entscheidungen, die wir aus dem Affekt heraus fällen, können nicht den gewünschten Effekt haben. Es ist ein schwieriges Gleichgewicht, das wir bei Entscheidungsfindung zu halten haben.
Können Sie dieses Gleichgewicht etwas ausführlicher beschreiben?
Personen, die zu scheu sind, Entscheidungen zu treffen, sind oft zu stark in der Vergangenheit verankert. Entscheidungsfreudige Menschen hingegen leben stärker zukunftsorientiert und lassen das Hier und Jetzt eher ausser Acht. Es gilt, ein Gleichgewicht zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und den Erwartungen an die Zukunft herzustellen. Nur dann leben wir tatsächlich in der Gegenwart. Das Hier und Jetzt ist entscheidend.
Gleich geht's weiter mit dem Interview, vorher ein kurzer Hinweis:
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Werden Sie auch von Menschen konsultiert, die zu risikofreudig sind?
Auf jeden Fall. Obwohl es viel mehr gibt, die sich wünschten, sie wären entscheidungsfreudiger.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Typen?
Was diese beiden Typen gemeinsam haben ist, dass sie beide den Willen zur Veränderung haben. Sie wollen ihre Situation verbessern. Doch die Art und Weise, wie sie diese Änderung herbeiführen wollen, ist verschieden. Der eine hofft, sich durch stete Veränderung immer neu zu erfinden, der andere verharrt in Lethargie. Beide Wege sind in ihren Extremen nicht zielführend.
Hat sich dabei in den letzten Jahren etwas verändert? Wurden wir entscheidungsfreudiger oder -scheuer?
Die Arbeit und allgemein unsere Zeit hat sich beschleunigt. Dies hat Auswirkungen auf uns. Wir machen viele Dinge gleichzeitig, nehmen uns den Sachen, die wir tun, nicht mehr mit voller Aufmerksamkeit an. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Wir erhalten so einen viel breiteren Einblick in unterschiedliche Teile der Gesellschaft. Doch unsere Entscheidungen werden damit zahlreicher und beeinflussen auch mehr Bereiche als früher.
Würden Sie sagen, dass wir von dieser Entscheidungsflut überfordert sind?
Gewisse Anzeichen einer Überforderung sind zu spüren, ja. Die Eigenverantwortung ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Früher wurde der Schreiner-Sohn Schreiner und der Metzger-Sohn Metzger. Heute müssen wir von Kind auf unsere eigenen Entscheidungen treffen. Die Freiheit der Auswahl kommt also zusammen mit einer Eigenverantwortung, mit der nicht alle richtig umgehen können.
Also sind wir besonders im Beruf überfordert?
Im Beruf spüren wir diese Überforderung am stärksten, ja. Die Schweiz bildet hier zwar so etwas wie eine geschützte Insel, weil es sehr viele kleine und mittelgrosse Unternehmen gibt. Hier gibt es noch die Kultur des Zusammenarbeitens. In Grosskonzernen, wo jeder nur für einen kleinen Teil verantwortlich ist und vom Rest gar nichts mitbekommt, entstehen Dynamiken, die die Entscheidungsfreudigkeit der einzelnen Personen negativ beeinflussen. Sie driften dann in die Extreme ab. Ein Unternehmen sollte funktionieren wie eine Fussballmannschaft. Als kleines Land sind wir in vielen Belangen ein Vorbild, weil wir eine grosse Beweglichkeit zeigen und so den Wind optimal nützen können.
Eine Fussballmannschaft? Wie meinen Sie das?
Auf dem Fussballplatz gibt es zwar einen Kapitän, der einen grösseren Überblick über das Geschehen hat, aber grundsätzlich sind alle gleich. Es gibt keine Hierarchie.
Also sind Hierarchien etwas Schlechtes?
Hierarchien sind etwas Veraltetes. Sie behindern unser eigenes Vermögen, Entscheidungen zu fällen. Wir haben diese Art der Zusammenarbeit aus den Jahren des Krieges übernommen, doch mittlerweile ist sie überholt. Flache Hierarchien, die eine gemeinsame Entscheidungsfindung ermöglichen, sind der Schlüssel. Der Verteidiger sollte, wenn es um die defensive Zuordnung geht, genauso mitreden können wie der Stürmer in der Offensive.
Was ist Ihr wichtigster Tipp für Unentschlossene?
In Zukunft wird es wieder wichtiger werden, auf seine Gefühle hören zu können. Rationalität ist nur ein Teil unseres Seins. Wer seine Gefühle kennt, weiss woher sie stammen und was sie bedeuten, wird die besseren Entscheidungen fällen.