Ab heute werden acht Zürcher Stadtpolizisten in einem Pilotversuch mit Bodycams ausgestattet. Sie sollen zum Einsatz kommen, wenn Polizisten Privatpersonen im öffentlichen Raum kontrollieren und sollen gewalttätige oder verbale Übergriffe verhindern.
Herr Baier, das Pilotprojekt «Bodycam» der Zürcher Stadtpolizei ist umstritten, es fehlten die rechtlichen Grundlagen. Geht jetzt alles mit rechten Dingen zu und her?
Dirk Baier: Die rechtlichen Rahmenbedingungen betreffend des Pilotprojekts sind geklärt, sonst könnte es nicht starten. Wenn nach Beendigung des Projekts Bodycams dauerhaft eingeführt werden sollten, müsste eine entsprechende Rechtsgrundlage hierfür geschaffen werden.
Muss man ab heute als Passantin in Zürich damit rechnen, von Polizisten gefilmt zu werden?
Es wird nicht permanent gefilmt. Der Polizist schaltet die Kamera ein, wenn er davon ausgeht, dass eine Situation eskalieren könnte. Der Einsatz der Kameras folgt aber einem klaren Reglement (siehe Infobox). Von einer Rund-um-die-Uhr-Videoüberwachung kann nicht die Rede sein.
Die Stadt gibt viel Geld aus, damit Sie wissenschaftlich belegen, dass Bodycams bei der Polizeiarbeit helfen. Können Sie da als Wissenschaftler unabhängig arbeiten?
Ich habe während der Planung des Projekts eine sehr offene und sehr interessierte Polizei erlebt, die herausfinden möchte, ob Bodycams ein geeignetes oder aber ungeeignetes Mittel sind, das Ziel, die Polizisten besser zu schützen, zu erreichen. Die Haltung der Polizei zum Ergebnis ist offen.
Sie sind der Wissenschaftler im Hintergrund. Was ist genau Ihre Aufgabe?
Ich begleite das Projekt zusammen mit meinem Kollegen, Patrik Manzoni, wissenschaftlich mit, und zwar mittels eines experimentellen Designs, einem Feldexperiment.
Was heisst das konkret?
Einerseits führen wir am Anfang und am Ende des Projekts Befragungen von Beamten durch, um zu untersuchen, wie sich die Einstellungen und Erwartungen der Polizisten bezüglich der Bodycam während des Pilotversuchs entwickeln. Andererseits füllen die Beamtenteams nach ihren Schichten – mit und ohne Bodycam – kurze Fragebögen aus. So können wir vergleichen, was im Polizeialltag mit und ohne Bodycam passiert. Letztendlich versuchen wir durch Gespräche mit Polizisten, Richtern und Staatsanwälten herauszufinden, ob die Videoaufnahmen dabei helfen können, Beschuldigte besser zu überführen.
Sammeln Sie für die Studie auch massenhaft Aufnahmen?
Nein, mit den Videoaufnahmen haben wir gar nichts zu tun. Diese analysieren wir nicht.
Wie haben Sie die acht Beamten ausgewählt, die die Bodycams ab heute tragen werden?
Es wurde niemand ausgewählt. Jeder Beamte kann die
Bodycam tragen. Welche Einsatzteams sie letztlich tragen werden, entscheidet
der Zufall. Dies ist für ein experimentelles Forschungsdesign notwendig. Eine
solche Begleitforschung ist ganz selten; es gibt weltweit kaum Studien, die den
Einsatz von Bodycams in dieser Form evaluiert haben.
Bei Ihnen hört man eine gewisse Begeisterung für das Projekt heraus.
Und wie! Ich kann es gar nicht genug wertschätzen, dass wir diese Möglichkeit erhalten haben, in so enger Zusammenarbeit mit der Polizei. Das ist höchster Standard von Evaluationsforschung.
Trotzdem, in den USA wurden Bodycams eingesetzt, um die Bevölkerung vor der Polizei zu schützen. Hier in der Schweiz, um die Polizisten vor der Bevölkerung zu schützen. Weil die Schweizer so viel brutaler sind als die Amerikaner?
Die Schweizer Bevölkerung
ist sicherlich nicht gefährlicher oder brutaler als die amerikanische
Bevölkerung. Hier wie auch in anderen europäischen Ländern ist dennoch derzeit
vor allem die Gewalt gegen Polizisten ein wichtiges Thema. Gewalt und
Respektlosigkeit sind Phänomene, denen sich Polizisten ausgesetzt sehen. Ob
diesen Phänomenen mit neuen Einsatzmitteln wie der Bodycam vorgebeugt werden
kann, evaluieren wir im Projekt.
Glauben Sie, dass es deeskalierend wirkt, wenn ein Polizist in einer brenzligen Situation die Kamera einschaltet?
Genau das
versuchen wir herauszufinden. Ich bin sehr zurückhaltend, zum jetzigen
Zeitpunkt Vermutungen zu den Ergebnissen unserer Untersuchung anzustellen. Die
wissenschaftliche Datenlage ist im Moment sehr dünn.
Einige brutale Vorfälle von Gewalt an Polizisten in der Schweiz wurden von Vermummten ausgeübt. Da helfen Kameras nicht.
Auch hier kann
die Untersuchung Hinweise liefern, unter welchen Bedingungen die Bodycam
effektiv ist und unter welchen nicht.