300'000: So viele verwilderte, herrenlose und sonstige nicht betreuten Katzen könnten gemäss einer Schätzung der Umweltorganisation «Network for Animal Protection» von 2014 in der Schweiz leben.
Dazu tragen vor allem zwei Faktoren bei: nicht kastrierte Katzen vermehren sich rasend schnell. Von einem einzigen Katzenpärchen aus könnten theoretisch innerhalb von 12 Jahren 80 Millionen Katzen entspringen, wenn kein einziges Tier kastriert wird.
Der zweite Faktor: Hierzulande setzen Katzenbesitzer ihre Tiere vermehrt absichtlich aus. Die beiden Ursachen kombiniert führen zu einer Zunahme der herrenlosen Katzen, die durch Wälder und Wiesen streifen.
Das Jagdgesetz des Bundes erlaubt ganzjährig den Abschuss verwilderter Hauskatzen im Wald. Oberstes Ziel des Gesetzes ist der Schutz der Artenvielfalt und der Lebensräume einheimischer Wildtiere. Das Ergebnis: Jäger schiessen Katzen.
Die Zunahme herrenloser Katzen bestätigen verschiedenste Akteure: «Wir Jäger haben den Eindruck, dass es bei den verwilderten Katzen eine Zunahme gibt», sagt David Clavadetscher, Geschäftsführer von Jagd Schweiz, dem Dachverband der Jägerschaft.
Urs Büchler, Präsident des Schweizerischen Verbands der Wildhüter (SVWH), spricht von einer «sehr hohen Frequenz von im Wald umherstreifenden Katzen». Ob es sich dabei um verwilderte Katzen oder Hauskatzen auf Ausflügen handelt, lasse sich aber nicht feststellen.
Tierschützer sehen die Katzenbesitzer als Urheber für die Zunahme bei den herrenlosen Vierbeinern. Einerseits indem sie ihre Katzen bewusst aussetzen, anderseits indem sie auf Kastrationen verzichten und somit den Zuwachs der Katzenpopulation beschleunigen.
«Meinem Eindruck nach gibt es eine ganz klare Zunahme bei den Findelkatzen» sagt Astrid Becker, Präsidentin des Aargauischen Tierschutzvereins (ATS). Zu den Findelkatzen gehören auch absichtlich ausgesetzte Katzen. Eine besonders starke Zunahme von Findelkatzen stellt Becker jeweils rund um die wichtigen Umzugstermine 1. April und 1. Oktober sowie in der Sommerferienzeit fest.
Susy Utzinger, Geschäftsführerin der gleichnamigen Stiftung für Tierschutz, beobachtet seit einigen Jahren eine wachsende Nachlässigkeit beim Kastrieren von Katzen: «Jeder Katzenhalter findet es süss, wenn bei ihm zuhause kleine Kätzchen zur Welt kommen. Und es finden sich auch immer Nachbarskinder, welche die Jungen noch so gerne nehmen.»
Aber das seien dann teilweise dieselben Tiere, welche ein paar Monate später ausgesetzt oder davonlaufen würden, «wenn man für die langen Ferien wegfährt und sich niemand mehr um die Katzen kümmert», sagt Susy Utzinger: «Diese Zusammenhänge wollen viele Leute nicht sehen.» Dabei hätten ihr Wildhüter erzählt, dass sie während den Sommerferien gehäuft ausgewilderte Katzen im Wald antreffen und diese erschiessen.
Für Wildhüter Urs Büchler ist das Abschiessen von verwilderten Katzen im Wald ein heikles Thema. Die Katze sei eines der häufigsten Raubtiere in der Schweiz, mit «nicht zu unterschätzender Wirkung» auf teilweise bedrohte Kleinsäuger, Amphibien und Vögel. «Doch als Wildhüter und Jäger kann man eigentlich nur verlieren, wenn man eine Katze schiesst», sagt Büchler. Dementsprechend wenig werde auch darüber gesprochen.
Auch für David Clavadetscher von Jagd Schweiz ist das Schiessen von Katzen eine emotionale Angelegenheit. Aber das Gesetz gebe den Jägern das Recht, streunende Katzen im Wald zu schiessen. Das Ziel sei, die Wildtierpopulation zu regulieren. «Persönlich bin ich der Ansicht, dass verwilderte Hauskatzen der Wildbahn entzogen werden müssen», sagt Clavadetscher: «Wo streunende Katzen das ökologische Gleichgewicht stören, greifen wir Jäger regulierend ein.»
Verlässliche Statistiken zum Abschuss von Katzen auf gesamtschweizerischer Ebene fehlen. In Zürich wurden laut Kantonsbehörden seit Beginn der Erhebung 2009 acht verwilderte Hauskatzen durch Jagdpächter und Jagdaufseher erlegt. Beim Kanton Aargau heisst es, die Jäger würden beim Abschuss von Katzen «äusserst zurückhaltend» vorgehen.
Auch das Phänomen von absichtlich ausgesetzten Katzen lässt sich schwer beziffern. Zwischen 2011 und 2015 hat die «Stiftung für das Tier im Recht» 17 Strafverfahren dokumentiert. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Andreas Rüttimann, Jurist bei der Stiftung, geht von einer hohen Dunkelziffer aus. 13 der 17 Verfahren führten zu einer Verurteilung.
Gemäss Tierschutzgesetz ist beim Aussetzen einer Katze der Straftatbestand der Tierquälerei erfüllt, sofern der Täter das Tier bewusst loswerden wollte. Eine solche Tat kann mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen sanktioniert werden, wie Rüttemann erklärt.
Tierschutzorganisationen wie die «Susy Utzinger Stiftung» oder der ATS versuchen, dem Problem von ausgesetzten und verwilderten Katzen mit Informationskampagnen und gross angelegten Kastrationsaktionen beizukommen. Für Utzinger fehlt in der Schweiz eine ganzheitliche Strategie zum Umgang mit verwilderten Katzen und zur Förderung der Kastration von Hauskatzen. Der Abschuss durch Jäger und Wildhüter halten die Tierschützerinnen Utzinger und Becker für den falschen Weg.