
Eine «Mundekstase» mit einem gewissen «Je ne sais quoi»: Solche Gänseleber-Häppchen kommen an Weihnachten bei vielen Westschweizern auf den Tisch.bild: Shutterstock
Kommentar
Wenn in den deutschsprachigen Medien von der Stopfleber die Rede ist, sieht man Bilder von misshandelten Gänsen. In der Westschweiz werden dekorierte Weihnachtstische und fröhliche Gesichter gezeigt. Ein paar Zeilen zum Schweizer Foie-Gras-Graben.
24.12.2018, 09:0425.12.2018, 04:06

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Am 24. Dezember überschreite ich jeweils Grenzen. Ich steige am Zürcher Hauptbahnhof in den Zug in Richtung Bern, fahre an Härkingen und Lyssach vorbei, lege einen kurzen Halt in der Bundeshauptstadt ein und reise weiter über den Röstigraben hinweg, bis der Zug in Fribourg Halt macht.
Auf der eineinhalbstündigen Reise passiert man neben kantonalen und sprachlichen auch kulinarische Grenzen: den Foie-Gras-Graben.
Seit ich von der Romandie nach Zürich übersiedelt bin, haben mich die Zürcher gewissermassen adoptiert. Nur eines spaltet uns noch: Die Foie Gras an Weihnachten konnten mir meine Deutschschweizer Mitgenossen bisher nicht ausreden.
In meiner Familie braten wir die Gänseleber jeweils in der Pfanne an und servieren sie mit etwas Balsamico und Feigen. Andere streichen sich die Stopfleber auf Toast. Der süssliche Geschmack ist überwältigend, das Carré vergeht auf der Zunge. Eine «Mundekstase» mit einem gewissen «Je ne sais quoi».
Kollege und Food-Experte Baroni hat auch ein Faible für Foie Gras:
Foie Gras gehört jedoch zu den kontroversesten Delikatessen. Ist in den Medien der «Bourbines», wie die Romands die Deutschschweizer nennen, von ihr die Rede, sieht man Bilder von misshandelten Gänsen. In der Westschweiz werden dekorierte Weihnachtsteller und fröhliche Gesichter gezeigt. In Zürich, Basel oder Bern erzählt man sich nur hinter vorgehaltener Hand, dass man sich ab und zu ein Stück gönnt.
Kommt das Thema in der Deutschschweiz zur Sprache, halten sich viele Romands so auch peinlich berührt zurück. Doch das Schweigen ändert nichts an der Tatsache, dass zahlreiche Schweizer im frankophonen Raum mindestens einmal pro Jahr, meist wie ich über die Festtage, Gänseleber essen.
Das Fondue Chinoise der Westschweiz
Die Liebe zur Foie Gras liegt nicht nur im Gaumen, sie ist auch tief in der Geschichte der Romandie verwurzelt. Man munkelt, Jean Calvin soll seinerzeit den Genfern verboten haben Enten und Gänse zu essen. Es sei zu dekadent. Weil die Genfer aber heimlich immer das Gegenteil dessen machten, was Calvin predigte, wurde die Speise über die Jahre zur Tradition.
Eine Tradition, die ins Geld geht – 100 Gramm Foie Gras kosten zwischen 30 und 40 Franken. Die Delikatesse verkauft sich dennoch sehr gut. Im Jahr 2017 wurden über 235 Tonnen davon importiert. Die meisten Foies Gras kommen aus Frankreich, weitere aus anderen europäischen Ländern. Denn in der Schweiz ist das Stopfen von Tieren seit 1978 verboten.
SP-Nationalrat Mattias Aebischer wollte letztes Jahr auch den Import der gestopften Gänselebern unterbinden. Dabei schlitterte die Schweizer Politik kurzzeitig in eine regelrechte Foie-Gras-Krise, einen Kulturkampf zwischen den zwei grössten Schweizer Sprachregionen. Am Ende scheiterte Aebischer im Parlament, nicht zuletzt an seinen Parteikollegen aus der Romandie.
Aber liebe Deutschschweizer, wir Romands sind uns des moralischen Dilemmas zur Foie Gras durchaus bewusst. Doch: Die Stopfleber ist regelrecht zum Symbol der Ausbeutung von Tieren durch Menschen geworden, dabei ist die Menge jährlich konsumierter Stopfleber gering im Vergleich zu Fleischarten, die die meisten Schweizer regelmässig essen. Und bei letzteren ist nicht immer klar, unter welchen Bedingungen sie entstanden.
Besser als Verbote einzufordern wäre es, Alternativen wie ungestopfte Gänselebern in Bioqualität zu fördern. Diese sind hierzulande bislang fast nicht zu finden. Die ungestopften Foie Gras wiegen nur einen Bruchteil von kommerziell hergestellten Stopflebern und sind deshalb teurer. Aber für fairer produzierte Ware bin ich auch bereit, mehr zu zahlen. Und viele andere sicher auch.
So wird Foie Gras produziert
Für die herkömmliche Foie Gras werden Gänse überfüttert. Mehrmals täglich wird ihnen ein Rohr über den Schnabel eingeführt, um Getreide in den Magen zu pumpen. «Gavage» nennt sich das. Die Leber vergrössert sich durch diese Prozedur um das bis zu Zehnfache der normalen Grösse. Für Tierschutzorganisationen ist das klar Tierquälerei. Doch es gibt auch ungestopfte Gänseleber-Produkte. Bei letzteren schafft man eine appetitanregende Umwelt für die Gänse und forciert so das Wachstum der Leber. Die Tiere essen also selbst viel und müssten nicht mehr gestopft werden. (kün)
Das persönliche Schuldkonto
Und natürlich gibt es Menschen, die beim Essen von jedem ethische Linientreue verlangen. Doch mehrheitsfähig ist das bislang nicht. Ich bin nicht stolz darauf, auch gestopfte Foie Gras zu essen. Und will hier auch nicht dafür werben. Doch ich finde, innerhalb einer Art persönlichen Schuldkontos sollte es dem Konsumenten erlaubt sein, sporadisch zur Sünde zu greifen.
Denn am Ende hält es sich mit der Gänseleber wie mit den Weltmeere verschmutzenden Plastikröhrli und der Vielfliegerei. Oder dem Fleischkonsum im Ganzen. Wir alle wissen, was die ethischste Verhaltensweise wäre. Und verhalten uns trotzdem nicht dementsprechend. Weil etwas fein ist, praktisch oder uns sonst gerade passt. Die wenigsten würden ein Pfeffersteak essen, wenn sie das Rind vorher selbst töten und ausnehmen müssten. Gleichzeitig verzichten auch die wenigsten auf ihren Zürich-London-Flug für 40 Franken – trotz verheerenden Folgen für unser Klima.
Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen. Ich werfe deshalb niemandem etwas vor und werde mir auch weiterhin ein Stück Foie Gras zu Weihnachten gönnen.
Das isst man in der französischen Küche sonst noch:
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Französische Charcuterie
quelle: shutterstock / shutterstock
Der Ständerat stellte sich 2017 gegen ein Importverbot für Stopfleber
Video: srf/SDA SRF
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