Scheitert der britische Austritt aus der EU am Toilettenpapier? Für Denis MacShane ist dies eine real existierende Möglichkeit. «Wir sind der grösste Verbraucher von Klopapier in Europa», sagte der frühere Labour-Abgeordnete und Europa-Staatssekretär. Der grösste Teil werde importiert. «Wenn wir bis zum 29. März keine Lösung finden, befindet sich Grossbritannien im Brexshit.»
MacShane hat das Fäkal-Beispiel nicht zum ersten Mal erwähnt, und der britische Verband der Papierproduzenten widerspricht dem apk(l)okalyptischen Szenario vehement. Eine gute Pointe liefert es in jedem Fall. Das Publikum im Berggasthaus auf dem Grotzenbüel in Braunwald amüsierte sich bestens über den launigen Sprücheklopfer aus dem Vereinigten Königreich.
Der autofreie, idyllische und etwas verschlafene Ferienort im Glarner Hinterland wird an einem Winterwochenende zu Jahresbeginn jeweils zum Treffpunkt von europhilen Köpfen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Euroinferno nennt sich der Anlass. Man fährt Ski, isst Fondue, macht Party und hört sich eine Diskussion zu einem aktuellen europapolitischen Thema an.
An Debattenmaterial bestand dieses Jahr kein Mangel. Das Rahmenabkommen mit der EU beschäftigt die Schweiz. Die EU selbst wird durch die Wahlen im Mai und Populisten in Atem gehalten. Das Podium aber wurde dem Brexit gewidmet. Der Zeitpunkt nur Tage nach der Schlappe von Premierministerin Theresa May im Unterhaus konnte kaum besser sein.
Mit Denis MacShane (ein überzeugter Brexit-Gegner, und das nicht nur wegen seiner einstigen Tätigkeit in der Regierung von Tony Blair) sass passenderweise Jane Owen auf dem Podium, die Botschafterin Ihrer Majestät in Bern. Sie blieb angesichts der heiklen Materie diplomatisch-dezent. Einen Ausweg aus dem Schlamassel konnte sie ohnehin nicht aufzeigen.
Etwas verbindlicher war ihr irischer Kollege Breifne O'Reilly, der als Botschafter für die Schweiz, Liechtenstein und Algerien («ich weiss auch nicht, wieso») zuständig ist. Er betonte die Bedeutung der offenen Grenze für den Friedensprozess in Nordirland. Spekulationen über einen möglichen «Irxit» erteilte er eine Absage: «Wir bleiben in der EU.» Die früher oft störrischen Iren hätten heute mehr Sympathie für Europa.
Komplettiert wurde das Podium durch die (fast) unvermeidliche Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. Sie fiel neben den britisch-irischen Gästen ziemlich ab. «Wir müssen eine Win-win-Situation finden, im Moment aber riskieren wir, eine Lose-lose-Situation zu erzeugen», lautete eine Aussage von Markwalder, die man getrost als Binsenweisheit bezeichnen kann.
Die Bernerin sitzt im Vorstand des Euroinferno. Der eigentliche Begründer ist Benedikt Wechsler, derzeit Schweizer Botschafter in Dänemark. Der gebürtige Basler engagiert sich mit viel Herzblut für Braunwald. Derzeit plant er mit dem Bündner Stararchitekten Peter Zumthor den Bau eines Musikhotels, als Ergänzung zu dem bei Familien sehr beliebten «Märchenhotel» Bellevue.
Das Jahrestreffen der Euroturbos – eine Art bescheidene und familiäre Version des Davoser WEF – ist ein weiteres Element seiner Braunwald-Offensive. Der Name leitet sich ab vom Inferno-Skirennen in Mürren im Berner Oberland. Dieses ist auf der Originalstrecke fast 15 Kilometer lang. Die Braunwalder Ausgabe nimmt es lockerer. In Dreier- oder Vierergruppen stürzen sich die Teilnehmer jeweils am frühen Samstagmorgen auf der noch jungfräulichen Piste ins Tal.
Wer gewinnt, ist zweitrangig. Das Beisammensein im Glarner Schnee steht im Vordergrund. Und das Politisieren. Zweites Topthema am letzten Wochenende war das Rahmenabkommen. Der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer – ein weiterer «üblicher Verdächtiger» – äusserte sich sehr positiv zum CVP-Vorschlag für ein Genehmigungs- und Umsetzungsgesetz in der Schweiz: «Es ist die bislang vernünftigste Idee», meinte Nussbaumer zu watson.
Mit Vernunft hat man in dieser emotional geführten Debatte jedoch einen schweren Stand. Das zeigte sich beim Fondue, dessen Farbe und Konsistenz für Stirnrunzeln sorgte. Man vernahm nicht wenig Ärger über die mutlose Haltung von Bundesrat sowie CVP und FDP, die sich nicht zu einem klaren Ja oder Nein zum Rahmenvertrag durchringen können.
Das führte zu einer gewissen Ratlosigkeit, auch beim Thema Brexit im Panel, das von Nicola Forster moderiert wurde, dem Gründer des Thinktanks Foraus und Neupolitiker (er wurde kürzlich zum Co-Präsidenten der Grünliberalen des Kantons Zürich gewählt). Eine Prognose, was am 29. März passieren wird, wollte niemand riskieren, auch nicht der umtriebige Denis MacShane.
Er ist für eine zweite Abstimmung. Theresa Mays kategorische Weigerung bezeichnete er als Hugo-Chavez-Demokratie: «Man macht eine Abstimmung, die für immer gilt.» Botschafterin Jane Owen zeigte sich skeptisch: «Ein zweites Referendum wäre sehr schwierig. Es könnte das Land noch tiefer spalten und am Ende keine klare Antwort liefern.»