Seine Stunde ist gekommen. Die Selbstbestimmungsinitiative, die aus seiner Feder stammt, ist im Parlament angelangt. Nicht mehr lange, bis das Volk darüber befinden kann.
Sieht so Euphorie aus?, fragt man sich unwillkürlich, wenn man Hans-Ueli Vogt nun gegenübersitzt. Der Vater der Selbstbestimmungsinitiative – oder, wie er sie in voller Länge betitelt hat: «Schweizer Recht statt fremde Richter» –, formuliert seine Sätze mit grosser Zurückhaltung, wägt ab, relativiert.
Böse Zungen behaupten, die SVP sei heute nicht mehr glücklich mit der Initiative, die sie im Wahljahr 2015 mit viel Getöse lanciert hatte. Als «Ladenhüter» bezeichnete die NZZ sie. Christoph Blocher erwähnte das Volksbegehren kein einziges Mal, als er letzten Freitag in der «Arena» über die Europapolitik und die Rolle der «fremden Richter» debattiert hat.
Darauf angesprochen, zuckt Vogt mit den Schultern. Er verweist auf die anderen beiden Grossprojekte, welche die SVP in der Europapolitik am Start hat. Da ist die Begrenzungsinitiative, die eine Kündigung der Personenfreizügigkeit zum Ziel hat. Und natürlich der Kampf gegen das Rahmenabkommen, den Christoph Blocher höchstpersönlich orchestriert.
«Mag sein, dass die Selbstbestimmungsinitiative im Vergleich abstrakter daherkommt und ihre Tragweite darum auch von manchen Parteikollegen unterschätzt wird», so der Jus-Professor. Er sei jedoch überzeugt, dass die Initiative die wichtigste politische Frage überhaupt betrifft: «Wer macht in der Schweiz die Gesetze? Wie viel können wir als Volk noch bestimmen?»
Konkret verlangt die Initiative, dass das Schweizer Recht über das nicht zwingende Völkerrecht gestellt wird. Im Konfliktfall sollen internationale Verträge neu ausgehandelt oder notfalls gekündigt werden.
Für seine Gegner macht Vogt die Schweiz damit zur «Vertragsbrecherin». Die Initiative schwäche die Schweiz, ihre Unternehmen und die Menschenrechte, warnt der Bundesrat. Eine Annahme könne dazu führen, dass die Schweiz die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) «andauernd und systematisch» nicht mehr anwenden kann. Auf lange Sicht drohe daher ein Ausschluss aus dem Europarat und eine Kündigung der EMRK.
Die Schweiz begäbe sich damit auf eine Stufe mit Weissrussland – dem einzigen Land in Europa, das heute nicht Mitglied der EMRK ist. In einem gemeinsamen Artikel warnten 30 von Vogts Arbeitskollegen, allesamt Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtler der Universität Zürich, vor der Initiative.
Aus Vogts Mund klingt die Geschichte freilich anders. Unsere Verfassung garantiere die Menschenrechte als Grundrechte. Dass die Schweiz bei der EMRK mit dabei ist, wertet er vor allem «als Beitrag zum Menschenrechtsschutz in Ländern, die es nicht so genau nehmen wie die Schweiz».
Das Problem besteht für den SVP-Politiker darin, dass sich die Richter in Strassburg mit Verweis auf die Menschenrechte immer weiter in jegliche Lebensbereiche einmischten: «Von Fluglärm über die Abfallentsorgung bis zur Kostenbeteiligung bei Geschlechtsumwandlungen.»
Urteile der Strassburger Richter dürften nicht über unserer Verfassung stehen, argumentiert Vogt. Darum brauche es die Initiative als «Schutzwall». «Sonst können Volksentscheide wie ein Minarettverbot oder eine Ausschaffungsinitiative in Zukunft gar nicht mehr umgesetzt werden.» Von den 30 Kollegen habe im Übrigen keiner die persönliche Auseinandersetzung mit ihm gesucht.
Erwartungsgemäss hat der Ständerat das Anliegen am Dienstagmorgen zerzaust. Zu den rechtsstaatlichen Bedenken kam heftige Kritik am Handwerk. Man habe «früh diverse Schwächen im Initiativtext identifiziert», hiess es aus der ständerätlichen Rechtskommission. Die Initiative sei in zentralen Punkten unklar formuliert, monierte der Bundesrat.
Das muss hart sein für einen, der sein Leben lang einfach nur brillant gewesen war. Die Matur hatte Vogt 1989 als bester Schüler der gesamten Kantonsschule Wetzikon abgeschlossen. Danach: Jus-Studium, Forschungsaufenthalte in Florenz, London und Peking, Anwalts-Job in New York, Berufung zum Assistenzprofessor mit nur 33 Jahren. «Halt würklich än gschiide Siech», wie es einer ausdrückt, der damals mit ihm studiert hat. «Fleissiger als wir anderen zusammen.»
Kann es sein, dass Vogt ausgerechnet bei seinem politischen Meisterstück geschludert hat? Der 48-Jährige schüttelt energisch den Kopf: «Die Initiative ist glasklar formuliert.» Die juristischen Spitzfindigkeiten seien hilflose Versuche, ein Scheingefecht anzuzetteln und sich so vor der politischen Auseinandersetzung zu drücken. «Aber ich wusste ja, dass jetzt eine Phase kommt, in der mir kübelweise Pech über den Kopf geschüttet wird.»
Eine kalte Dusche danach helfe, versucht es Vogt mit einem Scherz. Um nachzuschieben, die Kritik belaste ihn schon. Oft fühle er sich missverstanden.
Vogt provoziert nicht mit der Lust eines Roger Köppels. Er poltert nicht wie ein Blocher. Und jovial-bodenständig wie ein Toni Brunner ist er schon gar nicht. Er verkörpert, wenn man so will, die Antithese zum prototypischen SVP-Haudegen.
«Er spricht die Sprache der SVP nicht», formuliert es ein Ratskollege aus dem linken Lager. In gewisser Weise wirke Vogt in der Fraktion isoliert, seine Auftritte seien oft eigentliche «Einzelveranstaltungen». «Dafür getraut er sich, den Pfoten auch mal anders aufzuheben als die Kollegen.»
Vogts eigene Einschätzung klingt verblüffend ähnlich. Dass er seinen Platz in der Fraktion nie ganz gefunden hat, bestreitet er nicht. «Ich kann gut mit dem Label des Aussenseiters leben. Weil es halt irgendwie zu mir passt.»
Mit seinen rechtsbürgerlichen Ansichten steht Vogt nicht nur an der Universität und in der Schwulenszene oft alleine da. «Als schwuler Intellektueller mit Wohnsitz im superurbanen Zürcher Industriequartier ist er freilich auch nicht gerade die Inkarnation der SVP», schrieb die «Weltwoche» einst.
Schon als Kind sei er oft ein wenig aus dem Rahmen gefallen, erzählt Vogt. Während seine Brüder als Jugendliche auf dem grosselterlichen Bauernhof im zürcherischen Illnau werkelten, ging Hans-Ueli lieber in die Stadt einkaufen oder lernte Französisch-Vokabeln. Und als andere Studenten für den EWR-Beitritt kämpften, argumentierte er leidenschaftlich dagegen.
Er erkenne viele Vorteile darin, nicht zum engsten SVP-Zirkel zu gehören, sagt Vogt. «Ich kann mir selbst treu bleiben.» Der Tag werde kommen, an dem er Abschied nehme von der Politik. «Und dann will ich sagen können, dass ich nie für eine Sache gekämpft habe, bei der es mir nicht wohl war.»
Gerade in gesellschaftspolitischen Fragen schert Vogt immer wieder aus. So befürwortet er etwa die «Ehe für alle». Im Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative stiess er seine Parteikollegen mit der Aussage vor den Kopf, dass es falsch sei, in der Schweiz geborene Secondos wegen Bagatelldelikten auszuschaffen. Sie gehörten zur Rechts- und Sozialgemeinschaft – aus dieser schliesse man Menschen nicht einfach aus.
Wie also landet einer wie Vogt bei der SVP? Eine andere Partei sei für ihn nie infrage gekommen, antwortet er. Schon als Kind sei er «ein Fan der Schweiz» gewesen, fasziniert vom «Sonderfall». Daraus sei nach und nach ein Weltbild gewachsen, das sich über weite Strecken mit jenem der SVP decke.
«Gleichzeitig habe ich genug lang in grossen Städten gelebt, um zu wissen, dass eine Gesellschaft nicht zusammenbricht, nur weil manche Menschen anders leben als andere.» Er müsse nicht im Parteibuch nachlesen, ob eine Frau nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten darf.
Politisch aktiv ist der bekennende Schlager-Fan erst seit 2011. Damals gelang ihm aus dem Stand der Sprung in den Kantonsrat. Nur vier Jahre später stellte die Zürcher SVP den damals noch weitgehend unbekannten Politiker für den Ständerat auf. Slogan: «Ein brillanter Kopf für Zürich». In die kleine Kammer reichte es nicht, dafür aber mit einem Glanzresultat in den Nationalrat. Die Kampfansage an die fremden Richter dürfte ihm dabei kräftig Auftrieb verliehen haben.
Und nun also kann bald das Volk über seine Initiative befinden, wohl noch vor den nächsten Wahlen 2019. Bereiten die Parteistrategen bereits die Kampagne vor? Oder darf dann doch eher die Begrenzungsinitiative als Wahlkampflokomotive glänzen? «Es wird wohl schon primär an mir liegen, etwas zu reissen», sagt Vogt ohne Bedauern in der Stimme.
Ob er 2019 überhaupt noch einmal zur Wahl antritt, lässt er offen. «Ich gehe schon davon aus. Wobei ich in einem Alter bin, in dem ich mich relativ bald entscheiden müsste, falls ich beruflich nochmals etwas ganz anderes machen wollte.» Er liebäugle mit einem solchen Neuanfang, bestätigt Vogt. Um Näheres zu verraten, sei es jetzt aber noch zu früh.