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Die Schweizer Demokratie hat in den letzten Jahren denkwürdige Momente erlebt. Amtierende Bundesrats-Mitglieder wurden abgewählt, Volksinitiativen mit fragwürdigem (Minarettverbot) oder schwer umsetzbarem (Masseneinwanderung) Inhalt angenommen. Erst wenige Monate zurück liegt der intensive und innovative Abstimmungskampf gegen die Durchsetzungsinitiative, der der SVP in ihrer «Kernkompetenz» Ausländerpolitik eine schmerzhafte Niederlage bescherte.
Nun machen die gleichen Gegner erneut gegen die Volkspartei mobil, genauer gegen ihre Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», auch Selbstbestimmungsinitiative genannt. Sie wurde am Freitag bei der Bundeskanzlei eingereicht, bis zur Abstimmung wird es noch einige Zeit dauern. Dennoch läuft die Gegenkampagne bereits auf Hochtouren. Begonnen hat sie nicht erst heute, sondern kurz nach der Lancierung der Initiative im Oktober 2014.
Einen derart frühen Abstimmungskampf hat die Schweiz noch nie erlebt. Er reflektiert zwei Faktoren: Eine wachsende Zahl an Menschen und Gruppierungen ist nicht mehr gewillt, Blocher und Konsorten das Feld ohne Gegenwehr zu überlassen. Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Ausserdem ist es die Initiative selbst, die Widerstand provoziert: Sie wird als eklatanter Angriff auf Rechtsstaat und Menschenrechte empfunden.
Bemerkenswert ist nicht nur die Intensität der Kampagne, sondern auch das taktische Vorgehen. Sie wird von mehreren Organisationen auf verschiedenen Ebenen geführt:
Der aussenpolitische Thinktank Foraus hat am Donnerstag seine Studie mit dem Titel «Irrungen und Wirrungen der Selbstbestimmungsinitiative» präsentiert. Autor Guillaume Lammers zerpflückt darin den Initiativtext und entlarvt ihn als juristischen Pfusch. Er verweist auf klare Widersprüche: So heisst es, Bund und Kantone «beachten das Völkerrecht», und im nächsten Satz wird der Vorrang der Bundesverfassung gegenüber dem gleichen Völkerrecht betont.
Neue foraus-Studie: https://t.co/pAKnti15SH #Selbstbestimmungsinitiative will Produkt verkaufen, das es nicht gibt. pic.twitter.com/9gA4GM9cnF
— foraus (@foraus) 13. Juni 2016
Was gilt im Zweifelsfall, Verfassung oder Völkerrecht? Für Foraus liefert die Initiative mehr offene Fragen als Antworten und führt damit zu Rechtsunsicherheit. Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, hat die Denkfabrik pünktlich zur Einreichung der Initiative das Handbuch «Völkerrecht kompakt» veröffentlicht, mit dem die komplexe Materie «einfach und verständlich» erklärt werden soll.
Der SVP gehe es weniger um die Stärkung des nationalen Rechts als um eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die Hintertür. So lautet die zentrale Argumentation von 75 Organisationen. Geleitet wird diese Kampagne vom Verein Schutzfaktor M, der 2014 gegründet wurde, unter anderem als Reaktion auf die Selbstbestimmungsinitiative, die er als «Anti-Menschenrechtsinitiative» bezeichnet.
Heute wird #AMI eingereicht: wir zeigen die #roteKarte für die #AntiMenschenrechtsinitiativehttps://t.co/JGDB5VuwjX pic.twitter.com/G41MdeKdZI
— Schutzfaktor M (@SchutzfaktorM) August 12, 2016
Auf der gleichen Schiene agiert der vom Publizisten Peter Studer gegründete «Dringende Aufruf», der im Internet mehr als eine Million Franken gegen die Durchsetzungsinitiative gesammelt hatte. Das neue SVP-Begehren stelle «Errungenschaften und Prinzipien menschlichen Zusammenlebens nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage», heisst es in dem dramatisch formulierten Appell.
Ebenfalls aktiv ist Operation Libero, die es mit ihrem Kampf gegen die Durchsetzungsinitiative und Aushängeschild Flavia Kleiner zu nationaler Bekanntheit gebracht hat. Sie setzt einen anderen Akzent: Wenn Landesrecht dem Völkerrecht vorgehe, werde die Schweiz zur «notorischen Vertragsbrecherin». Folglich müsse man von einer Vertragsbruch-Initiative sprechen. Zur Illustration hat Operation Libero ein Video produziert, das sich auf den Rütlischwur bezieht.
Das Thema Vertragsbruch spielt auch in der Argumentation von Foraus eine wichtige Rolle. Wenn die Schweiz sich nicht mehr an völkerrechtliche Verträge halte, bestehe die Gefahr, «dass niemand mehr mit uns Verträge eingehen wird», hiess es an der Präsentation vom Donnerstag. Wer einen Kaufvertrag abschliesse, könne auch nicht einseitig die Bedingungen ändern, meint Foraus.
Die Gegnerschaft beschränkt sich nicht auf diese zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zum Start der Unterschriftensammlung im Frühjahr 2015 veröffentlichte eine Allianz sämtlicher im Bundeshaus vertretener Parteien – ausser natürlich die SVP – ein Communiqué, in dem sie die Initiative als «untolerierbar für die Menschenrechte und unvereinbar für den Standort» kritisierte. Auch der Wirtschaftsverband Economiesuisse wendet sich in aller Deutlichkeit gegen die Initiative und bezeichnet sie in einer Mitteilung als «Angriff auf die Interessen der Wirtschaft».
Frontaler Angriff: Wirtschaft warnt vor SVP-Initiative https://t.co/2ORlzka0FN via @NZZ #SBINein
— stark + vernetzt (@starkvernetzt) August 12, 2016
Angesichts der geballten Opposition scheint es der SVP mit ihrer Selbstbestimmungsinitiative nicht mehr ganz wohl zu sein. Obwohl die 100'000 Unterschriften seit einiger Zeit beisammen sind, zögerte sie mit der Einreichung. Auch argumentatorisch eiert die Volkspartei herum. So etwa beim Reizthema EMRK. Bei der Lancierung 2014 wurde an der Delegiertenversammlung in Rothenthurm (SZ) aus vollen Kehlen dagegen gewettert. Heute spielt die SVP diesen Aspekt herunter, so gut es geht.
Parteipräsident Albert Rösti bezeichnete es an der Medienkonferenz vom Freitag als «dummes Zeug», dass die Menschenrechte in Frage gestellt würden. Chefstratege Christoph Blocher stellt die Selbstbestimmungsinitiative in den Kontext seines Kampfes gegen das EU-Rahmenabkommen. Und Nationalrat Hans-Ueli Vogt, Rechtsprofessor und «Kopf» hinter der Initiative, sang in einem Gastbeitrag in der NZZ ein Loblied auf die direkte Demokratie, die es mit der Selbstbestimmungsinitiative zu erhalten gelte. Zum Inhalt verlor Vogt kein Wort.
Im Bundeshaus verfolgt man die Kampagne mit Interesse und blickt dem anstehenden Abstimmungskampf mit viel Gelassenheit entgegen. Man freue sich sogar darauf, ist von zuständiger Seite zu vernehmen. Dieser Optimismus liegt nicht nur darin begründet, dass die SVP mit ihren Initiativen, die sich nicht auf Asyl, Ausländer oder Europa bezogen, stets gescheitert ist. Man erkennt eine Chance darin, dass das Volk zu dieser Frage Stellung nehmen kann.
Mit einer Abfuhr für «Schweizer Recht statt fremde Richter» würden Völkerrecht und Menschenrechtskonvention in der Schweiz faktisch gestärkt. So hat sich das die SVP bestimmt nicht vorgestellt.