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Alain Berset ist ein besonnener Mensch. Der SP-Bundesrat neigt nicht zum Alarmismus. Umso mehr lässt das Interview aufhorchen, das am Donnerstag in der Neuen Luzerner Zeitung und im St. Galler Tagblatt erschienen ist. Bei der Reform der Altersvorsorge brauche es einen Kompromiss, «Maximalforderungen haben vor dem Volk keine Chance», warnte der Sozialminister. Insbesondere die automatische Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre wäre für die Vorlage das Todesurteil: «Das muss man klipp und klar sagen.»
Man muss nicht lange rätseln, wer der Adressat von Bersets Warnruf ist: Die bürgerliche Mehrheit im Parlament, die bei den Wahlen vom Herbst noch einmal gestärkt wurde. Und die seither ihre Muskeln spielen lässt.
Letzte Woche trat dies an der Sitzung der Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats deutlich zutage. Sie lehnte nicht nur jeglichen Kompromiss bei der Unternehmenssteuerreform III ab, sondern beschloss auch die Abschaffung aller Stempelabgaben und schanzte den Bauern ein nettes Steuergeschenk zu.
«So etwas habe ich in meiner ganzen Politkarriere noch nie erlebt», kommentierte der Basler SP-Nationalrat Beat Jans die Beschlüsse. Seine Partei sprach von der «teuersten WAK-Sitzung aller Zeiten», die Einnahmenausfälle von vier Milliarden Franken pro Jahr zur Folge habe. Das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform hat die SP bereits beschlossen, obwohl die Vorlage im Parlament hängig ist. Hoffnungen auf Nachbesserungen hat sie keine.
Bei der Rentenreform
befürchtet die Linke offenbar eine ähnlicher Entwicklung. Anders
lässt sich der Warnruf von Sozialminister Berset kaum
interpretieren. Man erinnert sich unweigerlich an das Jahr 2003.
Nachdem Christoph Blocher auf Kosten der CVP in den Bundesrat gewählt
worden war, wurde das Schreckgespenst eines rechten Umbaus der
Schweiz durch die neue Regierungsmehrheit von FDP und SVP
heraufbeschworen.
Ganz so schlimm kam es nicht, weil sich die «Alphatiere» Blocher und Pascal Couchepin als inkompatibel erwiesen. Und weil die Bürgerlichen mit einem Steuerpaket Schiffbruch erlitten, bei dem sie dermassen übermarcht hatten, dass die Kantone auf die Barrikaden stiegen. Nach Blochers Abwahl «normalisierten» sich die Verhältnisse, und in der letzten Legislatur von 2011 bis 2015 wurde sogar ein Linksrutsch verzeichnet.
Mit dieser «Herrlichkeit» ist es vorbei, nun ist der bürgerliche Backlash angesagt. Dabei ist sich die rechte Mehrheit bewusst, dass sie zumindest bei der Altersvorsorge nicht über das Ziel hinausschiessen darf. Schliesslich wurden in den letzten 15 Jahren zwei Reformvorhaben in diesem Bereich an der Urne mit Karacho versenkt. Die Erhöhung der AHV um 70 Franken pro Monat als Kompensation für die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes wird es jedoch schwer haben.
Die veränderten Machtverhältnisse finden ihren Ausdruck auch bei der Neubesetzung an der Spitze der drei grossen bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP. Während SVP-Präsident Albert Rösti per Befehlsausgabe aus Herrliberg «gewählt» wurde (so viel zum Demokratieverständnis der selbst ernannten Volkspartei), hatten Petra Gössi (FDP) und Gerhard Pfister (CVP) keine Gegenkandidaten, obwohl letzterer intern nicht nur Freunde hat.
Immerhin ist Pfister ein politisches Schwergewicht und sowohl intellektuell wie rhetorisch einer der herausragenden Köpfe in Bundesbern. Bei Petra Gössi besteht in dieser Hinsicht Luft nach oben. Das zeigte sich beim «Machtwechsel» vor einer Woche in Bern. Während ihr Vorgänger Philipp Müller, den manche vier Jahre zuvor nur widerwillig gewählt hatten, wie ein Rockstar gefeiert wurde und eine launige Abschiedsrede hielt, blieb Gössi bei ihrem Auftritt blass.
Für eine gute Zusammenarbeit dürfte dies kein Hindernis sein, eher im Gegenteil. Gössi und Pfister stehen weiter rechts als ihre Vorgänger, sie dürften gut mit dem umgänglichen Rösti harmonieren. Anders als bei den drei bisherigen Präsidenten, die «permanent auf Krawall gebürstet» waren, so der Tages-Anzeiger, dürfte die Suche nach dem Gemeinsamen dominieren. Wohin die Reise geht, ist absehbar: Mehr für Unternehmen, Bauern, Armee, Autofahrer, weniger für Umweltschutz, Entwicklungshilfe und Soziales.
Man darf die Macht der Präsidenten nicht über-, aber auch nicht unterschätzen. Sie können Pflöcke einschlagen und Richtungen vorgeben. Das neue bürgerliche Trio scheint gewillt, die günstige Gelegenheit zu ergreifen. Albert Rösti sprach im Interview mit der «Aargauer Zeitung» ausdrücklich von einem Neuanfang. Er wisse zwar, dass die Abgrenzung schwieriger werde, wenn die Parteien näher zusammenrutschen: «Aber ich sehe deutlich mehr Vorteile darin, wenn sich die bürgerlichen Parteien wieder klar von Links abgrenzen.»
Dort müssten längst Gegenstrategien entwickelt werden. Doch die Linke agiert nicht, sie reagiert nur. Um wenn sie agieren will, läuft es schief, wie bei bei der SP-Delegiertenversammlung vor einer Woche in La Chaux-de-Fonds. Die Parteileitung wollte ihr einen «EWR 2.0» unterjubeln, um die Schweiz aus der europapolitischen «Sackgasse» zu befreien. Doch die Idee war dermassen unausgegoren, dass die Basis die Wundertüte postwendend an den Absender zurückschickte.
Ausserdem beschlossen die Delegierten die Unterstützung des Referendums gegen das revidierte Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), mit nur einer Stimme Mehrheit. Damit desavouierten sie nicht nur ihre Justizministerin Simonetta Sommaruga, sondern auch die grosse Mehrheit der SP-Fraktion, die dem BÜPF im Parlament zugestimmt hatte. Statt den Bürgerlichen Paroli zu bieten, verfällt die Linke in ihre Tendenz zur Selbstsabotage.
Andere Parteien sind kaum besser. Die Grünen sind so gut wie unsichtbar, ebenso die vor vier Jahren noch gefeierte «neue Mitte». Die BDP macht nur noch dadurch von sich reden, dass sie regelmässig Wahlen verliert. Das erleichtert es den drei «Grossen», ihre Agenda durchzusetzen. Der «bürgerliche Schulterschluss», im März 2015 mit viel Brimborium zelebriert und nur drei Monate später von SVP-Präsident Toni Brunner mit Getöse aufgekündigt, ist Realität geworden.
Natürlich hat die Einigkeit Grenzen. In gesellschaftspolitischen Fragen wird die FDP ausscheren, bei sozialen Themen könnte die CVP andere Akzente setzen. Und bei Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Europapolitik wird die SVP gegen ihre «Partner» antreten. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik aber wird die «Dreierbande» ihre Macht ausspielen.
Die Linke wirkt hilflos. Auf sie kommen harte Jahre zu, in denen sie vorwiegend mit Abwehrarbeit beschäftigt sein wird.