Die Bühlmann Laboratories AG ist ein typisches KMU mit rund 100 Mitarbeitern. Sie produziert In-Vitro-Diagnostika und exportiert sie weltweit. Der Firmensitz in Schönenbuch (BL) befindet sich nur einen Steinwurf von der französischen Grenze entfernt. Man bekennt sich zum Standort Schweiz, zumindest noch, wie CEO Thomas Hafen am Freitag in Bern erklärte.
Denn der wichtigste Absatzmarkt ist die Europäische Union, und das mit grossem Abstand. 65 Prozent der Produkte gehen an Kunden in Europa. Die europäische Zulassung habe Vorrang vor dem kleinen Heimmarkt, betonte Hafen. Dank den bilateralen Verträgen ist sie unbürokratisch möglich. Auch der Zugang zu europäischen Forschungsprogrammen ist für die Firma wichtig.
Beides steht nun zur Disposition. Grund ist die Debatte über das institutionelle Abkommen (InstA) mit der EU. Seit dem mutlosen Nicht-Entscheid des Bundesrats Anfang Dezember dominieren die skeptischen bis ablehnenden Stimmen. Thomas Hafen hat zu diesem Thema eine klare Meinung: «Wir brauchen die bilateralen Abkommen, und wir brauchen das Rahmenabkommen.»
Die Exportwirtschaft ist die Hauptnutzniesserin der bilateralen Verträge. Sie ermöglichen den Zugang zum EU-Binnenmarkt, nachdem das Schweizer Stimmvolk die direkte Mitgliedschaft mit dem EWR-Nein 1992 verworfen hatte. Umso irritierender wirkt ihre Passivität in der Debatte über das InstA, die von Themen wie Schiedsgericht und Unionsbürgerrichtlinie dominiert wird.
Langsam aber erwacht die Wirtschaft aus dem Tiefschlaf. Mit Roche-Präsident Christoph Franz und seinem Credit-Suisse-Kollege Urs Rohner haben sich zwei «Schwergewichte» in Interviews klar zum Rahmenvertrag bekannt. Am Freitag folgte ein «Ökonomen-Hearing» in Bern unter der Ägide der Denkfabrik Avenir Suisse und des Dachverbands Economiesuisse.
Der Binnenmarkt ist keine Quantité Négligeable, stellte Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder klar: Bei der ökonomischen Integration in die EU liege die Schweiz «zusammen mit Belgien und Irland an der Spitze». Sie sei «stärker in den Binnenmarkt integriert als die meisten EU-Länder». Kein Wunder: Die EU ist mit einem Anteil von 53 Prozent der mit Abstand wichtigste Handelspartner.
Ein Wegfall nur schon der Bilateralen I, die 2002 in Kraft traten, wäre schmerzhaft. Bis 2035 drohe ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um fünf bis sieben Prozent, sagte Eric Scheidegger, Chefökonom im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), mit Berufung auf zwei Studien. Der kumulierte Ausfall könne bis 630 Milliarden Franken betragen,was einem Jahres-BIP entspreche.
Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, widmete sich dem umstrittenen Aspekt der Personenfreizügigkeit. Hier bestehe «ein Dilemma zwischen der Bevölkerung und den Firmen», räumte er ein. Denn mehr als 70 Prozent der Schweizer Firmen bezeichnen die Zuwanderung aus den EU-/EFTA-Ländern als wichtig bis unverzichtbar.
Der Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt sei für die Pharmaindustrie «von enorm grosser Bedeutung», sagte auch René Buholzer, Geschäftsführer des Verbands Interpharma. Sie ist die wichtigste Exportbranche der Schweiz und beliefert den gesamten Weltmarkt. Europa ist aber auch für die Medi-Hersteller mit einem Anteil von 49 Prozent die Nummer eins.
Die Unternehmen seien auf einen barrierefreien Zugang zum EU-Markt angewiesen, betonte Buholzer. Ermöglicht wird er durch das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse. Dadurch werden die Qualitätskontrollen in der Schweiz in der gesamten EU anerkannt. Andernfalls müsste man wohl eine separate Zulassung in allen 28 (bald 27) Mitgliedsländern beantragen.
Eine weitere exportstarke Branche ist die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Für fast 80 Prozent der Unternehmen sei das Gesamtpaket der Bilateralen wichtig bis unverzichtbar, sagte Jean-Philippe Kohl, Leiter Wirtschaftspolitik beim Verband Swissmem. Zwei Bereiche stünden dabei im Vordergrund: Die technischen Handelshemmnisse und die Personenfreizügigkeit.
Die Botschaft der Exportbranchen war unmissverständlich. Ein Nein zum InstA wäre ein riskantes Spiel. «Stillstand ist Rückschritt», meinte Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch sinngemäss. Das betrifft etwa die Forschungszusammenarbeit. Beim neuen Programm Horizon Europe droht der Schweiz die «Degradierung» zum Drittstaat und der Ausschluss aus wichtigen Bereichen.
Neue Verträge wären ebenfalls nicht möglich, etwa das Stromabkommen, das im wesentlichen ausgehandelt ist. Langfristig brauche es die Branche, sagte Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Andernfalls sei die Netzstabilität gefährdet, und die Schweiz müsse sich auf eine abnehmende Versorgungssicherheit einstellen.
EU-Gegner empfehlen der Wirtschaft, sich von Europa zu lösen und neue Märkte etwa in Asien zu erschliessen. Bühlmann-CEO Thomas Hafen stellte klar, was er davon hält. Seine Firma hat eine Tochtergesellschaft in Brasilien gegründet. Die EU aber sei der eigentliche Heimmarkt: «Wenn es dort gut läuft, können wir uns auf neue Märkte konzentrieren.»
Im Gespräch bezeichnete Hafen das InstA als «faires Abkommen», weil die Schweiz künftig bei der Erarbeitung von EU-Normen mitreden könne. Um diese Botschaft an den Mann oder die Frau zu bringen, wird noch einige Überzeugungsarbeit nötig sein. Selbst die Wirtschaft agiert nicht geschlossen. Zu den Skeptikern gehört etwa der mächtige Gewerbeverband.
Er hat sich mit den Gewerkschaften zu einer «unheiligen Allianz» bei den flankierenden Massnahmen verbündet. Dabei geht es den Gewerblern weniger um dem Lohnschutz als um die Abwehr der ausländischen Konkurrenz. Negativ geäussert hat sich auch der Versicherungsverband, in dem der SVP-nahe Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig den Ton angibt.
Eines aber hat das Hearing in Bern gezeigt: Jene Sektoren der Wirtschaft, die auf reibungslose Beziehungen zu unserem mit Abstand wichtigsten Handelspartner angewiesen sind, haben den Ernst der Lage erkannt. Gerade noch rechtzeitig.