Für beide Seiten ist er ein Prestigeprojekt: Der Fernverkehrs-Doppelstockzug mit dem Kürzel FV-Dosto ist für die SBB die teuerste Beschaffung in ihrer Geschichte, für Bombardier der grösste Auftrag in der Schweiz. Doch der Vorzeigezug ist auf die schiefe Bahn geraten. Zuerst verzögerte sich die Inbetriebnahme um fünf Jahre.
Und nun kommt es beim fahrplanmässigen Einsatz auf der Interregio-Strecke Basel–Zürich–St. Gallen–Chur zu Ausfällen und Verspätungen. Vor einer Woche machten die SBB eine ungewöhnliche Durchsage: Sie äusserten sich «unzufrieden» über die Zuverlässigkeit der Züge und verlangten von Bombardier «umgehend» Verbesserungen.
Nun nimmt Bombardier-Schweiz-Chef Stéphane Wettstein erstmals Stellung dazu.
Herr Wettstein, es kommen schwierige Zeiten auf Sie zu, zumindest wenn SVP-Verkehrspolitiker Ulrich Giezendanner recht haben sollte. Im «Sonntagsblick» sagte er, Bombardier müsse den SBB wegen der Probleme mit dem FV-Dosto Schadenersatz von 600 Millionen Franken zahlen. Stimmt das?
Stéphane Wettstein: Ich weiss nicht, wie Herr Giezendanner auf diese Zahl kommt. Der Vertrag zwischen den SBB und Bombardier ist vertraulich. Ich kann nur sagen: Die genannte Zahl entspricht nicht der Realität. Im Moment sind Schadenersatzzahlungen gar kein Thema. Dafür müsste zuerst ein vertraglicher Schaden entstehen. Das ist nicht der Fall.
Sie haben aber Verspätung bei der Auslieferung der Züge und jene, die in Betrieb sind, funktionieren nicht wie gewünscht.
Wir haben den SBB bisher zwölf Züge ausgeliefert. Die Zuverlässigkeit konnten wir in den vergangenen Wochen deutlich verbessern. Wir sind zuversichtlich, dass wir schon sehr bald einen stabilen Betrieb zusammen mit den SBB etablieren können.
Wann ist bald?
Einen exakten Termin kann ich nicht nennen, da dies von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Aber ich wage eine Prognose: In ein paar Wochen wird bereits ein grosser Teil der Probleme vom Tisch sein.
Als wie gravierend stufen Sie die technischen Probleme ein?
Sie sind nicht gravierend und betreffen vor allem Türen und Schiebetritte. Das ist natürlich ärgerlich, aber kein Sicherheitsproblem. Wenn kolportiert wird, ein Zug sei stehengeblieben, kann man dies nur beurteilen, wenn man die Ursache dafür kennt. Wenn der Zug zum Beispiel keine saubere Verbindung zum Zugsicherungssystem ETCS hat und deshalb stehen bleibt, ist das unerfreulich. Aber es ist wichtig, dass der Zug dann stoppt. Nur so kann die Sicherheit garantiert werden. Nicht für alle Probleme ist Bombardier verantwortlich. Ein Teil hängt mit unserem Rollmaterial zusammen, ein Teil mit dem bestehenden Bahnsystem. Es ist, wie wenn man einen Beamer an einen PC anschliesst und die Verbindung klappt nicht auf Anhieb wie gewünscht. Bei der Lösung der Probleme lernen wir alle dazu, wir als Rollmaterial-Hersteller und die SBB als Bahnbetreiber.
Die SBB sind mit Ihrer Arbeit nicht zufrieden und haben Bombardier vor einer Woche in einer Mitteilung ungewöhnlich deutlich kritisiert.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass die Mitteilung anders formuliert worden wäre. Wir sind mit den SBB bisher gemeinsam einen langen Weg gegangen und hätten auch gemeinsam kommunizieren können. Die Diskussion, die nach dieser Mitteilung entstanden ist, wird der Sache nicht gerecht. Der FV-Dosto ist kein Pannenzug. Er ist ein fahrendes Rechenzentrum mit vielen Innovationen, die gut funktionieren. Es ist zum Beispiel der erste druckdichte Zug. Bei Kreuzungen sowie in Tunnels entsteht kein störender Ohrendruck. Er hat ein neu entwickeltes Wankkompensationssystem, das schnelle Kurvenfahrten erlaubt und sehr gut funktioniert. Die Platz- und Lichtverhältnisse sind angenehm. Die modernen Anzeigen funktionieren einwandfrei. Wenn man einen neuen Zug einführt, kann man keinen Probebetrieb im Labor durchführen. Erst auf dem öffentlichen Netz werden die Probleme sichtbar.
Die Züge haben ein Problem mit der Laufruhe. Wenn sie in langsamem Tempo über eine Weiche fahren, wackeln sie zu stark. Wenn das kein gravierendes Problem sein soll, hätte man es doch schon nach wenigen Testfahrten lösen können.
Nein. Wir arbeiten mit den SBB daran, den Fahrkomfort zu verbessern. Das ist nicht ungewöhnlich. Die Laufruhe des Zugs ist auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt und nun optimieren wir sie im tiefen Geschwindigkeitsbereich. Wir haben ein gemeinsames Verständnis, wie wir das umsetzen. Bei der Einführung des IC2000 und des ICN tauchten ähnliche Probleme auf.
Aber damals war das kein so grosses Thema. Was ist der Unterschied?
Die Welt ist komplexer geworden, auch die Einführung neuer Technologie. Gleichzeitig hat sich der Kommunikationsstil verändert. Heute verkünden Staatschefs ihre Entscheidungen über Twitter. Früher sass man zusammen an einen Tisch und besprach die Themen danach an einer Pressekonferenz.
Was würden Sie rückblickend anders machen?
Wir hätten die Züge schon früher in Betrieb nehmen sollen, um Erfahrungen zu sammeln. Alle genannten Probleme sind lösbar, aber sie brauchen Zeit. Davon hatten wir beim Fahrplanwechsel kurz vor Weihnachten und Neujahr leider zu wenig. Im Probebetrieb zuvor, der im Februar 2018 begonnen hatte, wurden die Züge in Doppeltraktion zu wenig getestet. Die Probleme, die dann auftauchten, konnte man weder in der Werkstatt noch bei den Testfahrten beobachten. Es ist wie beim Skifahren: Um zuverlässiger fahren zu können, muss man trainieren. In ein paar Wochen werden schon Fortschritte zu beobachten sein. Nochmals: Die Einführungsphase läuft nicht optimal, aber es ist ein guter und moderner Zug.