
SVP-Präsident Albert Rösti zeigte sich bei der Einreichung der Begrenzungsinitiative noch siegessicherBild: KEYSTONE
Am 27. September 2020 ist die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative. watson beantwortet die wichtigsten Fragen zur Vorlage.
25.02.2020, 10:0815.09.2020, 14:34
«Die Initiative steht!», sagte SVP-Präsident Albert Rösti im Sommer 2018. Man habe die Unterschriften für die Begrenzungsinitiative schnell sammeln können, ein «Selbstläufer» sei es gewesen. Wenige Wochen vor der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative scheint dieser Optimismus verflogen.
Volksabstimmungen vom 27. September 2020
Die Volkspartei steckt nach der Niederlage bei den Nationalratswahlen in einer Krise. Eine neue Parteichefin, ein neuer Parteichef muss her. Er oder sie wird den Abstimmungskampf führen müssen. Gelingt das? Und worüber stimmen wir überhaupt ab? watson beantwortet die wichtigsten Fragen zur Abstimmung.
Was will die Begrenzungs-Initiative?
Die Begrenzungs-Initiative will, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern «eigenständig» regelt. Was mit «eigenständig» gemeint ist, verrät die Initiative gleich selbst: Ziel ist eine Einwanderungspolitik ohne Personenfreizügigkeit.
Die Personenfreizügigkeit garantiert heute unter anderem Personen aus der EU, in die Schweiz einwandern zu dürfen, wenn sie über eine Arbeit oder genügend finanzielle Mittel verfügen. Vom gleichen Privileg profitieren auch Schweizer im EU-Raum. Dieses Recht soll abgeschafft werden.
Erreicht werden soll das unter anderem durch drei Punkte:
- Das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU soll auf dem Verhandlungsweg bis am 17. Mai 2021 ausser Kraft treten.
- Falls das nicht klappt, soll der Bundesrat das Abkommen bis am 16. Juni 2021 selbstständig kündigen.
- Es dürfen keine neuen Verträge abgeschlossen und keine neuen Verpflichtungen eingegangen werden, mit denen Ausländern eine Personenfreizügigkeit gewährt wird.
Helene erklärt die BGI
Video: watson/Lino Haltinner
Heisst es Begrenzungs- oder Kündigungsinitiative?
Heisst es Begrenzungsinitiative oder Kündigungsinitiative? Cloé Jans vom Forschungsinstitut gfs.bern sagt dazu: «Die Wahl des Initiativentitels ist kein Zufall. Mit dem Begriff schwingt auch mit, worum es bei der Abstimmung aus der Sicht einer Seite gehen soll.» So würde «Kündigungsinitiative» eher die Kündigung der Personenfreizügigkeit in den Fokus stellen. «Das Wort ‹Kündigung› ist negativ vorbelastet», so Jans weiter.

Cloé Jans arbeitet beim Forschungsinstitut gfs.bern.Bild: KEYSTONE
Auffällig ist, dass die SVP selbst nicht ganz konsequent ist mit der Begrifflichkeit. Im Sommer 2016 sprach der ehemalige SVP-Bundesrat Christoph Blocher in der «SonntagsZeitung» selbst von einer «Kündigungsinitiative». Macht man es ihm gleich, gibt's laut dem «SonntagsBlick» Rüffel: Wer einen anderen Namen als den offiziellen Namen «Begrenzungs-Initiative» nehme, betreibe «Irreführung der Wähler».
«Der offizielle Name laute ‹Begrenzungs-Initiative›, heisst es vonseiten der Partei. Alles andere sei eine Irreführung der Wähler!»
«SonntagsBlick»
Was ist der Unterschied zur Zuwanderungsinitiative?

Die SVP protestierte bei der Abstimmung über die Umsetzung der MEI – ein Referendum ergriff sie jedoch nicht.Bild: KEYSTONE
Die am 9. Februar 2014 mit 50,3 Prozent knapp angenommene Masseneinwanderungs-Initiative ähnelt der aktuellen SVP-Vorlage sehr. Der erste Versuch der SVP, die Zuwanderung nach ihren Vorstellungen zu steuern, sah zwar Verhandlungen, aber keine zwingende Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens vor.
Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, einigten sich National- und Ständerat bei der Umsetzung des neuen Verfassungsartikels unter anderem auf Stellenmelde-Pflichten. Die geforderten Höchstzahlen und Kontingente kamen nicht.
Das störte die SVP so sehr, dass sie statt eines Referendums gleich eine neue Volksinitiative einreichte. SVP-Präsident Albert Rösti begründete damals, dass man mit einem Referendum «die Bevölkerung an die Urne» hole, ohne dass es «etwas bringt».
«Wir würden die Bevölkerung an die Urne holen, ohne dass es etwas bringt.»
SVP-Präsident Albert Rösti
Müssen die Bilateralen gekündigt werden?
Die Begrenzungs-Initiative verlangt ausdrücklich, dass das Freizügigkeitsabkommen auf dem Verhandlungsweg ausser Kraft gesetzt wird – oder nötigenfalls von Bundesrat einseitig gekündigt wird.
Befürchtet wird, dass dies auch Folgen für die bilateralen Verträge (die sogenannten «Bilateralen I») haben könnte. Das Freizügigkeitsabkommen ist eines von sechs Abkommen, die durch die «Guillotine-Klausel» miteinander verbunden sind. Diese bringen der Schweizer Wirtschaft heute einen «privilegierten Zugang» zum EU-Markt, wie der Bundesrat schreibt.
«Die EU gehört zu den Profiteuren der betroffenen Verträge und hat ein grosses Interesse an deren Fortbestand.»
SVP zur Frage der BilateralenArgumentarium initiativskomitee
Die SVP selbst bestreitet nicht, dass die Bilateralen in Frage gestellt werden. Für sie ist die Gefahr jedoch «unwahrscheinlich». «Die EU gehört zu den Profiteuren der betroffenen Verträge und hat ein grosses Interesse an deren Fortbestand», so das Komitee der Initiative.
Wer ist dafür, wer dagegen?
Die SVP ist bislang die einzige grosse Partei, die sich für die Initiative ausgesprochen hat. Dafür ist auch die SVP-nahe Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Die beiden SVP-Nationalräte Thomas Hurter und Diana Gutjahr kämpfen öffentlich gegen die Initiative ihrer eigenen Partei.
Von den Parteien dagegen sind: SP, Grüne, EVP, GLP, BDP, CVP, FDP. Auch dagegen sind verschiedene Verbände, darunter die Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband, der Verband öffentlicher Verkehr, die Gewerkschaften Syna, Unia, Travail.Suisse und der Gewerkschaftsbund.
Bundesrat und Parlament empfehlen die Initiative abzulehnen.
Streitgespräch zur Initiative
Video: watson/lea bloch
Was sind die Argumente der Befürworter?
Die SVP kritisiert die Nicht-Umsetzung von Ausschaffungs- und Einwanderungsinitiative. Sie will das mit der Begrenzungs-Initiative korrigieren und sagt, dass mit ihrer Vorlage das «Problem an der Wurzel» angepackt werde.
- 10-Millionen-Schweiz: Durch das aktuelle Einwanderungssystem können jährlich Zehntausende in das Land einwandern. Die SVP kritisiert, dass dadurch Boden zubetoniert, Strassen und Schulen belastet und Wohnungen teurer würden. Die Initiative würde weniger Einwanderung bringen und so die Infrastruktur entlasten.
- Sozialwerke und Arbeitsmarkt: Die SVP kritisiert, dass viele Eingewanderte «billige Hilfsarbeiter» seien. Die EU-Ausländer seien häufiger erwerbslos, was die Arbeitslosenkassen belaste. Die Initiative schaffe Abhilfe. Schweizer Firmen könnten weiterhin «Hochqualifizierte» rekrutieren.
- Gewalt und Identität: Schweizerinnen würden sich «zu den staatstragenden Säulen Unabhängigkeit, Föderalismus, direkte Demokratie, bewaffnete Neutralität sowie die Selbstbestimmung» bekennen. Über die Ausländer heisst es im Argumentarium, sie seien häufiger kriminell und gewalttätig. Eine «massvolle und kontrollierte Einwanderung» schütze die Tradition und mache die Schweiz «vor allem für Frauen» sicherer.
Warum lehnen die Gegner die Initiative ab?
Die Gegnerinnen und Gegner der Initiative stören sich vor allem an der drohenden Kündigung des Personenfreizügigkeits-Abkommens. Ihre Argumente im Detail:
- Wirtschaft: Die FDP schreibt, dass Schweizer Firmen durch das Abkommen den «wirtschaftlichen Zugang zum 500-Millionen-Markt der EU» erhalten würden. Die Kündigung hätte «verheerende Konsequenzen», konkret einen Stillstand oder gar Schwächung der Wirtschaft.
- Lohnschutz: Befürchtet wird zudem, dass durch die Initiative auch der Lohnschutz für «Schweizer Löhne» wegfalle, der wegen der Personenfreizügigkeit überhaupt geschaffen wurde. Spüren würden das die «Werktätigen sofort auf ihren Lohnzetteln», schreibt der Gewerkschaftsbund.
- Beziehung zur EU: Wird das Abkommen der Personenfreizügigkeit gekündigt, so würden auch weitere Verträge wegfallen. Die BDP erwähnt das Schengen-Dublin-Abkommen: Die Schweiz profitiere von der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit. Zudem könne sie dadurch Flüchtlinge, die in mehreren Ländern ein Asylgesuch stellen, an das Erstland zurückschicken.
Mehr zur Begrenzungsinitiative:
Hat die Initiative eine Chance?
Volksinitiativen haben es in der Schweiz tendenziell schwer. Die SVP konnte in den vergangenen Jahren mit der Minarett- (2009), Ausschaffungs- (2010) und Zuwanderungs-Initiative (2014) in gleich drei ausländerpolitischen Themen die Stimmbevölkerung von einem Ja überzeugen.
Schwieriger sieht es bei EU-politischen Fragen aus. Die SVP erreichte bei mehreren Referenden, die das Verhältnis mit der Europäischen Union betrafen, keine Mehrheit. Auch zuletzt nicht beim emotional geführten Abstimmungskampf über das EU-Waffenrecht (2019).
Entsprechend schlecht sieht es bei den Umfragewerten aus. Erfahrungsgemäss sinkt die Zustimmung für Volksinitiativen im Verlauf des Abstimmungskampfs. Bei der MEI-Abstimmung gab es den entgegengesetzten Trend.
- Tamedia, 20. Dezember 2019: 35 Prozent Ja oder eher Ja, 58 Prozent Nein oder eher Nein, 7 Prozent unentschieden (±2 Prozentpunkte).
- SRF/gfs.bern: Erwartet werden zwei Umfragen im August und September.
SVP-Abstimmungsplakate
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SVP-Abstimmungsplakate
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quelle: keystone / str
Camille Fédérale - Der Röstigraben bei Abstimmungen
Video: watson
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