In der Schweiz sind nicht alle Menschen reich. Und doch ist sie eines der reichsten Länder der Welt. Ihren Wohlstand verdankt die Schweiz zu einem grossen Teil der offenen, globalisierten Volkswirtschaft und ihrem erfolgreichen Handel mit dem Ausland. Das Magazin «Republik» hat die globale Vernetzung in diesem Report aufgelistet.
Gleichzeitig ermöglicht es die Schweiz ihren Bewohnerinnen und Bewohnern wie kaum ein anderes Land, direkt auf den politischen Prozess einzuwirken. Um die direkte Demokratie mit ihren Volksrechten wird sie vielfach beneidet.
Diese Möglichkeit beschränkt sich notgedrungen auf die nationale Ebene. Nun aber sind diverse Volksinitiativen in der Pipeline, die sich auf die Vernetzung der Schweiz mit der globalisierten Wirtschaft auswirken können. Daraus ergeben sich heikle Zielkonflikte. Vertreter der Wirtschaft und ihrer Verbände zeigen sich über diese Entwicklung besorgt.
Economiesuisse-Geschäftsleiterin Monika Rühl warnte an der Jahresmedienkonferenz im Januar vor «rückwärtsgewandten» oder «idealistischen» Volksbegehren. Sie verwies auf mehrere aus ihrer Sicht schädliche Vorlagen, über die das Stimmvolk in den nächsten Monaten und Jahren zu befinden habe, darunter die inzwischen abgelehnte Vollgeldinitiative.
Andere kommen demnächst zur Abstimmung oder stecken in der parlamentarischen Beratung. Ein Überblick:
Die Abstimmung über die Volksinitiative der Grünen findet am 23. September statt. Sie verlangt, dass der Bund das Angebot an sicheren Lebensmitteln von hoher Qualität stärkt. Die Herstellung soll umwelt- und ressourcenschonend sowie tierfreundlich sein und unter fairen Arbeitsbedingungen stattfinden.
Der Bundesrat warnt nicht nur vor teureren Lebensmitteln. Die Fair-Food-Initiative könne mit Handelsabkommen in Konflikt geraten, die den vereinfachten Zugang zu internationalen Märkten garantierten. Dazu gehören das Agrarabkommen mit der EU – es ist Teil der Bilateralen I – und das WTO-Abkommen sowie Freihandelsverträge mit Ländern ausserhalb der EU.
Tatsächlich verlangten die Grünen bei der Lancierung 2014, dass importierte Lebensmittel nach «Schweizer Standards» hergestellt werden. Seither sind sie zurückgekrebst. Die Umsetzung soll mit internationalen Verpflichtungen kompatibel sein. «Das Handelsrecht ist kompliziert, wir haben dazugelernt», sagte die Baselbieter Nationalrätin Maya Graf dem Tages-Anzeiger.
Über die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» der SVP wird das Stimmvolk am 25. November befinden. Sie wurde als Reaktion auf die vom Parlament beschlossene Härtefallklausel bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative lanciert und zielt primär auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg und die Menschenrechtskonvention (EMRK).
Mit ihrer Forderung, dass die Bundesverfassung über dem Völkerrecht steht (ausgenommen dessen zwingende Bestimmungen), geht die Initiative jedoch weit darüber hinaus. Sie tangiert Wirtschaftsverträge, die ebenfalls völkerrechtlichen Charakter haben. Economiesuisse betont, die Abstimmung über die Selbstbestimmungsinitiative sei «die wichtigste in diesem Jahr».
Insgesamt 5000 völkerrechtliche Verträge seien von der Initiative betroffen, darunter mehr als 600 aus dem Bereich Wirtschaft, sagte Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaftspolitik, kürzlich an einer Medienkonferenz. Eine Annahme der Initiative werde nicht für klare Verhältnisse sorgen, sondern für Rechtsunsicherheit, warnte die Zürcher Professorin Christine Kaufmann, die für Economiesuisse ein Rechtsgutachten zur Selbstbestimmungsinitiative verfasst hat.
Die von über 60 Organisationen vorab aus dem NGO-Bereich lancierte Initiative befindet sich in den Mühlen der parlamentarischen Beratung. Sie verlangt, dass Schweizer Firmen und ihre Tochtergesellschaften auch im Ausland internationale Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten. Bei Verstössen sollen sie vor einem Schweizer Gericht verklagt werden können.
Diese Bestimmung sorgt für Bauchschmerzen. Sie könnte mit internationalem Recht kollidieren. Die Juristen Peter Böckli und Christoph B. Bühler betonen laut NZZ in einem Buch, eine solche Regelung stehe im Widerspruch zur Lugano-Übereinkunft. Diese sieht vor, dass zur Beurteilung von Schäden grundsätzlich die Gerichte am ausländischen Sitz einer Tochter zuständig sind.
Trotzdem dominiert bis weit ins bürgerliche Lager die Furcht vor einem emotionalen Abstimmungskampf über Menschenrechte und Umweltschutz. Deshalb wird im Parlament an einem Gegenvorschlag gearbeitet, der in Anspielung auf den umstrittenen Zuger Rohstoffkonzern auch «Lex Glencore» genannt wird und einen Rückzug der Initiative ermöglichen soll.
Welche Probleme bei der Annahme einer solchen Vorlage entstehen können, zeigte sich exemplarisch anhand der Masseneinwanderungsinitiative. Weil die Europäische Union der Schweiz bei der Personenfreizügigkeit keinen Millimeter entgegen kam, musste das Parlament mit dem Arbeitslosenvorrang eine arg verwässerte, auf die nationale Ebene beschränke Umsetzung beschliessen.
In der Schweiz sei es möglich, mit einer Volksinitiative «radikale Ideen in die Gesellschaft einfliessen zu lassen, damit sie hängen bleiben», sagt Daniel Graf, der als Mediensprecher für Amnesty International tätig war. Als Beispiel nennt der erfahrene Campaigner das bedingungslose Grundeinkommen, das vor der Abstimmung vor zwei Jahren kaum bekannt war.
Es sei logisch, dass dies in einer vernetzten Welt zu internationalen Konsequenzen führen könne, sagt Graf. Er hat gemeinsam mit Maximilian Stern das kürzlich erschienene Buch «Agenda für eine digitale Demokratie» verfasst.
«In der digitalen Demokratie werden solche Initiativen zunehmen», glaubt Daniel Graf. Und damit auch Konflikte mit internationalen Abkommen, weil die Initianten das Problem ins Zentrum stellen. Als Beispiele nennt Graf den Klimawandel oder die Flüchtlingspolitik: «Ich erwarte, dass vermehrt radikale Ideen aus der rechtspopulistischen Ecke lanciert werden.»