Wie wird der Winter? Diese Frage haben wir uns vor knapp sechs Monaten gestellt. Voller Vorfreude auf die Kälte und Skifahren im Neuschnee nahmen wir im Herbst verschiedene Prognosen unter die Lupe: die Bauernregeln, die Muotathaler Wetterschmöcker und die seriöseren Wetterinstitute. Wahrscheinlich liessen wir uns – wider besseres Wissen – ein wenig blenden von den ersten beiden. Sie prognostizierten uns einen kalten und schneereichen Winter. Und wir gaben die Hoffnung danach bis zuletzt nicht auf.
Spoiler (oder eigentlich nicht): Es kam alles anders. Ein Realitätscheck der Winterprognosen.
Die Bauernregeln sprachen 2022 eine deutliche Sprache: Hätten sie nur einen Funken Wahrheit dabei, hätte der Winter prächtig weiss und vor allem kalt werden sollen.
Von den gefühlt unzähligen «Regeln» haben wir vor Winterbeginn einige herausgepickt und sie auf den Prüfstand gestellt. Dabei spielte es kaum eine Rolle, welche man sich anschaute, der Tenor war klar: Sehr heisse Sommer- und Herbstperioden lassen einen «scharfen Winter» folgen.
Im letzten Jahr lagen die Bauernregeln nicht nur ein wenig, sondern gleich meilenweit daneben. Nach einem bereits viel zu warmen und regenarmen 2022 (bis und mit Oktober) ging es mit den Extremen gleich nahtlos weiter – mehr dazu weiter unten.
Kari Hediger, Martin Holdener, Alois Holdener, Martin Horat, Roman «Jöri» Ulrich und Kari Laimbacher sind die derzeitigen Wetterschmöcker aus dem Muotathal. Ihre Wetterprognosen sind legendär – vor allem aber aufgrund der humoristischen Weise, in der sie vorgetragen werden.
Auf der Herbstversammlung waren sich zumindest fünf der sechs Männer bei zwei Dingen einig: Erstens, es wird eine zu warme und mit Föhn durchsetzte zweite Dezemberhälfte geben, weisse Weihnachten könne man vergessen. Und zweitens: Der Februar sollte mit viel Bise kalt werden.
Grundsätzlich prophezeiten die Männer einen eher kalten und schneereichen Winter. Damit lagen auch sie so ziemlich daneben. Mehr dazu – wie gesagt – weiter unten. Allerdings wollen wir einen der sechs Herren gerne hervorheben: Roman «Jöri» Ulrich. Der Jüngste der Wetterschmöcker sagt in der Zusammenfassung seiner Prognose:
Im Gegensatz zu den anderen Männern prophezeite «Jöri» korrekterweise einen schneearmen Winter. Doch war der Winter auch «schön», wie ebenfalls von ihm erwartet? Wir checken:
Eine Mehrheit der Stationen von Meteoschweiz hat in den Wintermonaten Dezember bis Februar eine positive Abweichung von Sonnenstunden gemessen. Nur in der Sonnenstube Tessin sowie in Basel gab es weniger Sonne als im Durchschnitt. In seinem Klimabulletin schreibt Meteoschweiz allerdings: «Die Sonnenscheindauer lag in der gesamten Schweiz in der Norm.»
Der Winter war also tatsächlich einigermassen «schön» in diesem Sinne, vor allem aber schneearm. Ob «Jöri» an der kommenden Frühlingsversammlung mit dem Wanderpokal und der Holzfigur für die beste Prognose ausgezeichnet wird?
Institute wie die National Centers for Environmental Prediction (NCEP) aus den USA erstellen mittel- bis langfristige Prognosen für den Niederschlag, die Druckverteilung und die Temperaturen. Neben dem NCEP gibt es noch weitere, meist staatliche, Wetterinstitute, die solche Prognosen tätigen: zum Beispiel den Deutschen Wetterdienst oder das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF).
Im Oktober sahen die Prognosen dieser Modelle so aus: Die Schweiz fällt in die Zone Europas, in der relativ deutlich höhere Temperaturen, als es die Norm wäre, gemessen wurden. Konkret ging das Mittel der Klimamodelle von einer Temperatur von 0,5 bis einem Grad Celsius über der Norm aus.
Auch an Niederschlag würde es mangeln, prognostizierten Deutscher Wetterdienst, ECMWF und Co.
Diese Prognose tönt gar nicht mal so schlecht. Wie wohl den meisten noch bestens in Erinnerung, gab es zwischen Dezember und Februar im Flachland kaum Schnee – entweder, weil es zu warm war, oder weil es gar keinen Niederschlag gab. Werfen wir einen detaillierteren Blick auf den Winter 2022/23.
Die Monate Dezember bis Februar fielen in Europa deutlich zu warm und zu niederschlagsarm aus. Das führt mittlerweile dazu, dass Länder wie Spanien riesige Probleme haben mit ihrer (zukünftigen) Ernte.
In der Schweiz hat es zwar zuletzt wieder häufiger geregnet. Aber auch hierzulande reichen diese Mengen noch nicht aus, um das Defizit aus dem letzten Jahr und dem Winter wettzumachen. Ein Blick in die Statistik zeigt: In allen ausgewählten Stationen war die Menge in den Wintermonaten geringer als im Mittel der letzten Jahre.
Besonders in der südlichen Schweiz hat es viel zu wenig geregnet: «Die winterlichen Niederschlagssummen erreichten auf der Alpensüdseite, im Engadin sowie in Nord- und Mittelbünden zwischen 40 und 65 Prozent der Norm von 1991 bis 2020», schreibt das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie Meteoschweiz.
Auch die Temperaturen waren deutlich zu hoch. Die stärkste Abweichung konnte in Genf (+ 1,7 Grad) und in Samedan im Engadin gemessen werden. Im landesweiten Mittel lag der Winter 2022/23 mit 1,4 Grad Celsius über der Norm auf Rang sieben seit Messbeginn 1864, wie Meteoschweiz Ende Februar bekannt gegeben hatte. Besonders die Temperaturen um den Jahreswechsel dürften vielen noch in Erinnerung bleiben: An Silvester gab es auf der Alpennordseite lokal 17 bis knapp 21 Grad. «Erst die zweite Januarhälfte brachte eine markante Abkühlung», so Meteoschweiz.
Die hohen Temperaturen und geringen Niederschläge hatten auch Auswirkungen in den Bergen: «Vor allem zwischen Mitte Februar und Mitte März waren die Schneehöhen im Schweizer Alpenraum so tief wie noch nie seit Messbeginn», schreibt das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF.
Eines scheint also klar: Je «konkreter» die Prognose, desto näher an die Realität kommen wir – natürlich wenig erstaunlich. Die Bauernregeln, die generell davon auszugehen scheinen, dass auf ein (in diesem Fall heisses) Extrem das nächste (kalte) Extrem folgt, lagen komplett daneben.
Von den Muotathaler Wetterschmöckern vergaloppierte sich die Mehrheit ebenfalls: Der Winter war weder «schneereich und kalt» (Karl Hediger), noch gab er in irgendeiner Form «Vollgas» (Martin Holdener) – und schon gar nicht konnten die «Gletscher wieder wachsen» (Martin Horat).
Die grossen Wetterinstitute hingegen lagen zumindest in der Richtung ihrer Prognose korrekt. Das Ausmass unterschätzten aber auch sie: Gemäss dem Modell, das mit dem Mittel von mehreren Instituten rechnet, würden die Temperaturen in der Schweiz um 0,5 bis ein Grad abweichen. In Realität waren es 1,4 Grad – eine extrem hohe Zahl angesichts der Durchschnittstemperatur beispielsweise in Bern (0,7 Grad), Zürich (1,4 Grad) oder Genf (2,6 Grad) während der Wintermonate.
Sogar noch deutlicher daneben lagen die Prognosen in Bezug auf die Niederschlagsmenge: Die Wetterinstitute rechneten mit einem Defizit von 10 bis 50 Millimeter in der nördlichen Schweiz und von normalen Niederschlägen in der Südschweiz. Das traf insbesondere im Fall des Tessin überhaupt nicht ein: Lugano wies über den Winter ein Defizit von über 100 Millimeter auf.
In seiner extremen Form konnten diesen Winter also nicht mal die seriösesten aller Langfristprognosen-Steller vorhersagen.
Bei voraussagen über eine Woche spricht die Meteorologen von einem Trend. Voraussagen über einen Monat sind reine Spekulation! Was definitiv gesagt werden kann ist! Ja! Es wird Wetter geben!